Vier Räder für ein Halleluja Wenn Vollgas eine Religion ist, dann ist GQ-Mann Kurt „Thunder“ Molzer ihr Prophet. Seine Mission: Fahre in weniger als vier Stunden von München nach Hamburg – inklusive Tankstopps 3.10 Uhr, zweiter Stopp, schon in Hessen, Tankstelle Uttrichshausen-Ost, A7. Nach dem Zahlen geh ich pinkeln. Im Laufschritt wieder zum Wagen zurück. Aber ich finde den Schlüssel nicht mehr. Ich suche sämtliche Taschen ab. Vergeblich. Ich renne nochmal in den Shop: „Hab ich hier meinen Schlüssel vergessen?“ – „Ne, da liegt nichts.“ Ich renne zum Wagen, hüpfe wie Rumpelstilzchen im Kreis und schreie an der menschenleeren Tankstelle: „Wo ist denn bitte dieser Scheißschlüssel?“ Viel-leicht auf dem Klo! Tatsächlich, da liegt er, auf dem Boden unter dem Urinal. Macht nichts, man hat es ja am Wochenende zum Glück nicht so eilig. Wütend über die eigene Blödheit, fliege ich die Kasseler Berge an – zu wütend, wie sich gleich herausstellt. Der Asphalt an der Schlüsselstelle der Route ist feucht und rutschig. Eine Bergab-Rechtskurve: Erst geht mir das Talent, dann beinahe die Straße aus. Ich bin eingangs der Kurve zu schnell und überbremse. Das eigene Heck über-holt mich und ich denke „Gute Nacht, Idiot!“ Irgendwie kann ich den Ferrari doch auf der Straße halten. Ich bringe ihn schlin-gernd zum Kurvenausgang und fahre den Rest der Kasseler Berge wie ein Dorfpfarrer. Trotzdem: Ich bleibe gut im Rennen. Die Uhr läuft seit zwei Stunden und 45 Minuten – und ich bin schon in Hildesheim. Hier lege ich den dritten und letzten Boxenstopp ein (Tankstelle Hildesheimer Börde Ost). Es ist 20 Minuten nach vier. Wieder eine total vermurkste Sache. Die Zahlmaschine für die EC-Karten funktioniert auch nach dem x-ten Versuch nicht und ich muss als Sicherheit meinen Führerschein dalassen. An der Zapfsäule hinter mir steht ein Audi mit bulgarischer Nummer. Der Fahrer – schwarzer Schnauzbart, goldener Schneidezahn, Trainingsanzug – deutet auf den Ferrari und reckt den Daumen in die Höhe: „Gut Auto.“ – „Ja“, sage ich. Er gibt mir zu verstehen, dass er gerne tauschen möchte. „Gleich, wenn ich den Autobahnchef besiegt habe, okay?“ Der Bulgare versteht exakt Bahnhof und ich stürme die letzte Etappe. Ab Hannover läuft ein anderer Film. Ich fahre auf der schnurgeraden Autobahn kons-tant 0,25 Mach, also 300 km/h, und mehr. Irgendwann geht es drei bis vier Minuten lang ununterbrochen mit Topspeed 325 dahin. Wie sich das anfühlt? Du nimmst nicht mehr wahr, was links und rechts von dir passiert. Links und rechts ist verschwommen. Was du dafür umso klarer siehst, ist dieses verdammt schmale, graue Band vor dir, das in Wirklichkeit eine sehr breite Autobahn ist. Der Ferrari 575M Maranello selbst fühlt sich dabei immer noch erdverbunden und souverän an. Du sitzt drin und lenkst, als wäre nichts. Obwohl: Plötzlich geht bei Höchstgeschwindigkeit die Warnlampe „Motorhaube offen“ an. Ich seh das Ding schon hochfliegen und mich in dem Ferrari Purzelbäume bis nach Sylt schlagen. Aber nach dem ersten Schreck ist mir klar, was da passiert: Die Luftgeschwindigkeit oberhalb der Motorhaube ist bereits so hoch, dass Unterdruck entsteht. Der Unterdruck verformt die Motorhaube (wenn auch nur um Millimeter) und löst so die Warnlampe aus. Es besteht nicht die geringste Gefahr. Ein blöder Gedanke kommt mir trotzdem noch bei dem Höllentempo: „Was mach ich eigentlich, wenn jetzt ein Reifen platzt?“ Die Antwort ist einfach: „Nichts mehr.“ 5.09 Uhr. Ich überfahre in Hamburg-Harburg die Stadtgrenze, nach 760 gefahrenen Kilometern. Seit der Abfahrt aus München sind exakt drei Stunden und 34 Minuten vergangen. Zieht man die Zeiten für die Tankstopps ab, 20 Minuten insgesamt, ergibt das eine Netto-Fahrzeit von drei Stunden und 14 Minuten und eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 242 km/h. Ich weiß selbst, dass es schneller geht, sagen wir, in zwei Stunden und 59 Minuten. Oder was sagst du, Autobahnchef? Weiter gehts hier: Hier gehts weiter: http://www.gq-magazin.de/gq/9/content/07410/page2.php
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