GameStar.de-Artikel vom 04.07.2008 um 16:42 Uhr - Druckansicht Die 10tacle-Krise Game Over im Millionenspiel: Die Produzenten von Panzers, Totems und Elveon kämpfen ums Überleben. Wie konnte es so weit kommen? Und was wird aus den Spielen? Seit fast einem Jahr befindet sich der Aktienkurs von 10tacle im freien Fall.Seit fast einem Jahr befindet sich der Aktienkurs von 10tacle im freien Fall. Die Aktien für 10tacle stehen schlecht - im wahrsten Sinne des Wortes: Wer vor einem Jahr 10.000 Euro in den deutschen Spiele-Produzenten investiert hat, würde heute für seine Firmenanteile nur noch etwas mehr als 1.000 Euro bekommen. Doch nicht nur die Anleger bekommen die 10tacle-Krise zu spüren: Im Rahmen sogenannter »Umstrukturierungsmaßnahmen« entließ das Darmstädter Unternehmen im März rund ein Viertel seiner knapp 300 Mitarbeiter, das firmeneigene Entwicklerteam in der Slowakei (arbeitete an Elveon) wurde komplett dichtgemacht. Daher kam das Geld Das Actionspiel Elveon wurde für das Weihnachtsgeschäft 2007 angekündigt und sollte 10tacle zum internationalen Durchbruch verhelfen. Mittlerweile hat es ein zweistelliges Millionen-Budget verschlungen und ist immer noch weit von der Fertigstellung entfernt.Das Actionspiel Elveon wurde für das Weihnachtsgeschäft 2007 angekündigt und sollte 10tacle zum internationalen Durchbruch verhelfen. Mittlerweile hat es ein zweistelliges Millionen-Budget verschlungen und ist immer noch weit von der Fertigstellung entfernt. Dabei hatte 2003 alles so gut angefangen. 10tacle bekam das, wovon die anderen deutschen Spielefirmen nur träumen konnten: ein millionenschweres Startkapital. Das beschaffte man sich durch ein seinerzeit innovatives Finanzierungskonzept, das ähnlich wie bei vielen Hollywood-Filmen funktioniert. Vereinfacht ausgedrückt: Gut betuchte Privatanleger investierten in projektbezogene Steuerspar-Fonds. Die Mindest-Anlagesumme betrug damals satte 25.000 Euro. So kamen allein für den ersten 10tacle-Gaming-Fonds rund 14 Millionen Euro zusammen, mit denen die Rennsimulationen [1] GT Legends und [2] GTR 2, das mäßige Action-Adventure [3] Black Buccaneer und vor allem das ambitionierte Actionspiel Elveon finanziert werden sollten.
Trotz der letztlich enttäuschenden Verkaufszahlen selbst von Spitzentiteln wie GTR 2 hätte das laut Brancheninsidern funktionieren können. Denn auch bei kommerziellen Flops bekommen Entwickler wie 10tacle in der Regel immer noch eine zuvor vereinbarte Garantiezahlung vom jeweiligen Publisher (im Fall von GTR 2 war das Atari), mit der man finanziell solide kalkulieren kann. Womit die 10tacle-Bosse jedoch nicht gerechnet haben, war das Elveon-Desaster: Die Elfen-Prügelei befindet sich mittlerweile seit über vier Jahren in der Entwicklung, hat locker einen zweistelligen Millionenbetrag verschlungen und ist nach wie vor weit von einer Fertigstellung entfernt.
Darum wurde investiert DIE GEFÄHRDETEN 10TACLE-PROJEKTE: 1. Codename Panzers: Cold War ist fast fertig und dürfte auch bei einer 10tacle-Pleite noch erscheinen.DIE GEFÄHRDETEN 10TACLE-PROJEKTE: 1. Codename Panzers: Cold War ist fast fertig und dürfte auch bei einer 10tacle-Pleite noch erscheinen. 2. Elveon sollte Weihnachten 2007 erscheinen, doch seit über einem Jahr herrscht Funkstille.2. Elveon sollte Weihnachten 2007 erscheinen, doch seit über einem Jahr herrscht Funkstille. Das verlangt eigentlich nach einem rigiden Sparkurs - nur kann sich den ein börsennotiertes Unternehmen wie 10tacle ironischerweise gar nicht leisten. Denn die Aktienanleger verlangen nach steigenden Umsätzen. Und wenn das nicht über Gewinne funktioniert, dann muss eben mehr investiert werden.
Also sammelte 10tacle weiter fleißig Anlegerkapital, mit dem sich die Firma im aberwitzigen Tempo zusätzliche Entwicklerstudios hinzukaufte oder neu gründete: die Neocron-Entwickler Reakktor, das belgische Team Elsewhere Entertainment, das mittlerweile wieder geschlossene 10tacle Slovakia, die Rennspielexperten von Blimey (GTR), Teile der englischen Auftragsentwickler von Climax (MotoGP-Reihe), zuletzt die Panzers-Macher Stormregion. Das ist schiefgelaufen Am Parkours-inspirierten Action-Adventure arbeiten ehemalige Outcast-Entwickler. Auch Totems hängt dem Zeitplan weit hinterher.Am Parkours-inspirierten Action-Adventure arbeiten ehemalige Outcast-Entwickler. Auch Totems hängt dem Zeitplan weit hinterher. Die Online-Weltraumballerei Black Prophecy wird derzeit in Hannover von den Neocron-Machern Reakktor entwickelt. Geplanter Erscheinungstermin: Ende 2008.Die Online-Weltraumballerei Black Prophecy wird derzeit in Hannover von den Neocron-Machern Reakktor entwickelt. Geplanter Erscheinungstermin: Ende 2008. Fehlen eigentlich nur noch die Spiele, und genau hier liegt das Hauptproblem von 10tacle: Keines der oben erwähnten Studios hat bislang ein Projekt fertig gestellt. Elveon wird von Climax gerade komplett umgebaut und kommt frühestens 2009. Blimey arbeitet seit Jahren an einer Ferrari-Simulation, von der man bislang noch nicht mal Bilder gesehen hat. Selbst das eigentlich vollendete Codename Panzers: Cold War rotiert seit Monaten in der Warteschleife. Schuld daran sind laut Firmeninsidern angeblich Performance-Probleme. Anderen Gerüchten zufolge soll es Differenzen zwischen 10tacle und dem Panzers- Vertriebspartner Electronic Arts geben.
