dpa-AFX: REPORTAGE: Stilles Ende einer Ära - Börsenparkett im Wandel
FRANKFURT (dpa-AFX) - Auf dem Frankfurter Börsenparkett legen Händler
die Preise für Aktien fest. Noch. Ab dem 23. Mai übernehmen diesen Job endgültig
Computer. Der Präsenzhandel wird damit abgeschafft. Doch kaum jemand wird das
mitbekommen - dabei ist es das Ende einer Ära.
Über der faltbaren Tür einer winzigen, fensterlosen Kammer hängt ein
Schild mit der Aufschrift 'Sanwa Bank'. Drinnen stehen schief gestapelte
Wasserkisten. Im Kämmerchen nebenan lehnen zusammengeklappte Stehtische. Im
nächsten ist bis auf eine Borte an der Wand gar nichts mehr. Die Hinterzimmer
der Frankfurter Börse sind weit weg vom pulsierenden Leben der Bankenmetropole.
Sie sind Zeugen einer Zeit vor Computer und Internet, quasi der Zeit vor dem
ersten großen Wandel. Der zweite kommt im Mai: Endgültig sollen dann alle
Aktienpreise vom Computer festgestellt werden.
'Rumpelkammern', nennt Torsten Kuck vom Wertpapierhandelshaus N.
M. Fleischhacker in Frankfurt die Kleinraumbüros jetzt scherzhaft. Früher hatten
Banken aus aller Welt eine Kammer in der Frankfurter Börse, ein paar
Treppenstufen vom berühmten Handelssaal entfernt. In den Kammern standen nur ein
Fax und ein Telefon, selten ein Stuhl. Kam ein Auftrag herein, rannte der Banker
auf das Parkett und führte ihn aus. 'Heute schicken alle Banken ihre Orders
elektronisch her. Die Räume werden nicht mehr gebraucht', erklärt Kuck.
Kuck ist Skontroführer. Er findet den Preis einer Aktie heraus, ist
gewissermaßen der Mittelsmann zwischen Käufer und Verkäufer eines Wertpapiers.
Skontroführer haben Präsenzpflicht: Während der Handelszeit montags bis freitags
zwischen 9.00 und 20.00 Uhr - voraussichtlich ab 1. Juni schon ab 8.00 Uhr -
muss permanent rund die Hälfte der mehr als 200 Skontroführer auf dem Parkett
präsent sein. Skontroführer wird es ab dem 23. Mai nicht mehr geben. Das
Computerprogramm Xetra übernimmt dann die Preisfeststellung. Verwaisen wird das
Parkett aber nicht.
Aus den Skontroführern werden die sogenannten Spezialisten, die zum
Beispiel eingreifen, wenn der Computer an Kompromisslosigkeit scheitert:
Manchmal ist nämlich der geforderte Mindestpreis für eine Aktie höher als der
maximal gebotene Betrag des Aktienkäufers. Xetra würde dann keine Schnittstelle
am Markt finden. 'Dann passiert erst mal nichts', sagt Kuck. 'Wir Spezialisten
greifen ordnend und überwachend ein.' Der Mensch muss also wieder ran: Der
Spezialist selbst tritt dann als Käufer beziehungsweise Verkäufer auf.
'Liquiditätsspendend' nennt Kuck das.
Kuck erklärt seinen Job, während er durch die unprominenten
Hinterzimmer im Börsengebäude schlendert. Klar, auch jetzt schon ist die
Preisfindung ein Nebeneinander von Mensch und Computer. Weit über 90 Prozent des
Handels finden derzeit auf Xetra statt. Die Frage nach Wehmut auf dem Parkett
soll Emotionen provozieren, aber Kuck reagiert professionell, souverän, kühl:
'Sicherlich nicht. Mein Gott, vielleicht gibt's eine kleine Abschiedsfeier.'
Für den Privatanleger ändert sich in der Handhabung nicht
viel. Vorteile ergeben sich eher auf internationaler Ebene: Investoren aus dem
Ausland hatten bisher keinen direkten Zugang zu kleinen börsennotierten
Unternehmen. Dank Xetra wird es laut Kuck einfacher, internationales Kapital
anzuwerben. Kleinere Unternehmen haben dadurch bessere Chancen auf Financiers.
'Der Privatanleger bekommt dafür ein Marktmodell, in dem seine
Orders schneller und zuverlässiger ausgeführt werden', erklärt Michael
Sterzenbach vom Bundesverband der Wertpapierfirmen an den deutschen Börsen (BWF)
in Frankfurt. 'Auch richtet sich zukünftig die Entlohnung des Spezialisten an
der Güte seiner verbindlichen An- und Verkaufskurse und somit seiner
Bereitschaft, für den Anleger durch Selbsteintritt den bestmöglichen Preis zu
erzielen', fügt Kuck an.
Außerdem senke die computergestützte Preisfindung die Kosten für die
Bearbeitung der Aufträge, sagt Klaus Nieding vom Deutschen Anlegerschutzbund in
Frankfurt. Darüber hinaus sorgten elektronische Handelssysteme wie Xetra für
'Gleichberechtigung und Anonymität der Handelspartner' und ermöglichten sogar
den Kauf- oder Verkauf nur einer einzigen Aktie. Einen Nachteil für den
Kleinanleger sieht der Rechtsanwalt in der schlechteren Vorhersehbarkeit der
Preisentwicklungen: Ein Computerprogramm könne Entscheidungen viel zeitnaher
treffen als der Skontroführer. Das berge die Gefahr von Kurssprüngen und
Preismanipulationen. 'Der private Anleger kann immer erst dann reagieren, wenn
der Markt bereits in eine Richtung gelaufen ist', erläutert Nieding.
Der Privatanleger merkt aber voraussichtlich kaum etwas von der
Umstellung. Das Wichtigste passiert hinter den Kulissen. 'Wir wechseln hier nur
kurz den Motor aus, das Auto fährt normal weiter', sagt Kuck. Niedings Tipp:
'Der Privatanleger sollte die Bankgebühren mehrerer Banken vergleichen, da sich
diese infolge der Umstellung erhöhen beziehungsweise verringern könnten.'
Das Areal mit Siebzigerjahre-Charme hinter sich gelassen, steht
Kuck jetzt auf dem neuen dunklen Parkett des hochmodernen Handelssaals mit den
berühmten indirekt beleuchteten, Ufo-ähnlichen Rondellen. Er könne jetzt
losgehen zu einem der anderen Skontroführer und sagen: 'Tausend Stück von dir.'
Praktisch das Retro-Handeln vorführen. Von Angesicht zu Angesicht. Bis zum 20.
Mai zum Börsenschluss ist dieser Zurufhandel noch möglich. 'Aber das macht ja
fast keiner mehr. Der Präsenzhandel wird einfach nicht mehr enötigt.'
Im Hintergrund rattern die ständig umklappenden Plastikblättchen
der schwarzen Kurs-Anzeigetafeln. 'Klar, die hätte man beim Umbau auch in
digitale ändern können', sagt Kuck auf die prominente Akustik angesprochen und
wird dann endlich doch noch ein bisschen melancholisch: 'Ist schon so, dass das
Persönliche fehlen wird.'/DP/zb
--- Von Johanna Uchtmann, dpa ---