Die EU-Verfassung ?ist ein Staatsstreich?
Gespräch mit dem ÖDP-Vorsitzenden und Kläger gegen den Lissaboner Vertrag, Klaus Buchner
Rund einen Monat vor dem 2. Referendum in Irland ist die Zukunft des Lissaboner Vertrags weiter offen. Bereits vergangenes Jahr reichte u.a. der Chef der Ökologisch-Demokratischen Partei, Klaus Buchner, in Karlsruhe Verfassungsklage gegen den Vertrag ein. Der Politiker hält die Vorlage für ?einen Staatsstreich?, der demokratische Grundrechte und soziale Mindeststandards abschafft, zudem Angriffskriege ausdrücklich ermöglicht. Den Bundestagsabegordneten hätte der Text demnach bei ihrer Abstimmung gar nicht vorgelegen. Die ?Berliner Umschau? sprach am Rande der Demonstration gegen den EU-Vertrag am 5. September mit Klaus Buchner.
Berliner Umschau: Sie demonstrieren gegen Ratifizierung und Inkrafttreten des Lissaboner Vertrages. Was sind denn Ihre Hauptkritikpunkte daran?
Klaus Buchner: Der Vertrag schafft faktisch unsere Demokratie ab. Er ist mehr oder weniger ein Staatsstreich. Unser Grundgesetz hebt ganz wesentlich auf die Demokratie ab ? da gibt es die Ewigkeitsklauseln, nach denen bestimmte Kriterien der Demokratie niemals abgeschafft werden können. Durch den Vertrag von Lissabon werden sie abgeschafft. Das ist im wörtliche Sinne ein Staatsstreich.
Der 2. Punkt ist, daß dieser Vertrag ausgesprochen unsozial ist. Der Artikel 151 des Vertrags über die Arbeitsweise der Union sagt ausdrücklich, alle Sozialgesetzgebung unterliegt der Bedingung, daß die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft nicht gestört wird.
Der 3. Punkt ist der Zwang zur Aufrüstung und der Möglichkeit für Angriffskriege. Es werden Kriege ums Öl explizit formuliert. Es ist auch ausdrücklich formuliert, daß bei rechtmäiger Niederschlagung von Aufruhr und Aufstand ? so steht es wörtlich in der europäischen Menschenrechtskonvention ? gezielt getötet werden darf. Das heißt, daß nicht nur in Demonstrationen geschossen werden darf, sondern auch Leute herausgeholt und hingerichtet werden können. Das ist meiner Meinung nach ein Skandal. Das muß unter die Leute gebracht werden, daß das in diesem Vertrag steht.
B.U.: Sie sagen, die Demokratie wird abgeschafft. Aber das Grundgesetz bleibt doch weiter in Kraft ? auch mit seinen schützenden Elementen?
K.B.: Das Grundgesetz bleibt nur soweit in Kraft, solange ihm nicht irgendeine kleine Vorordnung der EU widerspricht. Die kleinste Verordnung der EU, auch wenn sie nicht demokratisch abgestimmt ist, hat Vorrang vor unserem Grundgesetz. Und die Konflikte sind jetzt schon da. Das Grundgesetz schreibt demokratische Grundprinzipien vor, das Grundgesetz verbietet Angriffskriege. Das wird jetzt durchbrochen.
B.U.: Die Abgeordneten des Bundestages haben diesem Vertrag mit großen Mehrheit zugestimmt. Wußen die es nicht besser? Es gibt ja immerhin das Gerücht, der Vertragstext hätte bei der Abstimmung noch gar nicht vorgelegen?
K.B.: Das ist richtig. Ich habe u.a. die Aussage des Abgeordneten Gauweiler. Die schriftliche Form des konsolidierten Vertrags kam erst nach der Abstimmung. Einige Abgeordnete hatten eine nicht-autorisierte Version ? ich betone: nicht-autorisierte Version ? 3 bis 5 Tage vor der Abstimmung auf ihrem Rechner. Alleine das auszudrucken, hätte das Büro für lange Zeit stillgelegt. Das heißt, es war nicht möglich, eine konsolidierte Form zu lesen und überhaupt durchzuarbeiten. Die Abgeordneten haben abgestimmt, ohne den Vertrag zu kennen.
B.U.: Sollten die Abgeordneten den Text nicht kennen? Was ist Ihre Einschätzung?
K.B.: Ich habe die Aussage eines SPD-Abgeordneten ? den Namen kann ich logischerweise nicht sagen ? der meinte, meine Parteiführung hat gesagt, der Vertrag ist gut, also habe ich zugestimmt.
B.U.: Sie haben vor dem Bundesverfassungsgericht gegen diesen Vertrag geklagt. Was waren Ihre Erfahrungen, Ihre Erlebnisse bei diesem Verfahren.
K.B.: Für mich war erschütternd, daß die militärischen Aspekte dieses Vertrags nicht verhandelt worden sind. Sie standen auf der Tagesordnung als letzter Punkt. Vorher wurde die Heizung abgeschaltet ? es war Februar, es war kalt. Die Leute haben gefrohren, jeder wollte heimgehen. Die Richter haben diesen letzten Punkt dann einfach nicht mehr verhandelt. Über militärische Aspekte sollte nicht gesprochen werden.
B.U.: Nun ist die, besser: eine EU-Verfassung schon drei Mal gescheitert. Erst an Polen, dann an Frankreich und den Niederlanden und schließlich an Irland. Jetzt müssen die Iren noch eimal abstimmen. Was glauben sie, wird bei einem erneuten irischen Nein ein fünftes und vielleicht sechstes Mal abgestimmt?
K.B.: Das ist möglich. Angela Merkel hat gesagt, wir lassen die Leute so lange abstimmen, bis sie Ja sagen.
Die Fragen stellte Martin Müller-Mertens
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