KÖHLER-BUCHVORSTELLUNG
Der Spuk der Eisernen Lady
Von Severin Weiland
Das Thema lautet Horst Köhler, aber das Interesse galt seinen Äußerungen zu Maggie Thatcher. In einem neuen Buch empfahl der künftige Bundespräsident CDU-Chefin Merkel, die Reformpolitik der früheren britischen Premierministerin als Maß zu nehmen. Nun erfährt er wieder einmal, welche Tücken das Mediengeschäft bietet.
Berlin - Horst Köhler, ab dem 1. Juli höchster Repräsentant der Bundesrepublik, ist an diesem Dienstag eigentlich in die Dependance der Dresdner Bank in Berlin gekommen, um ein Buch über sich selbst vorzustellen. Nun muss er sich zur Eisernen Lady äußern.
Hugo Müller-Vogg springt dem künftigen Bundespräsidenten bei. In der Agenturmeldung, sagt der frühere "FAZ"-Herausgeber, als er zu seinem Buch greift und daraus vorliest, sei Köhlers Antwort über Maggie Thatcher verkürzt wiedergegeben worden - "wie das so üblich ist".
"Offen will ich sein - und notfalls unbequem", heißt das Buch, in dem Müller-Vogg die Fragen gestellt hat. Darin findet der Leser Einblicke in das Leben Köhlers, seine Herkunft, seine Ehe, seine Überzeugungen, seine Arbeit als Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, sein Wirken als Direktor des Internationalen Währungsfonds. Und ein Zitat zu Maggie Thatcher.
Thatcher umschiffen
Noch bevor Köhler das 221 Seiten umfassende Buch überhaupt selbst ganz gelesen hat, wie er freimütig eingesteht, will er eine Nachricht richtig stellen, die am Pfingstmontag in einer Agenturmeldung so überschrieben wurde: "Merkel soll sich als Kanzlerin an Thatcher orientieren." Will Köhler, was die Premierministerin tat, als sie Ende der Siebziger mit einem radikalen Wirtschaftsprogramm neoliberale Geister in Hochstimmung versetzte und in der Arbeiterschaft Großbritanniens soziale Unruhen auslöste?
"Niemand soll Frau Thatcher kopieren", sagt Köhler im Licht durchfluteten Rund der Dresdner Bank. Allemal bedeute seine Aussage, "eigene Lösungen für eigene Schwierigkeiten zu finden."
Müller-Vogg liest die Passage sicherheitshalber noch mal vor, die für Aufregung gesorgt hat. "Sie sollte Maggie Thatcher nicht kopieren, aber bei der Tiefe und Breite der Reformpolitik durchaus an ihr Maß nehmen", heißt es da auf seine Frage, ob Merkel das Zeug habe, eine deutsche Maggie Thatcher, eine Reform-Kanzlerin zu werden.
Es ist eine Antwort, die viel Raum für Interpretationen lässt. Köhler will sich an diesem Dienstagvormittag nicht auf eine nachträgliche Textexegese einlassen. Was die Stichworte Tiefe und Breite und Maß angeht, verweist er mit einigen dürren Worten auf seine Dankadresse bei seiner Wahl durch die Bundesversammlung. Dort hatte er Reformen angemahnt. Schlauer ist zwar niemand durch seine Antwort - aber das Thema ist erst einmal umschifft.
Auch Köhler weiß: Maggie Thatcher, das löst selbst in Kreisen der Union, zumal auf dem Arbeitnehmerflügel und in der CSU, wahrlich keine Begeisterung aus. Und eine Debatte über Reformen à la Thatcher ist das letzte, was sich die Union zwölf Tage vor der Europawahl und dem Urnengang in Thüringen wünschen könnte.
Merkel, Köhler, Westerwelle: Wer treibt wen? Köhler hat lange Jahre in den USA gelebt, er war als Direktor des Internationalen Währungsfonds fern der Berliner Politikszene. Er ist, auch wenn CDU-Mitglied, kein Mann des Parteiapparats. Und weil das so ist, hat er sich, seit er am 4. März Kandidat von Union und FDP wurde, manches herausgenommen, was andere sich verkneifen würden: Merkel als Kanzlerin ins Gespräch gebracht, woraufhin ihm nahe gelegt wurde, mit solchen Bemerkungen vorsichtiger umzugehen. Hinter verschlossenen Türen in den NRW-Landtagsfraktionen von CDU und FDP die Irak-Politik der Bush-Regierung kritisiert. Kurzum: Er hat eigentlich nur das getan, was dem Buchtitel entspricht - "unbequem" und "offen" zu sein.
