Mutter tötet ihren Sohn und springt in den Tod Weil ihre Wohnung zwangsgeräumt werden sollte, hat eine 39-Jährige sich und ihren dreijährigen Sohn umgebracht. Von Susi Wimmer
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§Kurz vor der Zwangsräumung ihrer Wohnung hat sich gestern in Taufkirchen eine 39-jährige Frau vom achten Stock ihres Wohnhauses in den Tod gestürzt. Ihren dreijährigen Sohn hatte die alleinerziehende Mutter vermutlich schon Stunden vor der Verzweiflungstat getötet.
Motiv für die Taten könnten erhebliche finanzielle Probleme sein: Die Frau war schon seit längerem mit ihrer Miete im Rückstand, am Morgen des Familiendramas stand die Gerichtsvollzieherin zur Zwangsräumung vor der Haustüre. Die Taufkirchnerin sprang vor den Augen der Beamtin sowie etwa 15 Rettungskräften und Nachbarn in den Tod. Die Feuerwehr war gerade dabei, ein Sprungtuch auszurollen.
Etwa 25 Minuten lang stand die 39-Jährige auf dem Flurbalkon im achten Stock des Wohnhauses an der Platanenstraße. 25 Minuten, in denen eine Freundin, Nachbarn sowie Polizeibeamte und Feuerwehrkräfte auf die Frau einredeten, um sie von ihrer Tat abzuhalten. ?Wir wussten, dass sie einen Sohn hat, deshalb haben wir es damit versucht?, erzählte Horst-Dieter Koch.
Der Schlosser, der die Gerichtsvollzieherin zur Zwangsräumung begleitet hatte, stand selbst noch unter Schock. ?Da wussten wir ja noch nicht, dass auch der Sohn...? Auch Eva Völkl, Pressesprecherin bei der Polizei, meinte: ?Es waren so viele Leute dabei, und alle dachten wohl, dass die Frau nicht springt.? Doch um 8.25 Uhr rief die 39-Jährige ihrer Freundin noch ein ?Tschüss? zu und stürzte sich dann vor aller Augen in den Tod. Genau in dem Augenblick, als die Feuerwehr mit einem Sprungtuch um die Ecke kam. ?Sie hat noch gerufen, alle sollen zur Seite gehen, damit niemand verletzt wird?, berichtet die Polizei.
Der Notarzt konnte nur noch den Tod der Frau feststellen. Die Augenzeugen mussten nach dem Drama von drei Kriseninterventionsteams betreut werden. Für die Polizeikräfte allerdings stand noch ein schwerer Gang an: Beim Öffnen der Wohnung entdeckten sie im Kinderbettchen den vermutlich von der Mutter getöteten dreijährigen Sohn. Außerdem lag in der Wohnung ein Abschiedsbrief, den die Polizei noch auswerten muss. Auch die beiden Katzen waren tot. Anhand einer Obduktion soll nun geklärt werden, auf welche Weise der Dreijährige ums Leben kam.
?Momentan gehen wir davon aus, dass die finanziellen Probleme und die drohende Zwangsräumung Auslöser für die Tat waren?, sagt Polizeisprecherin Eva Völkl. Nach bisherigen Ermittlungen sei die Frau nicht psychisch krank gewesen und habe auch nicht unter einer ?frischen? Trennung gelitten. Die Alleinerziehende sei einer Bürotätigkeit nachgegangen, ?ob sie in letzter Zeit arbeitslos war, wissen wir noch nicht?, so Völkl.
Fest steht, dass es schon seit zwei Jahren ?Vollstreckungen und Pfändungen? bei der 39-jährigen Taufkirchnerin gegeben habe, wie Siegfried Pfeifer, Vize-Präsident am Amtsgericht München, erzählt. Offenbar hatte die Frau schon seit längerem keine Miete mehr bezahlt. Für Montag, 8 Uhr, sei nun die Zwangsräumung angesetzt gewesen. ?Die Frau galt bislang als unproblematisch?, sagt Pfeifer. Sie habe auch keinen Räumungsschutzantrag gestellt, mit dem es für sie möglich gewesen wäre, die Zwangsräumung aufzuschieben. ?Die Ursache für die Tat kennen wir noch nicht genau?, meint Pfeifer.
Tatsache sei aber, dass es immer mehr Arbeitslose gebe und immer mehr Leute plötzlich ihre Miete nicht mehr bezahlen könnten. Die Gerichtsvollzieher werden seit einiger Zeit auch geschult, wie sie mit Situationen, in denen die Klienten mit Suizid oder mit Aggressionen gegen die Amtsperson drohen, umgehen können.
?Es gibt Schuldnerberatungsstellen oder auch psychologische Hilfe?, meint Siegfried Pfeifer. ?Man müsste sich halt helfen lassen.? Ein Weg, der für die 39-jährige Taufkirchnerin offenbar nicht möglich war. Nachbarn beschreiben die Frau als ?eher verschlossen?. Eine Anwohnerin aus der Platanenstraße sagt noch: ?Sie hat halt keine Hilfe angenommen.?
Gestern früh nahm dann das Schicksal seinen Lauf: ?Laut rechtskräftigem Räumungstitel, weil auch der Vermieter Recht auf sein Geld hat?, wie Amtsgerichts-Präsident Gerhard Zierl sagt, fuhr die noch recht junge Gerichtsvollzieherin kurz vor 8 Uhr in die Platanenstraße nach Taufkirchen. An ihrer Seite: der Schlosser, der im Falle, dass die Frau nicht öffnen würde, eingreifen sollte.
Tatsächlich drückte die 39-Jährige nicht auf den Türöffner. Stattdessen hörten die Gerichtsvollzieherin und der Schlosser ein Rufen von weit oben: Die Frau war offenbar nach dem Klingeln ins Treppenhaus gegangen, in den achten Stock gefahren, dort aus einem Fenster gestiegen und stand nun auf einer Balkonbrüstung direkt über dem Hauseingang. Sie forderte Schlosser Horst-Dieter Koch auf, zur Seite zu gehen, da sie nicht auf ihn draufspringen wolle. Nachbarn kamen, eine Freundin, die Polizei und die Feuerwehr. Dann sprang die Frau.
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