Klassenbeste gegen Klassenkasper
von Gerrit Wiesmann, Berlin
Gerhard Schröder und Angela Merkel liefern sich bei einer TV-Debatte einen Kampf um Fakten und Emotionen. Ein ungleicher Kampf.
Gesprächsrunde "Die Favoriten - Spitzenpolitiker im Kreuzverhör"
Dabei scheint Unionskanzlerkandidatin Angela Merkel gerade in Fahrt zu kommen: Die Regierung Kohl sei 1998 abgewählt worden, weil die Menschen "ihr die Problemlösung nicht mehr zugetraut" hätten. Streng guckte sie Gerhard Schröder an, um dem Kanzler zu verkünden, er habe sieben Jahre später beim Thema Arbeitslosigkeit genauso versagt.
Doch Schröder münzt mit unbekümmertem Grinsen das Eingeständnis Kohl'scher Versäumnisse auf die Kandidatin um. Merkels Adjutant, CSU-Chef Edmund Stoiber, wirft Schröder vor, die Probleme des Landes nicht gelöst zu haben. "Hat sie doch auch nicht gemacht", entgegnet der mit einem Fingerzeig in Anspielung auf Merkels Kabinettsposten in der letzten Regierung Kohl. Ein feixender Außenminister Joschka Fischer tritt aus dem Off ermuntert nach: "Weil sie's nicht gepackt hat."
Selbstsicherheit der Macht
Die Republik steht bei der Bundestagswahl am Sonntag voraussichtlich vor der Entscheidung zwischen Schwarz-Gelb und Schwarz-Rot - beides unter einer Kanzlerin Merkel. Dennoch zeigt sich das rot-grüne Spitzenduo sechs Tage vor ihrer wahrscheinlichen Abwahl in einem Berliner ARD-Studio in guter Verfassung. Schröder und Fischer kämpfen 90 Minuten lang unerschrocken und teilweise rüpelhaft gegen Merkel, Stoiber und die Spitzenkandidaten von Liberalen und Linkspartei, Guido Westerwelle und Gregor Gysi.
Allein die Körperhaltung verrät die Selbstsicherheit der Macht. Mehr lehnend als sitzend verfolgen sie, Seite an Seite, die Argumente der Rivalen. Es gibt für Kritik großzügiges Lächeln oder emporgezogene Augenbrauen. Vor allem gibt es die Einwürfe und die Unterbrechungen, die die Wähler je nach Couleur als vermessen und dreist oder aber als lustig und richtig empfinden werden. Das Duo verlässt sich offenbar auf die Bürger, die so etwas bereits 1998 und 2002 gut fanden.
Eher Kirche als Wahlkampf
Merkel sitzt kerzengerade mit den Händen im Schoß verschränkt. Das sieht eher nach Kirche als nach Wahlkampf aus. Auf rot-grüne Flapsigkeiten ist sie kaum eingestellt: Sie umreißt die Senkung der Lohnnebenkosten und der Steuern. Sie greift Schröder für sein Schweigen über neue Reformen an und sagt: "Ihre Arbeitsmarktreform - es muss damit weitergehen." Schröder kontert: "Aber wo?" Merkel redet von "der notwendigen Umstellung auf Wachstum und Beschäftigung". Schröder unterbricht: "Welche sind das?"
Wie beim Duell gegen Schröder am Sonntag vor einer Woche beweist Merkel, dass sie die Details beherrscht. Aber Schröder argumentiert fast ausschließlich mit Humor und Gefühlen: "Wir haben die Reformen angepackt, das waren unsere Vorschläge", sagt er an Merkel gerichtet. "Das mag Ihnen nicht reichen. Wir haben es aber angepackt." Als Ersatz für eigene Vorschläge will Schröder mit dieser simplen Botschaft Merkel die Reformkompetenz streitig machen.
Ein ungleicher Kampf
Es ist ein ungleicher Kampf: Merkel will Konzepte für die Zukunft des Landes vertreten, Schröder und Fischer das in der Vergangenheit Geleistete. Rot-Grün entkräftet alle Kritik mit der Entschuldigung: "Besser als Stillstand unter Kohl." Merkel muss zur Verteidigung viel erklären. Fischer unterbricht mit einer Frage über die "Kopfpauschale, die die soziale Gerechtigkeit in Frage stellt". Merkel holt Luft: "Sie müssen die Krankenversicherung und das Steuersystem zusammen sehen ..."
Schnell kommt Merkel dann allerdings auf den Punkt -, dass "der Pförtner" und "der Minister Fischer" unter einer schwarz-gelben Regierung nicht den gleichen Krankenversicherungsbeitrag zahlen müssten. Doch Fischer resümiert eigensinnig: "Sie entkoppeln die starken von den schwachen Schultern" - und schon springt die Diskussion zum nächsten Thema. Bezeichnend für den Auftritt der CDU-Chefin ist, dass sich kurz danach Schröder und nicht Merkel über die "hinreichend unkonkreten Vorwürfe" des Gegners beschwert.
FTD 16.9.2005