Kolumne: Peter Hartz besiegt Rot-Grün
von Thomas Fricke
Der jähe Kanzler-Absturz 2005 fällt groteskerweise mit der Umstellung einer Arbeitslosenstatistik zusammen, die Schröder selbst beschloss. Ein bitteres Reform-Lehrstück - auch für die nächste Regierung.
Polit-Chrash nach dem Arbeitsmarktbericht
Rot-Grün ist am Ende, der Kanzler gescheitert, selbst die Wähler glauben zu 90 Prozent, dass der Wechsel unvermeidlich ist. So lesen sich einmütig die Schlagzeilen, seit Gerhard Schröder am Sonntag Neuwahlen ankündigte. Wie kommt es eigentlich, dass die Kanzlertruppe seit Jahresanfang so atemberaubend abstürzte? Immerhin wurde Schröder vor vier Monden noch als Held der Arbeit gefeiert, der erfolgreich Hartz-Feinde bekämpfte, in Umfragen immer besser abschnitt und als Reformer in die Geschichte eingehen würde. Sehen Sie mal ins Archiv.
Wer so blöd ist, braucht keine Feinde mehr
Die Antwort hat es in sich. Der Beginn des historischen Polit-Crashs 2005 fällt auf irritierende Art mit einem einzelnen, auf den Tag bestimmbaren Ereignis zusammen, das im Grunde gar keins war: der Bekanntgabe eines neuen Hochs bei der Arbeitslosenzahl. Das nicht etwa, weil es plötzlich mehr Leute gab, die Jobs suchten, sondern weil seit der sagenhaften Hartz-IV-Reform auch jene sorgsam in der Statistik mitgezählt werden, die vorher als Sozialhilfeempfänger oder gar nicht registriert waren. Ein ökonomisches Non-Event, dessen Folgen für die nächste Bundesregierung höchst lehrreich sind - gerade dann, wenn sie den Wählern eifrig weitere, vermeintlich ähnlich grandiose Reformen in Aussicht stellt.
Noch Mitte Dezember überschlugen sich die weisen Politbeobachter des Landes in Erklärungen, warum Rot-Grün plötzlich wieder aufstieg. Kurz vor Weihnachten lag die Koalition in der Sonntagsfrage erstmals seit langem vor Schwarz-Gelb - eine Sensation. Das war Ende Januar noch so. Noch am Freitag, dem 28. Januar, ergaben Umfragen von Infratest Dimap, dass Schröders Lager beständig gleichauf lag mit der matten Opposition.
Was folgte, war jener Mittwoch, an dem die Bundesagentur berichtete, dass sie für Januar tatsächlich mehr als fünf Millionen Arbeitslose gezählt habe (und vergebens darauf hinwies, dass dieser Sprung einzig auf neue Zählmethoden zurückzuführen sei). So prompt haben Wähler selten reagiert: In der nächsten Infratest-Umfrage fiel Rot-Grün wenige Tage danach schon drei Punkte hinter Schwarz-Gelb - ein abrupt neuer Trend, der dann wochenlang anhielt.
Nun wäre es möglich, dass die Arbeitslosenmeldung nur einen ohnehin angelegten Absturz auslöste - als Katalysator einer grundtiefen Unzufriedenheit mit der Regierung, wie sie mancher Politaugure jetzt diagnostiziert, als sei nie etwas anderes in Frage gekommen. Warum stieg Rot-Grün dann aber bis zu jenem 2. Februar noch so eindrucksvoll in den Umfragen? Warum schnellte just im Februar die Sorge vor dem Arbeitsplatzverlust mit Abstand an die erste Stelle der Sorgenliste der Deutschen - obwohl die reale Arbeitsmarktlage abgesehen von der Statistik weder besser noch schlechter war?
Vieles deutet darauf hin, dass es jene Arbeitslosenmeldung Anfang Februar war, die aus dem Kanzler in Hochgeschwindigkeit einen wahrscheinlichen Ex-Kanzler machte. Nur dass dies Rot-Grün jetzt kaum noch helfen wird noch wirklich neuen Glanz auf die Wirtschaftsbilanz brächte. Im Gegenteil.
