Allein die OSZE ist mit fast 400 Beobachtern präsent, wenn die Bevölkerung der zentralasiatischen Republik Kirgistan am Sonntag einen neuen Präsidenten wählt.
Favorit Atambajew wirbt in Nationaltracht.
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Es sind die ersten Präsidentenwahlen seit dem Sturz Kurmanbek Bakijews im Frühjahr 2010. Bakijew war fünf Jahre zuvor ebenfalls durch einen Umsturz an die Macht gekommen. Hintergrund war jedes Mal der traditionelle Konflikt zwischen dem relativ wohlhabenden, ethnisch homogenen Norden und dem ärmeren Süden mit starkem usbekischem Bevölkerungsanteil. Nach Bakijews Sturz kam es im Süden - seiner Hochburg - zu blutigen Unruhen mit Hunderten Toten und Zehntausenden Flüchtlingen. Die Gewaltorgie endete erst, nachdem die Übergangsregierung den Entwurf einer neuen Verfassung vorgelegt hatte, die am 27. Juni 2010 per Referendum bestätigt wurde. Damit übernahm das Parlament den Großteil der Kompetenzen des Präsidenten. Der darf nur noch fünf Jahre amtieren, den Verteidigungsminister und den Koordinator des Nationalen Sicherheitsrates ernennen und soll vor allem repräsentieren. Die Regierung dagegen wird seither vom Parlament gewählt und kontrolliert. Da bei den Parlamentswahlen im Oktober 2010 keine Partei die absolute Mehrheit erreichte, raufte sich in mühevollen Verhandlungen eine Dreiparteienkoalition zusammen. Für das in autoritärer Tradition stehende Zentralasien war das ebenso ein Novum wie eine parlamentarische Demokratie.
Für den Systemwandel in Kirgistan setzte sich vor allem die nach dem Umsturz 2010 zur Übergangspräsidentin ernannte ehemalige Außenministerin Rosa Otunbajewa (61) ein. Ihre Amtszeit läuft am 31. Dezember dieses Jahres aus, eine neuerliche Kandidatur war ausgeschlossen. »Wir müssen öffentlich den Beweis antreten, dass wir das Grundgesetz, das wir per Volksentscheid in Kraft gesetzt haben, ernst nehmen und zu einer friedlichen Übergabe der Macht willens und in der Lage sind«, sagte Otunbajewa im Sommer auf einem Treffen mit Bewohnern der Region Naryn.
Ähnlich äußerte sich auch Omurbek Tekebajew, Chef der sozialistischen Partei Ata-Meken (Heimat). Bei den Präsidentenwahlen tritt er nicht an, um »die Einheit der demokratischen Kräfte zu festigen«, wie er im September erklärte.
Klarer Favorit unter den insgesamt 19 Kandidaten, die die Wahlkommission registrierte, ist der gegenwärtige Ministerpräsident Almasbek Atambajew: ein Mann des Nordens und Chef der Sozialdemokratischen Partei, die bei den Parlamentswahlen auf Platz zwei kam. Beobachter - sogar regierungsnahe - gehen allerdings davon aus, dass er im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit verfehlt, so dass es zur Stichwahl kommt. Atambajew dürfte sie, wenn auch knapp, gewinnen. Die Spitzenkandidaten des Südens sind einander spinnefeind und werden ihre Anhänger im zweiten Wahlgang kaum auf Atambajews Herausforderer einschwören, etwa den Kandidaten der stärksten Parlamentspartei Ata-Shurt (Vaterland), Kamtschybek Taschijew.
Der 55-jährige Atambajew, der schon unter Bakijew Premier war, 2007 jedoch zur Opposition wechselte, gilt als moskaufreundlich und unterstützt Russland bei Bemühungen um die Reintegration ehemaliger Sowjetrepubliken. Er bereitete auch den Beitritt Kirgistans zur kürzlich vereinbarten Zollunion mit Russland, Belarus und Kasachstan vor. Sie ist einer Frühform der EU nachempfunden und tritt am 1. Januar 2012 in Kraft.
Atambajew verspricht im Falle seines Wahlsieges »ein einiges, starkes und blühendes Land«. Das dürfte indes nicht ganz einfach werden. Das Land gehört zu den 20 ärmsten Staaten der Welt. Regional organisierte Clans, die in Kirgistan das eigentliche Sagen haben, können den Nord-Süd-Konflikt jederzeit wieder anheizen, was mit Spaltung enden kann. Enttäuscht von Umstürzen ebenso wie von den fruchtlosen Parlamentsdebatten ihrer Politiker, suchen auch die früher sehr weltlichen Kirgisen ihr Heil zunehmend im Islam.