Leben und arbeiten in Zürich Zürich - man spricht wieder mehr Hochdeutsch Von Konrad Mrusek
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16. April 2004 Als der Schriftsteller Gottfried Keller ("Der Grüne Heinrich") nach jahrelanger Abwesenheit 1855 nach Zürich zurückkehrte, erkannte er seine Heimatstadt kaum wieder. Man höre fast mehr Hochdeutsch, so schrieb er einer Freundin, als unser gutes altes Schweizerdeutsch. Ganz so dominant ist heute der große Nachbar sprachlich noch nicht in Zürcher Straßenbahnen, Museen oder Theatern, doch man hört und sieht viel mehr Deutsche. Die Schweiz lockt nicht allein Steuerflüchtlinge, wie etwa Boris Becker oder Theo Müller (Müller-Milch), sondern immer mehr auch Arbeitskräfte. Anders als früher sind es aber nicht mehr Saisonkräfte für die Hotellerie, sondern viele hochqualifizierte Deutsche, die es in die Schweiz zieht: Ärzte, Professoren, Ingenieure und Manager.
Mehr Deutsche als Italiener Denn nach den bilateralen Abkommen mit Brüssel hat sich auch beim europäischen Außenseiter Schweiz die Personenfreizügigkeit verbessert, gelten nicht mehr die Ausländerquoten, die früher den Zuzug begrenzten. Vor allem in Zürich, dem Schweizer Wirtschaftszentrum, ist der Andrang zu spüren. Hier sind die Deutschen inzwischen mit 15 000 Einwohnern die größte Ausländergruppe, haben sie Italiener und Serben überrundet. Rund ein Viertel der 19 000 Erwerbstätigen, die seit 2002, seit Beginn der neuen Regelung für EU-Bürger, einwanderten, waren Deutsche. Es locken nicht nur die gutbezahlten Stellen für Spezialisten und auch die beneidenswert hohe Lebensqualität von Zürich. Manche der Auswanderer "flüchten" wohl auch vor der deutschen Misere, suchen in der Schweiz solidere Verhältnisse. Die gibt es nicht nur wegen der geringeren Arbeitslosigkeit von vier Prozent. Ökonomische MIttelmacht Das Land hatte schon immer eine hohe Ausländerquote von etwa 20 Prozent, weil man auf den "Import" von Arbeitskräften angewiesen ist. Denn die Schweiz ist eine ökonomische Mittelmacht, hat als Kleinstaat aber ein zu geringes Bevölkerungspotential für diese wirtschaftliche Größe. Also muß man gut genug sein, um Fremdarbeiter anzulocken. Verglichen mit früher, hat sich die Zusammensetzung dieses "Imports" verändert: Waren es einst vor allem billige Arbeitskräfte aus Südeuropa für Bau und Gastronomie, so sind es nun vor allem Fachkräfte aus EU-Ländern. Das ist ganz im Sinne der Schweizer Wirtschaftspolitiker: Denn die Rekrutierung schlechtausgebildeter Ausländer wirkte wie eine "Subvention" für Branchen mit niedriger Wertschöpfung. Waren die Kontingente erschöpft, dann gab es gelegentlich für dringend benötigte ausländische Spezialisten kaum noch Ausländerbewilligungen. Die Personenfreizügigkeit mit den EU-Ländern hat nicht nur die "Planwirtschaft" in der Ausländerpolitik beseitigt, sie untergräbt auch mit der Zeit einige Heimatschutzbestimmungen, die auf mehr oder minder subtile Weise Eidgenossen Schlüsselpositionen sicherten. So hat bereits jetzt die Zahl deutscher Spitzenmanager erheblich zugenommen. In den achtziger Jahren war Nestlé-Chef Helmut Maucher noch die große Ausnahme, und er spottete gelegentlich darüber, indem er sich als "hoffentlich bestbezahlten Gastarbeiter" bezeichnete. Inzwischen findet man Deutsche in vielen Führungspositionen - unter anderem beim Industriekonzern ABB (Jürgen Dormann), der Großbank Credit Suisse (Oswald Grübel), der