Köhler will das Fernsehen für seine Botschaften nutzen
An diesem Dienstag hat Manfred Bissinger, Ex-Herausgeber der "Woche" und Laudator, eingangs davon gesprochen, dass Köhler keine politischen Statements abgeben werde - aus Respekt vor dem derzeitigen Amtsinhaber Johannes Rau. Und doch kommt Köhler daran nicht vorbei - auch wenn er versucht, so gut es eben geht, im Unbestimmten zu bleiben. "Es ist nicht meine Absicht, ins operative Geschäft einzugreifen", beschreibt er seine künftige Rolle als oberster Repräsentant im Verhältnis zur Parteienpolitik. "Zumindest nicht bei allen möglichen Themen", sagt er.
Einen "Egotrip" eines Bundespräsidenten werde es nicht geben, aber an Diskussionen wolle er sich schon beteiligen. Und dann sagt er, so ganz nebenbei, er überlege auch, verstärkt das Fernsehen zu nutzen.
In welcher Form er die Debatten führen will, das lässt er offen. Der 61-Jährige macht aber dennoch klar, wo er vor allem zu hören sein wird: Bei den Themen Überalterung und Bevölkerungsentwicklung, der Frage, was die Gesellschaft zusammenhält. Auch an der Debatte, welche Rolle die Hauptstadt Berlin spielen soll, will er sich beteiligen.
Staatssekretär benannt
Köhler, das wird auch an diesem Dienstag deutlich, ist viel zu sehr Tatmensch, als dass er sich in die Rolle des Beobachters und Mahners drängen ließe. Er sei zwar noch dabei, sich zu organisieren, betont er. Doch eine erste personelle Entscheidung hat er an diesem Dienstag zu verkünden: Mit Michael Jansen wird ein langjähriger Vertrauter neuer Leiter des Bundespräsidialamtes. Der Jurist, einst Mitarbeiter im Büro von Außenminister Hans-Dietrich Genscher, ist wie Köhler CDU-Mitglied.
Als Staatsekretär des Bundespräsidialamtes hat er damit das Recht, künftig an den Sitzungen des Bundeskabinetts teilzunehmen, wie auch des BuEndessicherheitsrates. Viel ist in den letzten Wochen über die erste personelle Entscheidung Köhlers spekuliert worden - doch Jansen hatte niemand auf der Liste. Der Coup ist also Köhler und jenen, die ihm beiseite stehen, gelungen.
Fischer, Schröder und Köhler: Tadelnde Worte für die Ära Kohl Am Ende der Buchpräsentation hat Köhler sogar noch einige Worte für die Kohl-Ära parat, in der er im Bundesfinanzministerium unter Gerhard Stoltenberg und Theo Waigel als hochrangiger Beamter wirkte. Köhler hatte schon damals, Anfang der Neunziger, dem Kanzler widersprochen - seine Bemerkungen zum Politikstil unter Kohl gehören, selbst in ihrer dosierten Form, mit zu den lesenswertesten Passagen des Buches.
Am Dienstag hält Köhler für einen Augenblick Rückschau. Spricht über die Fehler, die bei der Vereinigung gemacht wurden. Und über den Beginn der Ära Kohl. Es wäre wünschenswert gewesen, wenn die Substanz des 1982 erarbeiteten Reformpapiers von Otto Graf Lambsdorff "auch von der Regierung Kohl konsequenter umgesetzt worden wäre."
Nicht alle Probleme seien der jetzigen Regierung anzulasten, betont er. Und dann, über einen historischen Umweg und bei der Betrachtung des Ostens, ist er doch wieder bei seinem Lieblingsthema, dem Umbau Deutschlands in Zeiten des weltweiten Wandels. Schon zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung 1990 "hätte man wissen müssen, dass Westdeutschland Strukturreformen braucht." Das, sagt Köhler, sei das "wichtigste Versäumnis".
spiegel
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