"Denn auch die Medizin hat die Nanotechnologie für sich entdeckt. 'Ich sah meine Wissenschaftskarriere schon den Bach runter gehen', sagt Andreas Jordan im Rückblick. So frustrierend sei das gewesen: Zu wissen, was man tun müsse, um Tumorzellen gezielter zu behandeln. Aber nicht zu wissen, wie. Jordan fehlte das richtige Werkzeug. Dabei war er so nah dran. Alles begann in der Klinik für Strahlenheilkunde in Berlin, die heute zur Charité gehört. Wärme macht Tumorzellen empfindlicher, das wussten Ärzte schon lange. Und setzten daher parallel zur Chemotherapie oder Bestrahlung eine Wärmetherapie ein. Es war das Jahr 1987 und die Klinik bekam ein topmodernes und teures Wärmetherapiegerät. Jordan, der dort als Biologe arbeitete, war dabei, als es kam. Er sah die Begeisterung seiner Kollegen, dann die Ernüchterung. Die Therapie würde erst wirken, wenn man im Tumor eine Hitze von 41 Grad erreichen konnte. Dafür jedoch fehlte ein halbes Grad. Höher aber konnten die Ärzte das Gerät nicht stellen. Die Patienten hätten sich verbrannt. Das Problem war physikalischer Natur: Die meiste Energie wurde an der Körperoberfläche absorbiert, innen nur wenig. 'Das ist so ähnlich wie bei der Mikrowelle', sagt Jordan. 'Erhitzt man dort etwas, wird es außen bereits gegrillt, während es innen noch kalt ist.' Wie könnte man ausreichend Hitze in den Tumor bringen? Diese Frage verfolgte Jordan von nun an. Er kam auf die Idee, es mit einem magnetischen Ansatz zu probieren. Weil der Körper für Magnetfelder transparent ist. Allerdings müsste er dafür einen Absorber im Tumor platzieren. So begann ein langer Weg. Jordan beschloss, eine Doktorarbeit daraus zu machen. Um die Vorgänge zu verstehen, lernte er jahrelang Physik. Er schrieb Faxe an Firmen in aller Welt, die magnetisierbare Substanzen herstellen und bat sie um Proben. Er suchte nach einem passenden Gerät, in dem er die Substanzen testen konnte. Denn er betrat völliges Neuland. Sein niederschmetterndes Ergebnis nach fast drei Jahren Forschung und Hunderten getesteter Proben in Mikropartikelgröße: In einen Tumor von 20 Gramm müsste er 20 Gramm Eisen injizieren – etwa eine Handvoll Nägel. Und damit bekäme er den Tumor gerade einmal handwarm. Jordan überlegte gerade mit einem Kollegen, wie er seinem Doktorvater erklären könnte, dass er gescheitert war. Da explodierte vor seinen Augen das Röhrchen mit einer Flüssigkeit, die er gerade testete. Es war eine Probe aus Japan. Eines der ersten Kontrastmittel für die Magnetresonanztomographie aus Nanopartikeln. 'Auf einmal machte es Bumm, richtig Bumm', erinnert sich Jordan an den Moment, der seine Karriere nicht nur rettete, sondern beflügelte. Sein Kollege und er waren besprenkelt mit der schwarzbraunen Flüssigkeit. Die Nanopartikel aus Eisenoxid in der Probe hatten hundert bis tausend Mal mehr Energie aufgenommen als die Mikropartikel, die Jordan vorher eingesetzt hatte. Mit einem Knall reichten Milligramm, wo bislang von einer Handvoll Nägel die Rede war. Das war 1993. Jordan hatte sein Werkzeug gefunden: die Nanotechnologie. (...) Eine Sache jedoch könnte bald auf den Markt kommen: Andreas Jordans Nano-Krebstherapie. Mittlerweile hat Jordan die Firma MagForce Nanotechnologies AG gegründet. Dort dreht sich alles um sein Verfahren zur lokalen Hitzebehandlung von Tumoren. Dabei werden Nanopartikel aus Eisenoxid direkt in den Tumor injiziert. Anschließend kommt der Patient in ein Gerät, das ein magnetisches Wechselfeld erzeugt. Das versetzt die Partikel im Tumor in Schwingung, wobei Hitze entsteht. Aber: nur an der Stelle, an der sich die Nanopartikel befinden. Nur im Tumor. So kann man die Temperaturen noch viel höher stellen. Und zwar teilweise auf bis zu 70 Grad Celsius. Getestet wurde das Verfahren bereits an Hirntumor-Patienten, auch bei einigen anderen Krebsarten. Im Bereich der Hirntumore sollen die klinischen Studien bis Ende des Jahres abgeschlossen sein. Bei MagForce hofft man darauf, dass das Verfahren Mitte nächsten Jahres von offizieller Stelle zugelassen wird und auf den Markt kommen kann. Manchmal kommen Patienten zu Andreas Jordan, die glauben, man könne mit Hilfe der Nanotechnologie schon Nano-Roboter herstellen, die durch unsere Blutbahn patrouillieren und Krankheiten gezielt vernichten. Aber das geht nicht. 'Ginge es nach Science-Fiction-Autoren, wäre das schon in zehn bis 15 Jahren möglich', sagt Jordan und relativiert sofort: 'Es gibt Grenzen, was wir in einer solchen Zeitspanne schaffen können.' Probieren tut man es dennoch. Auch bei MagForce forscht man daran, wie man Nanopartikel als Transportmittel einsetzen kann. Denn man hat festgestellt, dass die Nanopartikel während der Nano-Krebstherapie teilweise direkt von den Tumorzellen aufgenommen werden. Nun fragt man sich: Könnte man an die Nanopartikel ein Molekül koppeln, das einen Wirkstoff trägt und diesen direkt in der Zelle freisetzen? Noch sind solche Überlegungen erst Forscherideen, noch ist das alles reine Zukunftsmusik. Nach Science-Fiction klingt es allemal." Autorin: Andrea Walter |