http://www.spiegel.de/wissenschaft/medizin/0,1518,765731,00.…30.05.2011
HU-Syndrom
Neue Therapie weckt Hoffnung für Ehec-Patienten
Von Nina Weber
Die schwersten Fälle von Ehec-Infektionen bekämpfen Ärzte jetzt mit einer experimentellen Behandlung. Der Wirkstoff Eculizumab ist schon seit 2007 auf dem Markt. Nach ersten Versuchen zeigen sich die Mediziner optimistisch, dass er auch gegen den gefährlichen Darmkeim hilft.
Günstig ist das Medikament nicht. Eine einzige Dosis schlägt mit mehreren tausend Euro zu Buche. Doch der Wirkstoff Eculizumab rettet vielleicht Leben, hoffen Nierenspezialisten. Das Mittel haben Ärzte in mehreren Kliniken bei Patienten eingesetzt, die am hämolytisch-urämischen Syndrom (Hus) erkrankt sind.
Hus ist die schwerste Komplikation, die bei einer Infektion mit dem Darmkeim Ehec auftreten kann. Das Gift, das die an der Darmwand siedelnden Bakterien abgeben, führt dann dazu, dass Blutzellen regelrecht zerplatzen. Bruchstücke der Zellen verstopfen die Nieren und setzen sich in feinen Adern, unter anderem im Gehirn, ab. Nieren und Gehirn können durch Hus dauerhaft geschädigt werden, die Komplikation kann sogar tödlich enden. Nierenspezialisten führen bei Patienten eine Art Blutwäsche durch: Sie filtern das Blut in Zellen und Flüssigkeit und ersetzen die mit Giften belastete Flüssigkeit durch Spenderplasma oder Plasmaersatzmittel. Mit Antibiotika sind Ehec-Bakterien nicht zu bekämpfen: Sie würden dann auf einen Schlag zu viele Gifte ausschütten und den Patienten massiv gefährden.
"Das wird auch bleibende Schäden hinterlassen"
329 Menschen sind seit Anfang Mai am HU-Syndrom erkrankt, meldete das Robert-Koch-Institut (RKI) am Montag. Viele von ihnen liegen auf Intensivstationen. Bei den schwer erkrankten Patienten gebe es "zunehmend neurologische Ausfälle", berichtet der Neurologe Christian Gerloff vom Uni-Klinikum Hamburg-Eppendorf. Mehr als die Hälfte der 58 Patienten in stationärer Behandlung seien betroffen. So gebe es Unruhezustände, Sprachstörungen wie bei einem Schlaganfall und Zuckungen bis hin zu epileptischen Anfällen. Manche Patienten würden prophylaktisch mit Medikamenten gegen solche Anfälle behandelt. Einzelne Erkrankte hätten kleine Schlaganfälle erlitten, sagt Gerloff - weil kleine Gefäße verstopften. "Das wird auch bleibende Schäden hinterlassen."
Nicht nur die Mediziner am UKE setzen bei besonders schweren Fällen Hoffnungen auf eine experimentelle Therapie mit Eculizumab. Bisher sei diese Antikörper-Therapie bei elf Patienten eingesetzt worden, sagte Nierenspezialist Rolf Stahl vom UKE. Alle hätten bisher erst eine Dosis erhalten. Wie erfolgreich der Rettungsversuch ist, werde sich erst in drei bis vier Wochen zeigen. Bis dahin ist Stahl vorsichtig. "Ich habe noch kein Medikament erlebt, das Schwerstkranke von einem Tag auf den anderen heilt."
US-Unternehmen gibt Medikament für Heilversuche gratis ab
Nach Angaben der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) gibt das US-Unternehmen, das Eculizumab unter dem Markennamen Soliris vertreibt, das Medikament für die Heilversuche derzeit kostenlos heraus. Falls sich die Therapie etablieren sollte, würde das Unternehmen davon natürlich profitieren.
