Aus ARD Börse; Interview mit dem wohl (Bild) bekanntersten Makler
"Es brennt lichterloh" Die Panikstimmung an den Börsen ist berechtigt. Die Kurse dürften noch weiter fallen, prognostiziert Dirk Müller, der wohl bekannteste Händler an der Frankfurter Börse. Dirk Müller boerse.ARD.de: Herr Müller, Sie geben heute ein Interview nach dem andern. Schließlich sind sieben Prozent Tagesverlust im Dax ja sehr selten. Haben Sie an einem solchen Tag überhaupt noch Zeit für Ihre Arbeit?
Müller: Ich muss wirklich sagen, heute ist ein absoluter Ausnahmetag. Ein Großteil meines Jobs besteht darin, Interviews zu geben. Aber natürlich läuft das Handelsgeschäft weiter.
boerse.ARD.de: Der Dax ist heute bis auf 6.762 Punkte gesackt. Inzwischen sehen wir eine leichte Gegenbewegung. War es das schon mit den Kursverlusten?
Müller: Das glaube ich nicht. Die Talfahrt ist noch längst nicht beendet. Wir sehen im Moment keine Käufe, selbst die institutionellen Investoren greifen nicht zu. Die leichte Gegenbewegung rührt meiner Meinung nach fast ausschließlich von den so genannten Leerverkäufern, die heute morgen short gegangen sind, und sich nun eindecken müssen bzw. Gewinne mitnehmen.
Mehr zum Top-Thema Die Panik ist da! Interview: "Angst ist ein schlechter Ratgeber" Die schwärzesten Börsentage seit 1987 Das sagen Börsen-Experten zum Dax-Crash Special: Hypotheken-Krise Kommentar: Lautlos spielt sich Panik ab Chartserie: Die größten Dax-Verlierer 2008 Experten sehen keinen Grund zur Panik [tagesschau] boerse.ARD.de: Geht es also morgen weiter abwärts, wenn die US-Börsen die Panikverkäufe nach dem Feiertag nachholen?
Müller: Das ist schwer abzuschätzen. Im Moment sieht es noch nicht danach aus, die US-Futures stehen gar nicht so schlecht wie wir im Moment. Aber das kann sich noch ändern.
Das ist aber gar nicht das Entscheidende. Man darf nicht den Fehler machen und sich auf das Geschehen heute oder morgen konzentrieren. Viel wichtiger ist die Situation insgesamt: Die ist dramatisch. Es brennt lichterloh! Das zeigt allein die Aktion von Ben Bernanke: Wenn der US-Notenbankchef öffentlich Steuersenkungen empfiehlt, dann zeigt das, wie tief wir in der Krise stecken. Sonst legen die Herren Währungshüter jedes Wort auf die Goldwaage und verstecken sich hinter Andeutungen. Wie es scheint, wissen sie nicht mehr, wie sie Herr der Lage werden können. Ich glaube, wir machen uns noch keine Vorstellung davon, was für Leichen da an die Oberfläche geschwemmt werden.
boerse.ARD.de: Ist die Talfahrt heute vielleicht auch durch die automatischen Handelssysteme beschleunigt worden, weil bestimmte Dax-Marken gefallen sind?
Müller: Ganz klar haben sich viele Investoren ein Limit gesetzt um die 7.000 Punkte. Die meisten glaubten, dass diese Marke Halt geben würde. Dadurch gab es zusätzliche Abwärtsdynamik. Aber die Handelssysteme sind nicht schuld an dem Kurssturz, wie wir das im vergangenen Jahr einmal erlebt haben. Wir haben ein strukturelles Problem, uns steht eine Rezession ins Haus! Und wenn wir dann den heutigen Dax-Stand mit dem vor einem Jahr vergleichen, ist das ein Alarmsignal: Letztes Jahr war konjunkturell alles wunderbar, aber wir lagen 400 Punkte unter dem derzeitigen Indexstand. Heute ist nichts mehr wunderbar, aber wir notieren immer noch 400 Punkte höher.
Und das Schlimmste ist: Viele Experten wiegeln ab: Alles sei gar nicht so dramatisch. Da wird gelogen und gelogen, und die Medien nehmen das unreflektiert auf. So mancher Marktstratege sagt sogar neue Höchststände für dieses Jahr voraus, wie ich gerade erst in einem Fernsehinterview gesehen habe. Ich halte das für grob fahrlässig!
boerse.ARD.de: Als positiv nennen einige Marktexperten die niedrigen Kurs-Gewinn-Verhältnisse im Vergleich zum Jahr 2000. Ist das nicht ein Argument für einen vorsichtigen Einstieg?
Müller: Nein. Ich halte solche Empfehlungen für unseriös! Nicht erwähnt wird dabei, dass sich die KGV-Berechnung verändert hat. Die KGVs von damals und heute sind deshalb nicht mehr vergleichbar. Heute müsste man auf die Kennzahl 20 bis 25 Prozent draufschlagen.
boerse.ARD.de: Zurück zur Ausverkaufstimmung an den Börsen heute: Waren das eher private oder institutionelle Anleger?
Müller: Die Verkaufsorders kamen querbeet von allen Anlegern, institutionellen wie privaten Investoren. Wir haben heute einen kompletten Käuferstreik. Natürlich kann es in den nächsten Tagen wieder ein paar hundert Punkte hoch gehen. Aber für die nächsten Monate sehe ich schwarz, die Stimmung wird miserabel bleiben. Was mir zu denken gibt: Das US-Konjunkturprogramm hat an den Börsen nicht gezogen ? dabei sind das immerhin Steuersenkungen von 100 Milliarden Dollar. Natürlich gibt es Mechanismen, in den Markt einzugreifen. Aber die Zinssenkung zum Beispiel ist bereits voll eingepreist. Wir bewegen uns in sehr gefährlichem Gewässer. Es muss zwar nicht gleich alles zusammenbrechen, aber die Risiken sind so groß wie lange nicht.
Das Interview führte Bettina Seidl.
----------- Wer viel Geld hat, der kann spekulieren; wer wenig hat darf nicht spekulieren und wer überhaupt kein Geld hat muss spekulieren.
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