Staatliche Besitzstände und Monopole auf dem Prüfstand Im Visier der Europa-Richter Von Wolf Albin Der Europäische Gerichtshof (EuGH) entscheidet 2008 viele wichtige Verfahren, die das deutsche Recht stärker beeinflussen als manches Reformgesetz. Das reicht von den Vorteilen für die Post bei der Mehrwertsteuer, der Reform des Sportwettenmonopols bis hin zu den Tariftreueklauseln bei öffentlichen Aufträgen oder dem Apothekenschutz. Behalten die Luxemburger Richter ihre bisherige Spruchpraxis bei, sind in vielen Bereichen weitere Liberalisierungen zu erwarten. Apothekenschutz Jedermann kennt seinen Apotheker. Denn hierzulande muss eine Apotheke durch einen Apotheker oder wenigstens eine aus Apothekern bestehende Personengesellschaft geführt werden. So steht es im Apothekengesetz. Provokativ hatte die früher in Deutschland nur als Internet-Apotheke auftretende DocMorris N.V. nun aber doch eine Apotheke in Saarbrücken übernommen, obwohl deren Vorstandsvorsitzender Ralf Däinghaus kaum selbst hinter dem Tresen stehen dürfte. Ein klarer Gesetzesverstoß. Denn Kapitalgesellschaften müssen draußen bleiben. Sie dürfen keine Arzneimittel an Verbraucher abgeben. Dieses Fremdbesitzverbot versperrt den Markt für ausländische Kapitalgesellschaften, die dieses Geschäft in anderen EU Staaten betreiben, argumentiert man bei DocMorris. Es beugt dem Arzneimittelmissbrauch vor, ist das gängigste Gegenargument. Hinter dem Verbot steht auch die nicht unberechtigte Angst vor vertikalen Kartellen. Pharmaunternehmen sollen in Deutschland keine eigenen Ketten aufbauen können. Wahrscheinlich wird den EuGH diese Argumentation aber nicht mehr überzeugen (C-172/07). So haben die Richter vergleichbare Beschränkungen bei griechischen Optikern (C-140/03) unter Verweis auf den offenen Binnenmarkt verworfen. Der Apothekenmarkt dürfte sich demnach bald kräftig verändern. Mehrwertsteuerprivileg Bedroht ist auch der Wettbewerbsvorsprung, den die Deutsche Post durch die Befreiung von der Mehrwertsteuer genießt. Während die private Konkurrenz 19 Prozent Mehrwertsteuer erheben muss, ist das Staatsunternehmen Post davon befreit. Dieses Privileg ist sogar in einer EU-Richtlinie festgeschrieben. Ein Vorsprung vor den Wettbewerbern, der noch aus der Zeit der Monopole stammt. Ob dies im Zeichen der Privatisierung zeitgemäß ist und noch dem gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts entspricht, werden die Europarichter an Hand eines Falles aus Großbritannien zu klären haben (C-357/07). Tariftreueklausel Um neue protektionistische, aber auch arbeitnehmerschützende Bestimmungen geht es, wenn das Gericht im nächsten Jahr sein Urteil zum neuen niedersächsischen Vergaberecht fällt. Das Land Niedersachsen hat eine Tariftreueklausel festschreiben lassen, wonach Unternehmen, die sich nicht an geltende Tarifverträge halten, Vertragsstrafe zu zahlen haben oder sogar von der öffentlichen Auftragsvergabe ausgeschlossen werden (C-346/06). Nationale Alleingänge beim Lohnniveau verstoßen grundsätzlich gegen die EU-Entsenderichtlinie, wenn sie über die dort geregelten Mindeststandards hinausgehen. Grundsätzlich gelten für Unternehmen nämlich die Lohn- und Tarifbedingungen des jeweiligen Heimatstaates. Das Tariftreuegesetz nimmt ihnen genau diesen Vorteil, weil es deutsches Tarifrecht auch dort verpflichtend macht, wo es über die Mindeststandards hinausgeht. Wie der Gerichtshof letztlich entscheiden wird, ist offen. Der Generalanwalt hatte im September letzten Jahres noch für den Erhalt der Tariftreueklausel plädiert. Ende 2007 dann hatte der Gerichtshof mit Blick auf die Entsenderichtlinie sogar gewerkschaftliche Streikmaßnahmen spektakulär verboten (C-341/05). Sportwettenmonopol Auch beim Sportwettenmonopol werden die Spielräume des deutschen Gesetzgebers ein weiteres Mal ausgelotet. Dabei stellt sich die Frage, ob es mit EG-Recht vereinbar ist, wenn mit Spielcasinos und Pferdewetten einige Bereiche des Glücksspiels für den Wettbewerb freigegeben werden, während mit Lotto und Sportwetten das Gros des Marktes weiterhin im staatlichen Monopol verbleibt. Der EuGH hatte hier früher eine kohärente, sprich eine zusammenhängende Lösung gefordert. Ob der Gerichtshof solche Insel-Liberalisierungen im Meer des staatlichen Glücksspielmonopols gutheißen wird, ist nicht abzusehen, steht aber ebenfalls zur Entscheidung an (C-316/07). Um einen Streit ganz grundsätzlicher Natur geht es dagegen bei einer Vorlage des VG Köln (C-409/06). Das Verwaltungsgericht fragte sich, ob die vom Bundesverfassungsgericht dem deutschen Gesetzgeber zur Reform des Sportwettenmonopols eingeräumte Übergangsfrist von einem Jahr mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar ist. Besonders brisant: Sollte der EuGH den von Karlsruhe eingeräumten Zeitaufschub als verzögerte Umsetzung verurteilen, würde der EuGH das BVerfG damit zu einem einfachen deutschen Gericht zurechtstutzen. Einem Gericht, das zwar über der Verfassung, aber unter dem EU-Recht steht. Wie die Verfassungshüter auf ein solches Urteil reagieren würden, zählt zu den bedeutensten Fragen der letzten Jahrzehnte. Neben diesen großen Fällen gibt es eine Vielzahl weiterer wichtiger Verfahren. So wird sich der EuGH mit einer Klage des Lebensmitteldiscounters Lidl beschäftigen, der sich dagegen wehrt, dass seine Auslandsverluste steuerlich nicht berücksichtigt werden, obwohl seine Gewinne nach einem Doppelbesteuerungsabkommen ebenfalls ungeschoren bleiben (C-416/06). Vergaberecht Besonders für die öffentliche Hand interessant ist eine Klage Deutschlands gegen eine Mitteilung der Kommission zum Vergaberecht (T-258/06). In einer sogenannten Unterschwellenmitteilung versucht die EU-Kommission die Veröffentlichung von Aufträgen auch dort zu erreichen, wo sie bislang als unter den Schwellenwerten liegend nicht notwendig war. Dieses Mehr an Bürokratie wird der EuGH aber wahrscheinlich nicht unterstützen. Die Richter deuteten in anderer Sache (P-507/03) schon an, dass die Kommission unterhalb der Schwellenwerte kein Klagerecht besitzt und ihre Mitteilung daher nicht rechtsverbindlich ist. Noch vor der Weihnachtspause ist beim Gerichtshof jetzt endlich auch ein Eilverfahren eingerichtet worden, damit Kläger in besonders dringenden Fällen nicht die üblichen zwei Jahre Verfahrensdauer abwarten müssen. http://www.wiwo.de/handelsblatt/im-visier-der-europa-richter-261597/
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