Vergangene Woche hatte das renommierte Fachblatt "New England Journal of Medicine" einen Artikel über die experimentelle Therapie veröffentlicht. Dass dies inmitten des bisher schlimmsten Ehec-Ausbruchs in Deutschland passierte, war purer Zufall. Doch er könnte dazu führen, dass Ärzte künftig eine weitere Therapiemöglichkeit gegen die schwere Krankheit zur Hand haben.
Eculizumab ist kein neues Medikament; es ist seit 2007 in Deutschland auf dem Markt. Zugelassen ist es nicht für die Behandlung von Hus, sondern einer seltenen Blutkrankheit, der sogenannten paroxysmalen nächtlichen Hämoglobinurie. Forscher in Deutschland, Frankreich und Kanada hatten das Mittel bei drei sehr schweren Hus-Fällen getestet, wie sie im Fachblatt berichten. Alle drei Patienten waren zu diesem Zeitpunkt drei Jahre alt - normalerweise sind insbesondere Kleinkinder von Ehec-Infektionen betroffen. Die Krankheit griff das zentrale Nervensystem der Kinder an, so dass die Ärzte schwere, bleibende Schäden und sogar den Tod der jungen Patienten fürchteten.
Daher wählten sie die experimentelle Behandlung mit Eculizumab. Der Wirkstoff greift ins Immunsystem ein und hemmt die Zerstörung von Blutzellen. Bei den Kindern habe sich der Zustand innerhalb von 24 Stunden deutlich gebessert, so die Wissenschaftler, zu denen auch ein Team aus Heidelberg zählte. Als sie neun, 20 und 35 Tage nach der ersten Eculizumab-Gabe aus der Klinik entlassen wurden, sei ihr neurologischer Zustand wieder völlig normal gewesen. Die Nieren hätten einwandfrei gearbeitet.
Noch ist Skepsis geboten
So sensationell der Bericht klingt, er ist - wie alle medizinischen Berichte mit derart kleinen Fallzahlen - von beschränkter Aussagekraft. Es kann zum Beispiel sein, dass sich noch Nebenwirkungen der Therapie zeigen oder sie bei vielen anderen Patienten weit weniger effektiv wirkt. Bekannt ist etwa, dass Eculizumab die Anfälligkeit für Infektionen erhöht. Daher müssen Patienten vor einer Therapie gegen Meningokokken geimpft worden sein - denn diese Mikroben können eine ebenfalls lebensbedrohliche Sepsis auslösen.
Die Nierenspezialisten haben gemeinsam ein Protokoll erarbeitet, um die Wirksamkeit von Eculizumab beim aktuellen Ehec-Ausbruch so systematisch wie möglich zu untersuchen. In einigen Wochen könnten bereits erste Ergebnisse feststehen.
Optimistisch äußerte sich am Montag Hermann Haller, Direktor der Klinik für Nieren- und Hochdruckerkrankungen an der Medizinischen Hochschule Hannover: "Es nützt etwas, aber es ist kein Wundermittel." In der MHH erhielten 18 schwer erkrankte Ehec-Patienten Eculizumab. Bei 16 verbesserte sich den Ärzten zufolge der Zustand. Um eine eindeutige Stellungnahme abzugeben, sei die Behandlungsdauer aber noch zu kurz, sagte Haller.
Die Welle von Ehec-Infektionen ist in Deutschland indes noch nicht gestoppt. Die Zahl der bestätigten Infektionen und Verdachtsfälle nahm auch am Montag weiter zu - auch wenn es erste Anzeichen gibt, dass die Zahl der Patienten nicht mehr ganz so schnell steigt. In Hamburg, das bislang am schwersten betroffen ist, nahm die Zahl der neu Erkrankten und Verdachtsfälle über das Wochenende im Vergleich zu den Vortagen ab. "Ich hoffe sehr, dass dies ein Indiz dafür ist, dass der Höhepunkt der Erkrankungswelle überschritten ist", sagte Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD).
Mit Material von AFP und dpa
Leider nicht von MOR, aber es zeigt das enorme Potential, was in Antikörpertherapien schlummert.