Kinobesuch Blutrache am Westen Von Eberhard Rathgeb
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16. Februar 2006 Ich fuhr nach Berlin, fuhr in die Diaspora und bekam dort mein erstes echtes Integrationsproblem. Ich habe mir in Berlin einen Film angesehen. Nicht auf der Berlinale, sondern im Abseits, am Rand, dort, wo sich gegenwärtig etwas bewegt, wo sich etwas verschiebt. Dort wurde es mir auch etwas unheimlich zumute. Denn für einige Stunden geriet ich mitten in Berlin in die Fremde und schaute in eine Zukunft, in der ich nicht mehr vorkomme - und wenn, dann im besten Falle als ein Integrationsproblem.
Ich war in Berlin, aber auch in der Türkei - nicht nur deswegen, weil ich hier viele Türken traf. In Berlin-Neukölln leben sehr viele Türken, und deutsche Familien, die sich das leisten können, ziehen in andere Stadtteile, wenn ihre Kinder in die Schule gehen sollen. Das wußte ich. Aber was ich nicht wußte: daß ich mitten in Berlin ein echtes Integrationsproblem kriegen würde. Eine Art Integrationsproblem Ich ging ins Karli-Kino in Neukölln. Das Kino liegt in einem dieser elenden riesigen nahezu luftlosen gläsernen Einkaufszentren an einer langen Straße, an der Geschäfte sich entlangziehen. In dem Kino lief eine ganze Reihe von Filmen, die ich alle nicht kenne und die ich auch alle nicht kennenlernen möchte, weil schon die Plakate das Dümmste erwarten lassen. Die Leute amüsieren sich gerne auf die billigste Art, sie schauen ja auch stundenlang Fernsehen und knallen sich ihr Hirn mit dumpfen Lauten und Rhythmen zu. Auch da habe ich eine Art Integrationsproblem, aber eines, das nichts mit Freiheitsbeschränkungen, sondern nur mit Freiheitsfolgen zu tun hat. In dem Kino in Neukölln, wie auch in anderen Kinos in deutschen Städten, läuft zur Zeit der Film ?Tal der Wölfe?. Das ist ein türkischer Film über das Treiben der Amerikaner im Irak. Es ist, sagen wir es rundheraus: ein antiamerikanischer, antichristlicher, es ist ein türkisch-nationalistischer und promuslimischer Streifen - denn ihn Film zu nennen wäre angesichts der miesen cineastischen Qualitäten maßlos übertrieben. Ein Film für die ganze türkische Familie Ich bin in die Abendvorstellung gegangen - der Film läuft mehrmals am Tag -, und zwar mit einem mulmigen Gefühl, weil ich das Gewaltkino hasse. Ach was, hatte der türkische Taxifahrer gesagt und gelacht, der Film sei nicht brutal. Dein Wort, meine Hoffnung, sagte ich mir. Dann saß ich in einem riesigen Saal, in den mehrere hundert Zuschauer reingehen, und der Saal war proppenvoll. Schon an der Kasse hatte ich unter lauter Türken gestanden, und nun saß ich unter lauter Türken, und zwar, das war das Erstaunliche: unter jungen Männern und jungen Frauen, alten Männern und alten Frauen, unter Vätern und Söhnen, Müttern und Töchtern. So kam ich in Berlin unter die türkischen Familien. Der Film ist in Deutschland von achtzehn Jahren an freigegeben. Ohne diese Altersbeschränkung würde sich hier wahrscheinlich die ganze Familie einfinden, wie in der Türkei, wo diese Altersbeschränkung - schon das ist ungeheuerlich - nicht gilt. Vater, Mutter, Kind: Entweder, dachte ich mir, geht die ganze Familie ins Kino, weil es was zu lachen gibt, worüber Jung und Alt gemeinsam lachen können, oder weil es hier etwas zu lernen gibt, was Jung und Alt gemeinsam lernen sollen. Es gab etwas zu lernen. Ein Türke hatte mir am Nachmittag erzählt, daß seine Frau gerade im Kino sei und sich den Film ansehe; er selbst werde am Abend in die Vorstellung gehen, sein Sohn habe den Film schon gesehen - der Film sei gut und richtig. Der Film lief mit deutschen Untertiteln. Dann predigt der Scheich, wie die Muslime siegen werden Es geht in dem Film zuerst um die türkische Ehre und dann um die völkerverbindende Allmacht der muslimischen Religion. Die beiden, Ehre und Religion, lassen sich nicht trennen. Die Helden sind ein junger türkischer Geheimagent und ein alter weiser Scheich, der den muslimischen Stämmen und Völkern predigt: nicht vor dem Feind aus dem Westen zu resignieren, sondern sich in der kämpferischer Geduld eines echten Muslims zu üben. Die Amerikaner sind degeneriert, ihr Christentum nur der höhere Wahn für einen Kreuzzug gegen die traditionalen muslimischen Gesellschaften. Die Muslime werden, so der Scheich, siegen, wenn sie sich in Eintracht üben und am alleinseligmachenden Glauben festhalten. Das also sprach der Scheich, und seine Wort kamen wie aus uralten Zeiten und fielen mitten hin in die Zuschauerreihen in Berlin-Neukölln und fallen in die Zuschauerreihen in anderen deutschen Städten, fielen den Hunderten von Türken zu, die hier saßen und draußen zu hören bekommen, daß sie sich integrieren sollen. Es ist ja nur ein Kinosaal in Neukölln Was der Scheich sagte, das war eine Botschaft für die Gegenwart und für die Zukunft der Muslime, war eine Botschaft über ein konsequentes Leben in der Diaspora - und es war klar, daß diese Diaspora ebenfalls in Berlin-Neukölln liegen kann, egal was Migrationsforscher und Integrationstheoretiker sagen. Echte Integration konnte es nach dieser Botschaft nicht geben, sondern nur ein Aushalten in der Fremde und ein Festhalten am Eigenen, bis der Frieden mit Allah über die ganze Welt kommt. Jetzt bekam plötzlich ich meine ersten echten Integrationsprobleme unter den Türken in Berlin. Ich hielt mich an der Vorstellung fest, daß ich ja nur in einem Kinosaal in Neukölln saß, gleichsam in einer Gesellschaft sehr kurzer Dauer. Doch mußte ich, während der Scheich seine Worte in die Welt schickte, daran denken, welche Integrationsprobleme ich und all die viel Jüngeren in Berlin (und nicht nur in Berlin) in einigen Jahrzehnten bekommen würden, und zwar nicht mehr nur in einem Kinosaal in Neukölln, sondern schon weit draußen vor dem Kino in der Wirklichkeit. Im Februar 2006 lernte ich mitten in Berlin mein Minderheitengefühl kennen. Wie ?Spiegel-Online? berichtete, standen in Berlin-Wedding nach der Vorstellung des Films junge Türken auf und skandierten ?Allah ist groß?. So weit ist es an diesem Abend in Neukölln nicht gekommen, aber das ist auch nicht nötig gewesen. Text: F.A.Z., 16.02.2006, Nr. 40 / Seite 37 Bildmaterial: Maxximum Film
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