HANDELSBLATT, Donnerstag, 29. Juni 2006, 14:45 Uhr Ausblick für den Aktienmarkt Deutschland
?Dax hat die Talsohle durchschritten?
Die Aktienmärkte haben in den vergangenen Wochen einige Turbulenzen erlebt. Nun sind die Aktienstrategen wieder optimistischer. Für die zweite Jahreshälfte dürften Anleger wieder mit steigenden Kursen rechnen, lautet das Credo. Dementsprechend sind auch die Prognosen für den Dax-Jahresschlussstand.
Die Kurse an der Frankfurter Börse dürften bis zum Jahresende wieder steigen HB FRANKFURT. Hauptantrieb seien das robuste Gewinnwachstum der Unternehmen und eine historisch niedrige Bewertung der Aktien, so die Experten. Einer rasanten Aufwärtsentwicklung wie zu Jahresbeginn stünden aber die weltweit steigenden Zinsen und die schlechteren US-Wirtschaftsaussichten entgegen.
?Wir haben ein Umfeld der Superlative?, stellt Fondsmanager Trudbert Merkel von der Deka Bank fest. ?Das Wohl und Wehe des Aktienmarktes hängt aber an der Weltkonjunktur.? Globale Inflations- und Zinsängste dürften die Anleger vorsichtig agieren lassen. Für den deutschen Aktienindex prognostizieren 22 befragte Banken ein Niveau von durchschnittlich 5 975 Punkten zum Jahresende 2006. Im Dezember hatten die Analysten im Schnitt auf 5 721 Punkte getippt.
?Aktuell sind die Märkte noch ein bisschen zittrig, aber der Wirtschaftsmotor läuft, und ich bin sehr zuversichtlich für die kommende Berichtssaison?, sagt Aktienstratege Frank Schallenberger von der Landesbank Baden-Württemberg. ?Das Kurs-Gewinn-Verhältnis im Dax liegt aktuell bei etwa zwölf, im Jahr 2000 lag es bei 20, und die Unternehmen hatten im Gegensatz zu heute kaum Gewinnwachstum und waren hoch verschuldet?, konstatiert Merkel.
Die Erholung wird sich den Experten zufolge im Vergleich zur Rally zu Jahresbeginn allerdings in Grenzen halten. ?Das US-Wirtschaftswachstum wird sich deutlich abschwächen, und deshalb zieht jeder den Kopf ein?, sagt Helaba-Chefvolkswirtin Gertrud Traud. ?Dadurch sind die Chancen des deutschen Aktienmarkts eingeschränkt.?
In der Erwartung eines absehbaren Endes der Zinserhöhungen in den USA und der Hoffnung auf einen Konjunkturaufschwung in Deutschland hatten sich Anleger zu Jahresbeginn großzügig mit Aktien eingedeckt - bis sich US-Notenbankchef Ben Bernanke besorgt zum Inflationsanstieg äußerte und damit Mitte Mai eine weltweite Verkaufswelle an den Aktienmärkten auslöste. Der Dax fiel innerhalb eines Monats um 15 Prozent.
Fusionsfantasien treiben Kurse
Inzwischen dürfte die Talsohle durchschritten sein, meinen die Experten. Vom Jahrestief Mitte Juni bei 5243 Punkten hat sich der Dax inzwischen um 300 Punkte hochgekämpft. Vor den folgenschweren Bernanke-Aussagen Mitte Mai hatte der Leitindex mit 6162 Punkten ein Fünf-Jahres-Hoch markiert.
Zu den größten Gewinnern im ersten Halbjahr zählen vor allem in Übernahme-Kämpfe verwickelte Unternehmen: die von Bayer übernommene Schering ist mit einem Kursplus von mehr als 50 Prozent Spitzenreiter. Thyssen-Krupp-Aktien kletterten um mehr als vierzig Prozent. Der Industriekonzern hofft immer noch, von der Megafusion in der Stahlbranche zwischen Mittal und Arcelor zu profitieren und den zu Arcelor gehörenden kanadischen Stahlerzeuger Dofasco übernehmen zu können. Die beginnende Konzentrationswelle in der internationalen Börsenlandschaft verhalf den Papieren der Deutschen Börse nochmals zu einem Plus von mehr als 20 Prozent, auch wenn der Betreiber des deutschen Finanzplatzes mit seinen Übernahmeplänen bislang scheiterte. 2005 hatten hoffnungsfrohe Anleger für eine Verdoppelung des Deutsche-Börse-Aktienkurses gesorgt.
Zu den Schlusslichtern in den ersten sechs Monaten 2006 zählt wie schon im vergangenen Jahr die Deutsche Telekom, die seit Januar nochmals ein Zehntel an Wert einbüßte. Genauso ging es dem Autohersteller Daimler-Chrysler und dem Reiseveranstalter Tui.
Solide Geschäftsentwicklung hilft
Die in den vergangenen Wochen begonnene Erholung am Aktienmarkt wird sich nach Einschätzung der Experten mit Beginn der Berichtssaison zum zweiten Quartal Mitte Juli beschleunigen. ?Ich erwarte nach wie vor, dass sich Gewinne und Margen noch einmal verbessert haben?, sagt Commerzbank-Stratege Ralf Grönemeyer. Dies werde dem Markt neue Impulse verleihen und könne ihn zeitweise auf das Niveau von Mitte Mai hieven.
Skeptischer beurteilen die Experten das voraussichtliche Gewinnwachstum der folgenden Quartale. ?Ausgehend von einer konjunkturellen Verlangsamung in den USA werden die deutschen Unternehmen ein bis zwei Gänge im zweiten Halbjahr zurückschalten müssen?, schätzt Volkswirt Andreas Rees von der HVB. Hinsichtlich des absehbaren Kurspotenzials setzen die Aktienstrategen inzwischen gern auf defensive Werte wie Pharma- oder Industriewerte.
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