Prof. Wolfgang Methling (Umweltminister Mecklenburg-Vorpommern, Prof. für Tiergesundheitslehre):
Ein Gespenst geht um in Europa (vor allem in Deutschland) - das Gespenst des Rinderwahnsinns, der BSE. Bis November glaubten wir (auch ich) noch, dass Deutschland frei von dieser heimtückischen Krankheit sei, von der wir so wenig wissen, uns aber trotzdem oder gerade deshalb so sehr vor ihr fürchten. Das Vertrauen der Verbraucher in Politik und Wissenschaft ist erschüttert. Letztere reagieren mit teilweise opportunistischem Aktionismus, weil Medien sie als Versager vor sich her treiben. Wenn man sich sachlich mit dem BSE-Problem beschäftigt, erkennt man, dass diese Rinderkrankheit in Deutschland vor allem eine mediale, weniger eine reale Bedeutung für die Gesundheit von Rindern und den Schutz des Verbrauchers besitzt. Denn andere durch Lebensmittel übertragene Erreger (z.B. Salmonellen, Listerien) verursachen seit Jahrzehnten regelmäßig Hunderte von Todesfällen. Über verzehrs- und genussbedingte tödliche Krankheiten (Herzinfarkt, Krebs, Leberschäden u.a.) spricht momentan kaum jemand. Mit Sicherheit werden die nunmehr möglichen Tests weitere BSE-Fälle nachweisen. Ihr Auftreten und die relative Ratlosigkeit im Umgang damit fördern weiterhin Mißtrauen und Angst. Das ist die Quittung für jahrelange Versäumnisse in der BSE-Forschung und Fehlentwicklungen in der Landwirtschaft, Futter- und Lebensmittelerzeugung. Die BSE-Krise ist aber nicht nur ein Problem, sondern sie eröffnet auch eine Chance - sie ist Denkanstoß für eine zukunftsfähige, umwelt- und tiergerechte Landwirtschaft, Möglichkeit zur Neuorientierung oder gar Umkehr. Obwohl die Krankheit naturwissenschaftlich betrachtet nicht im Zusammenhang mit großen Landwirtschaftsbetrieben, ("Agrarfabriken") und "konventionellem" Landbau steht, ist sie Anlass, einzuhalten und nachzudenken. Ich bin ein großer Sympathisant und Befürworter des "Ökologischen Landbaus", der sich in Mecklenburg-Vorpommern sehr stark entwickelt hat, weil er viele Fortschritte für Verbraucher-, Umwelt-, Natur- und Tierschutz bringen kann. Aber der Kanzler und die neue Ministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft irren sich, wenn sie diese Form der Landwirtschaft als einen Schutz gegen BSE verstehen. Auch schnelle Strukturveränderungen und Ministeriumsumbildungen beheben nicht Mängel in der fachlichen und politischen Führung, Zusammenarbeit und Kontrolle. Die vor Jahren erfolgte Zerschlagung des Bundesgesundheitsamtes als falsche Antwort auf verseuchte Blutkonserven sollte eine Warnung sein. Um die Landwirtschaft und Lebensmittelverarbeitung zukunftsfähig zu gestalten, brauchen wir schnellstmöglich eine Umorientierung auf standort-, umwelt- und tiergerechte, möglichst naturnahe Anbau- Haltungs- und Fütterungsverfahren, garantiert unbedenkliche Futtermittel sowie eine transparente Nahrungsmittelerzeugung. Erforderlich sind wissenschaftlich begründete politische Entscheidungen auf der Basis von Erkenntnissen, nicht Schnellschüsse nach Mutmaßungen. Die Erfordernisse einer umwelt- und tiergerechten Landwirtschaft sind grundsätzlich bekannt. Ihre Umsetzung verlangt "nur" den politischen Willen der Verantwortungsträger, mehr wirksame Agrar-Umwelt-Programme und Verbraucher, die bereit sind, für höhere Qualität und Sicherheit höhere Preise zu zahlen. Für die Bauern bietet die Neuorientierung auf aktiven Verbraucher-, Tier-, Natur-, Gewässer-, Immissions- und Klimaschutz die Chance, aus dem gesellschaftlichen Abseits herauszukommen, sich wieder Akzeptanz und Ansehen zu erwerben. Bei BSE gibt es dagegen kaum Kenntnisse, aber zahlreiche offene Fragen zu Faktoren der Entartung der in normalen Zellen vorkommenden Prionen zu Krankheitserregern, dem Charakter der Erkrankung als Einzeltiererkrankung oder Tierseuche, zu Erregerausscheidung, Übertragungs- und Infektionswegen, zu Infektionsdosis, Nachweis beim lebenden Tier und möglicher Überschreitung von Artgrenzen sowie zum Zusammenhang mit der neuen Variante der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit. Diese müssen so schnell wie möglich durch internationale Kooperation beantwortet werden. Tötungen von erkrankten Tieren sind unvermeidlich. Massentötungen sind ethisch-moralisch abzulehnen, wenn sie nicht zur Bekämpfung der Krankheit beitragen können. Es gibt keinen Grund, Milch oder Fleisch von gesunden Tieren zu vernichten. Es ist schlimm, wenn Bauern ihre gesunden Tiere deshalb töten lassen müssen, weil ihnen niemand Fleisch und Milch abnimmt. Ich hoffe, wir - Verbraucher, Politiker, Wissenschaftler, Journalisten u.a. - begreifen bald die Chance, zu beweisen, dass leider eine wahrscheinlich noch steigende Zahl von Rindern, aber nicht die Gesellschaft vom Wahnsinn befallen ist.
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