So oder so: Die Ausgaben von 10tacle wurden im Lauf der Jahre immer größer, ohne dass die Erträge durch fertig gestellte Spieleprojekte auch nur annähernd mithalten konnten. Auch auf ihre Fonds-Finanzierung kann sich die Firma nicht mehr verlassen. Denn durch eine Gesetzesänderung fiel 2006 der Steuerspar-Aspekt der Fonds weg, sodass sie für die Anleger an Attraktivität verloren haben. Vielleicht einer der Gründe dafür, dass die Fondsgesellschaften angeblich noch über 13 Millionen Schulden bei 10tacle haben. Das behauptet zumindest die Geschäftsführung des Unternehmens.
Deshalb ging?s so lange gut Als AG muss 10tacle regelmäßig seine Geschäftszahlen veröffentlichen. Finanzexperten werfen dem Unternehmen eine »kreative« Bilanzierung vor.Als AG muss 10tacle regelmäßig seine Geschäftszahlen veröffentlichen. Finanzexperten werfen dem Unternehmen eine »kreative« Bilanzierung vor. Wieso konnte 10tacle trotz der eigentlich offensichtlichen Schwierigkeiten über Jahre hinweg fröhlich weiter Investorengeld sammeln? Ganz einfach: Trotz der Verkaufsflops und Entwicklungsverzögerungen waren die Geschäftszahlen - und nur die interessieren die Anleger - selbst für das erste Halbjahr 2007 noch richtig gut, zumindest auf den ersten Blick. Der Umsatz stieg gegenüber dem ersten Halbjahr 2006 von 13 auf fast 19 Millionen Euro, der betriebliche Gewinn (EBIT) wuchs von 2,3 auf fast 3,4 Millionen Euro.
Die Probleme werden erst beim genaueren Hinschauen sichtbar. Wirtschaftsjournalisten wie Armin Brack, Chefredakteur des Magazins »Geldanlage-Report«, werfen der 10tacle-Geschäftsführung eine »kreative Bilanzierung« vor. Vereinfacht zusammengefasst: Die Manager haben erbrachte Eigenleistungen von vier Millionen Euro - sprich Entwicklungskosten - auf der Habenseite verbucht. Ein zwar legaler, aber unter Finanzexperten höchst umstrittener Trick, mit dem ein Unternehmen seinen Wert erhöhen kann. Denn gerade bei der Spieleentwicklung dauert es Jahre, bis aus der erbrachten Eigenleistung schließlich ein fertiges Spiel und somit auch ein echter Gewinn resultiert. Außerdem habe 10tacle keinerlei finanzielle Sicherheitspolster (sogenannte Rückstellungen) für Entwicklungsverzögerungen eingeplant - angesichts des Elveon-Debakels geradezu fahrlässig. Das sind die Folgen Missmanagement, verpatzte Spiele-Entwicklungen, aber auch Pech haben dazu geführt, dass die Millionenblase 10tacle jeden Tag platzen könnte. Sollte dies tatsächlich passieren, verlieren nicht nur über 200 Leute ihren Job, es würde wohl auch das Aus für den Großteil der 10tacle-Projekte bedeuten - egal ob Elveon, Blimeys Ferrari-Spiel, das vielversprechende Action-Adventure Totems oder Reakktors Online-Weltraumballerei Black Prophecy. Einzig das nahezu fertige Codename Panzers: Cold War dürfte es noch in die Verkaufsregale schaffen. So stehen die Chancen Kann 10tacle noch gerettet werden? Wenn, dann zumindest nicht mehr vom Firmengründer Michele Pes. Der erklärte im Mai seinen Rücktritt, ein halbes Jahr nach dem verheerenden Kurssturz und offensichtlich auf Druck des Aufsichtsrats. Die neue Geschäftsführung muss nun vor allem das Vertrauen der Anleger zurückgewinnen, um die Pleite einer der größten deutschen Spielefirmen noch abzuwenden.
Ob dies gelingt, bleibt jedoch mehr als fraglich. Die Veröffentlichung der Geschäftszahlen für das Gesamtjahr 2007 wurde fest für den 18. April versprochen - bis heute ist nichts passiert. Vor Bekanntgabe dieser Zahlen möchte man jedoch nichts sagen, auch eine Interview-Anfrage von GameStar wurde mit dieser Begründung abgelehnt. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. Aber im Krisenfall 10tacle liegt sie bereits auf der Intensivstation.
Enthaltene Links: [1] http://www.gamestar.de/spiele/sport/33297/gt_legends.html [2] http://www.gamestar.de/spiele/sport/34797/gtr_2.html [3] http://www.gamestar.de/spiele/action/34520/black_buccaneer.html © IDG Entertainment Media GmbH - alle Rechte vorbehalten
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