Zürcher Bank Vontobel (Herbert Scheidt), dem Pharmakonzern Novartis (Thomas Ebeling), der Winterthur-Versicherung (Leonhard Fischer), beim Verlagshaus TA Media (Martin Kall), das den Zürcher "Tages-Anzeiger" herausgibt, oder auch bei der größten europäischen Sanitärtechnik-Gruppe Geberit (Günter Kelm). Kein Herz und keine Seele Deutsche und Schweizer (genauer: die 4,6 Millionen deutschsprachigen Eidgenossen ) sind zwar durch die Sprache miteinander verwandt, aber keineswegs ein Herz und eine Seele. Das nachbarschaftliche Verhältnis ist komplizierter als mit Österreichern, Italienern oder Franzosen. Wenn Deutschland gegen Italien Fußball spielt, dann kann man fast sicher sein, daß die meisten Schweizer den Italienern die Daumen drücken. Die meisten Deutschen mögen die Schweizer, auch wenn sich in die Wertschätzung gerne ein etwas herablassender Ton mischt. Die Schweizer halten dagegen den großen Nachbarn am liebsten auf Distanz, beobachten ihn mit einer Mischung aus Mißtrauen und (schrumpfender) Bewunderung, die schnell umschlagen kann in Abneigung, wenn man sich vom Großen überfahren fühlt. Das heikle nachbarschaftliche Verhältnis zeigte jüngst auch das Wochenmagazin "Weltwoche", als es unter der Überschrift "Die Teutonenbombe" darauf hinwies, daß die Deutschen immer mehr Chefsessel und Lehrstühle eroberten. Wenn die Schweizer das Gefühl haben, sie kommen gegen die forschen Nachbarn nicht an, dann werden aus den Germanen schnell "Teutonen". Im Artikel benutzte man zwar nicht die Worte Invasion oder Einmarsch, doch ein gewisses Unwohlsein war deutlich spürbar über diese "Luxusarbeiterklasse" mit ihrem "gußeisernen Charme", die sich in Zürich breitmacht. Weil das deutsch-schweizerische Verhältnis tückisch ist, kann man leicht in Fettnäpfchen treten. Man merkt dies nicht gleich, weil die Schweizer höflich sind und nicht so gerne deutsch-deutliche Worte gebrauchen. Sie werden aber widerborstig, wenn Deutsche allzu grob agieren oder - was am einfachsten geht - sprachliche Vorteile ausspielen. In verbaler Hinsicht sind Deutsche meist überlegen, weil die Muttersprache der Schweizer nicht Hochdeutsch ist, sondern Züri- oder Berndütsch. Auch Banker sprechen untereinander Dialekt, weil dieser - anders als in Deutschland - Umgangssprache aller ist. Sollte man als Deutscher auch den Dialekt versuchen? Das hängt vom sprachlichen Talent ab, ist letztlich aber nicht entscheidend für beruflichen Erfolg. Entscheidend ist, ob ein Deutscher sich an gewisse Landessitten anpaßt. Für die Schweizer ist Zürich eher eine Steuerhölle (in den benachbarten Kantonen Zug und Schwyz zahlt man weniger Abgaben), für die Deutschen dagegen ein fiskalisches Paradies. Ob letztlich mehr Geld übrigbleibt für das Leben, das ist gar nicht so sicher. Denn die Schweiz ist teuer. Die Preise liegen im Durchschnitt um 40 Prozent über dem EU-Niveau, weil für etliche Lebensmittel wegen des Agrarprotektionismus und auch für Dienstleistungen erheblich mehr Franken berappt werden müssen. Auch das Wohnen ist teuer, nicht nur in den begehrten stadtnahen Lagen am Zürichsee, etwa dem Seefeld-Quartier. Drei-Zimmer-Wohnungen unter 2500 Franken liegen meist nicht in attraktiven Lagen. Mitunter ist aber nicht der Preis das Problem, sondern die Verfügbarkeit: In Zürich herrscht faktisch Wohnungsnot, weil die Leerstandsquote unter einem Prozent liegt. Gruß Moya
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