Helmut Kohl hat einst in Wahljahren zigtausend ABM-Stellen schaffen lassen, damit die Arbeitsmarktstatistik netter ausfällt. Britanniens Maggie Thatcher ließ alle paar Jahre neu definieren, wer arbeitslos ist, und rechnete Millionen einfach aus der Statistik. Rot-Grün beschloss auf freundliche Empfehlung des Abenteurer-Ökonomen Peter Hartz, die Statistik de facto aufzustocken - eineinhalb Jahre vor der Wahl. Mit Verlaub: Wer so blöd ist, sollte vielleicht doch kein Land regieren.
Schlimmer ist, dass der überflüssige Fünf-Millionen-Schock auf andere Weise als Katalysator gewirkt haben könnte: Das Hochschnellen statt Fallen der Arbeitslosenzahl hat die Zweifel verstärkt, wie sinnvoll die Reformen und Verzichtsappelle der vergangenen Jahre waren. Für diese Annahme spricht auch, dass laut Umfragen die Kritik an der Wirtschaft auf enorme Resonanz stößt - ohne dass die SPD von ihren tumben Kapitalismuswarnungen profitiert. Was Angst macht, ist weniger die Heuschrecke als vielmehr der Hartz-Schreck.
Fünf-Millionen-Schock nährt Reformzweifel
Regierung und Wirtschaft wäre damit ein Bärendienst erwiesen, wer immer die Wahl im September gewinnt. Die umwerfende Hartz-IV-Reform hat die Arbeitslosenzahl ohne Not auf symbolisch verheerende Rekorde hochschnellen lassen und Existenz- und Absturzängste bei Millionen Deutschen ausgelöst - ohne absehbar Jobs zu bringen. Effizienter kann man eine mühsam geweckte Reformbereitschaft im Land nicht wieder zertrümmern.
Eindrucksvoller kann eine Regierung umgekehrt auch nicht vorführen, dass nicht jede Reform zu jedem Zeitpunkt gut ist - nur weil sie den Leuten Geld wegnimmt. Das führt jene Standardökonomen aus dem deutschen Juppie-wir-reformieren-Lager ad absurdum, die den Reformnutzen auf widersinnige Weise nach seinem Schmerzensgrad bemessen.
Könnte sein, dass in Deutschland bisher fatal unterschätzt worden ist, wie verheerend selbst die beste Reform wirken kann - wenn sie zum falschen Moment kommt und am eigentlich akuten Problem vorbeigeht. In einer dramatischen Konjunkturflaute ist es absurd, Nettoeinkommen immer weiter zu kürzen. Das werden auch Union und FDP erfahren, sollten sie inmitten tiefer Konsumdepression ihr Vorhaben umsetzen, Nacht- und Sonntagszuschläge zu besteuern. "Derzeit mangelt es in Deutschland vor allem an einem Konjunkturschub", warnten diese Woche selbst die sonst eher orthodoxen OECD-Experten.
Es war schrecklich naiv anzunehmen, dass es 2005 mehr Jobs bringt, wenn den Arbeitslosen durch Hartz IV mehr Druck gemacht wird. Dafür braucht es Wirtschaftswachstum und Firmen, die Stellen schaffen. Und eine Regierung natürlich, die für Wachstum sorgt - statt sich selbst mit Statistiktricks zu entsorgen.
Thomas Fricke ist Chefökonom der FTD. Er schreibt hier jeden Freitag in der Zeitung.
Aus der FTD vom 27.05.2005 © 2005 Financial Times Deutschland
(.... von den Römern lernen heißt siegen lernen: "Divide et impera" ... Gilt auch für Statistiken !! Zerteilen, zerlegen, und schon ist ein Problem nur noch halb so groß. Die Schröder-Clement Regierung hat´s umgekehrt gemacht... ) So kann´s gehen...
MfG kiiwii
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