Ein unübertrefflich kitschiger Brunnen empfängt Besucher des Palastes im Ödland, ein Monument aus Drahtgewebe und Zement, ein kleines Gebirge mit aufgemalten Wasserfällen, an dessen Fuß sich hüfthohe Palmen gruppieren. Keine Frage aber, die Moschee mit ihren vier Minaretten zur Linken ist das schönste Gebäude im Tal, mit viel Marmor, bunten Malereien, Klimaanlage und Ventilatoren.
Ihr gegenüber, getrennt durch eine Mauer, steht noch das Gästehaus des Mullahs. Omar traf sich mit arabischen Freunden, mit Günstlingen und Bewunderern. Da nur Pakistan, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate das Taliban-Regime anerkannt hatten, waren Staatsbesuche selten.
Vergangenen Mittwoch tagte hier bereits Afghanistans künftiger Interims-Premier Hamid Karzai, der den "Terroristen" Omar so schnell wie möglich vor Gericht stellen möchte. Wenn er ihn denn kriegt. Die Narbe auf Karzais linker Wange ist ein Andenken an so genanntes freundliches Feuer im Rahmen der amerikanischen Luftunterstützung, die drei GIs und fünf Afghanen das Leben kostete. Beinahe hätte die U. S. Air Force den frisch gekürten Regierungschef in die Luft gesprengt.
Es geht um Pfründe, Opium und Entwicklungshilfe
Ob Karzai und Gul Agha, der neue Gouverneur der Provinz Kandahar, sich vertragen? Vorvergangene Woche, kurz nach dem Fall der Stadt, hatte es noch aus Karzais Umfeld geheißen, der "Hundekämpfer" Gul Agha könne noch nicht einmal auf die Unterstützung seines eigenen Stammes, der Barakzai, zählen und werde nie den Posten bekommen - Hundekämpfer, weil der geschäftstüchtige Clan-Führer früher beißwütige Hunde für zahlendes Publikum aufeinander gehetzt hatte. Dennoch entschied Gul Agha, der bereits vor den Taliban die Macht in Kandahar innehatte, die Konkurrenz für sich.
Mullah Naqibullah, dem die Taliban die Stadt übergeben hatten, besann sich offiziell "auf sein Alter". Er bevorzugt, wenn auch unerwartet, einstweilen den Ruhestand. Das Kommando über seine Truppen übergab er einem Offizier. In zwei Jahren soll gewählt werden in Afghanistan, vielleicht taucht Naqibullah dann ja wieder auf - sofern der Frieden nach 23 Jahren Krieg überhaupt so lange hält. Denn bei den Streitereien um Gebiets- und Machtansprüche zwischen den Stämmen und Warlords fällt das Wort Krieg nur allzu leicht. Schließlich geht es um Pfründen und Geld, um Opium, Schmuggel und bald auch um finanzielle Hilfe aus dem Westen.
Wenn seine Besucher derart profane Themen anschnitten, brauchte Mullah Omar nur durch ein Stahltor zu schreiten, und er war in seinen Privatbereich entschwunden. Dort befanden sich Schlafzimmer und Büros, Garagen für seine 21 Geländewagen, separate Räume für die Frauen und deren Kinder, Gärten, Ställe, Werkstätten und Wirtschaftsräume. Die Wände der Wohnzimmer zieren unbeholfene Landschaftsmalereien, deren naive Harmonie hier und da durch Panzer oder Kampfflugzeuge konterkariert wird. So mochte es der Mullah offenbar.
Das Zentrum des Gebäudekomplexes bildet Omars Dachgarten mit einer bunten Glaswand. In deren Metallrahmen fehlen jetzt, wegen der US-Bomben, ein paar Scheiben. Und auf dem Dach wacht ein Soldat mit einem AK-47-Schnellfeuergewehr. Seine Mitkämpfer ruhen sich in Omars Schlafzimmer aus. Sie freuen sich über die weiche Royal-Prince-Foam-Matratze. "Hubada, Hubada", sagt einer freundlich grinsend, als er die Federung testet.
Das Schlafgemach des einstigen Hindukusch-Herrschers hat den Woolworth-Look längst vergangener Jahre. Die Schrankwand ist aus Holzimitat-Furnier, an der Decke hängen zwei Kronleuchter-Imitate und ein Ventilator, ebenfalls in Kaufhaus-Qualität. Ästhetisches Glanzlicht ist ein Glasbild von Medina in einem dünnen Blechrahmen mit Hintergrundbeleuchtung. Das angrenzende Badezimmer: Armaturen und Keramik in Pink. Das gegenüberliegende Büro: Schreibtische und Aktenschränke wie aus Restbeständen der Sowjetunion.
Die Ober-Taliban schätzen westliche Errungenschaften
Falls Osama Bin Laden das alles bezahlte, wie es heißt, hätte er ruhig etwas spendabler sein dürfen. Andererseits - wo hätte sich der Sinn fürs weltlich-westlich Schöne entwickeln können? Die Madrassen, die Koranschulen, in denen auch Omar seine Ausbildung genoss, sind in dieser Hinsicht ungeeignet. Immerhin wusste er die Vorteile westlicher Errungenschaften wie Luxusautos, Klimaanlagen und Wassertoiletten zu schätzen.
Wer den Verursacher der Wandgemälde sucht, findet nur noch dessen Werkstatt, wo einige unvollendete Arbeiten auf Sperrholz an den Wänden lehnen und es immer noch nach frischer Farbe riecht. Im Bombenkrater vor dem Atelier liegen zwei poröse Atemschutzmasken aus schwarzem Gummi. Offenbar rechneten Mullah Omar und seine Getreuen mit einem Giftgasangriff.
Die Aufnahmen, die amerikanische Aufklärungssatelliten von Omars protzigem Palast zur Auswertung ins Pentagon funkten, waren äußerst präzise. Sie offenbarten zum Beispiel auch die drei Eingänge zu einem 200 Meter von der Außenmauer entfernten Tunnelkomplex, der als Luftschutzbunker diente. Jetzt sind deren Stahlträger aufgebogen wie Blumendraht, die Wände drinnen schwarz verkohlt, kalter Rauch hängt in der Luft.
"Erbaut im Jahr 1422", steht in arabischer Schrift über einem der Eingänge zur Unterwelt. Das Jahr 1422 bezieht sich allerdings auf die islamische Zeitrechnung und bedeutet 2001 nach Christus. Lange hat es nicht gehalten.
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