HANDELSBLATT Schuldenkrise: Stark warnt Euro-Staaten vor trügerischer Sicherheit
"Kein Land ist wirklich sicher": Kurz vor seinem Rücktritt hat der EZB-Chefvolkswirt in einem Zeitungsinterview eindringlich vor der Dimension der Schuldenkrise gewarnt. Damit heizt er die Debatte um die Euro-Rettung weiter an.
In der europäischen Schuldenkrise kann sich nach Einschätzung des Chefvolkswirts der Europäischen Zentralbank (EZB) Jürgen Stark kein Land in Sicherheit wiegen. "In der aktuellen Situation ist kein Land wirklich geschützt", sagte er der "Irish Times". Stark, der als sehr stabilitätsorientierter Geldpolitiker gilt, war am Freitag von seinen Positionen bei der EZB zurückgetreten. Allerdings bleibt er noch im Amt, bis ein Nachfolger gefunden ist.
Das Interview gab Stark nach Angaben der Zeitung nur wenige Stunden bevor er seinen Rücktritt ankündigte. Zwar nannt er "persönliche Gründe" für seine Entscheidung, es gilt aber als sicher, dass der Ökonom wegen der unterschiedlichen Standpunkte bei den Anleihekäufen der EZB das Handtuch wirft.
Stark bezog seine Warnung auf die Gefahr, dass Länder plötzlich von Kapitalmarkt abgeschnitten werden könnten wie beispielsweise Griechenland. "Das kann auch größeren, hoch entwickelten Volkswirtschaften passieren." Zudem unterstrich er, dass die europäischen Regierungs- und Staatschefs kein Land aus dem Währungsraum drängen wollten. Allerdings dürfe finanzielle Hilfe nur unter bestimmten Bedingungen gewährt werden, da ansonsten die Solidarität überspannt werde. "Solidarität kann niemals eine Einbahnstraße sein."
Der scheidende Chefvolkswirt (ich dachte der wär ein Mann ;-)) hatte sich in dem Interview vor allem auf die Situation in Irland bezogen und das Land zu noch größeren Sparanstrengungen aufgefordert. "Wir erkennen völlig an, was die Regierung bereits getan hat, um die staatlichen Löhne zu korrigieren", sagte Stark. "Es gibt aber noch mehr Spielraum." In anderen Ländern, die das hoch verschuldete Irland durch Milliarden-Hilfen vor der Pleite bewahrt haben, seien die Löhne "deutlich niedriger". Irland hat die Löhne für seine Staatsbediensteten seit 2008 um durchschnittlich 14 Prozent gesenkt.
Mit seiner Rücktrittsankündigung heizte Stark die Diskussion um den Zustand der Schuldenstaaten noch einmal an. Bislang galt stets die Aussage, dass der europäische Rettungsschirm EFSF ausreicht, um die Probleme der Staaten zu beheben. Inzwischen aber auch eine Pleite Griechenlands wird nicht mehr ausgeschlossen. Dementsprechend gilt der Abgang Starks als weiteres Indiz für das Ausmaß der Uneinigkeit im Umgang mit Griechenland.
"Starks Rückzug könnte von den Finanzmärkten als ein weiteres Anzeichen für die wachsende Enttäuschung über den Euro in Deutschland gesehen werden", zitiert die Nachrichtenagentur Bloomberg Julian Callow, den Chefvolkswirt Europa bei Barclays Capital. "Das könnte die Beteiligung Deutschlands bei weiteren Rettungspaketen komplizieren." Ähnlich klingen die Sätze von Jacques Cailloux, dem Chefvolkswirt Europa der Royal Bank of Scotland: "Es sieht so aus, als ob Deutschland sich auf einen Ausfall vorbereitet. Eine gewisse Ermüdung setzt ein. Deutschland könnte Vorreiter sein oder andere Länder könnten sich ebenfalls darauf vorbereiten."
Die deutsche Regierung arbeitet nach Informationen von Nachrichtenagenturen bereits an einem Plan, mit dem deutsche Banken geschützt werden sollen für den Fall, dass Griechenland die Bedingungen für das Rettungspaket nicht erfüllen kann und es zu einem Zahlungsausfall kommt. An den Anleihemärkten wird derzeit ebenfalls wieder stärker mit einem Auseinaderbrechen der Euro-Zone und einer Pleite Griechenlands gerechnet. So stiegen die Renditen der Bonds aus den Krisenstaaten an, während die für deutsche Anleihen sinken.
Unterdessen kristalisiert sich immer mehr heraus, dass der Finanzstaatssekretär Jörg Asmussen Nachfolger des scheidenden EZB-Chefvolkswirts werden könnte. Mit dem niederländischen Finanzminister Jan Kees de Jager und dem EZB-Vizepräsidenten Vitor Constancio hat er bereits zwei prominente nichtdeutsche Unterstützer.
De Jager sagte, Asmussen sei erfahren auf dem Feld der Finanzwirtschaft und kenne die Eurozone und ihre Akteure in- und auswendig. "Die niederländische Regierung hatte immer eine ausgezeichnete Arbeitsbeziehung mit Herrn Asmussen, und wir vertrauen darauf, dass er die Arbeit von Herrn Stark fortsetzen wird", sagte de Jager. Constancio bezeichnete ihn als für das Amt geeignet.
Ungeachtet des Rücktritts von Stark will Bundesbank-Präsident Jens Weidmann seine Arbeit im Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) fortsetzen. "Ich sehe keinen Grund dafür, Stark zu folgen", sagte Weidmann am Montag in Basel zu Journalisten. "Ich spüre, dass dies meine Überzeugung gestärkt hat, in der EZB für geldpolitische Stabilität und die Unabhängigkeit der Zentralbank zu arbeiten." Finanzmarktakteure sagten, eine der wichtigsten Fragen für Asmussen sei, wie er sich in Fragen der Anleihekäufen positioniert, gegen die Weidmann und Stark vehement opponieren. [Als Ja-Sager wäre er wohl genehm - A.L.]
http://www.ftd.de/politik/konjunktur/...cher-sicherheit/60103165.html
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