04. Juli 2006 DIENSTUNFÄHIGER LEHRER Zu krank für Hessen, gesund genug für die Schweiz In Hessen meldete er sich dienstunfähig, unterrichtete aber in Bern weiter. So wurde ein deutscher Lehrer zum Doppelverdiener. Überraschend gab ein Gericht ihm Recht: Der 54-Jährige darf seine Beamtenpension einstreichen - und deutsche Schulen auch künftig meiden. Das hessische Kultusministerium war mehr als überrascht von dem Urteil. "Es kann doch nicht sein, dass jemand hier wegen Berufsunfähigkeit seine Pension bekommt und dann in einem anderen Land im selben Beruf tätig ist", kritisierte Sprecher Christian Boergen. Doch nach einem Urteil des Verwaltungsgerichts Gießen ist das sehr wohl möglich. Krankmacher Schule: Im Ausland durchaus dienstfähig Längst nicht alle Lehrer erreichen die gesetzliche Regelaltersgrenze. Im Jahr 2004 ließen sich bundesweit rund 4300 Lehrer wegen Dienstunfähigkeit pensionieren - bei mehr als der Hälfte waren psychische Krankheiten der Grund für die Flucht aus dem Klassenzimmer. So auch bei einem Pädagogen aus dem Lahn-Dill-Kreis in Mittelhessen: 1998 wurde er wegen einer psychischen Erkrankung mit 46 Jahren in den Ruhestand versetzt. Sein Nervenkostüm sei den Anforderungen des Berufs nicht mehr gewachsen, bestätigten ihm die Ärzte. Das hinderte den Berufsschullehrer jedoch nicht, anschließend eine Vollzeitstelle in der Schweiz anzunehmen und in Bern weiter als Lehrer zu arbeiten. Zunächst fiel das nicht auf, doch vor drei Jahren erhielten die Mitarbeiter des staatlichen Schulamtes in Weilburg eine anonyme Anzeige. Das Schulamt ging dem Hinweis nach - und fand auf der Website der Schweizer Schule den Name des in Hessen dienstunfähigen Mannes im Lehrerverzeichnis. Daraufhin forderte das Schulamt den Lehrer auf, wieder in Hessen zu unterrichten, da sich sein Gesundheitszustand offenbar gebessert habe. Eine Frühpensionierung aus gesundheitlichen Gründen kann nämlich auch rückgängig gemacht werden, wenn der Beamte wieder dienstfähig ist. Doch der Berufsschullehrer wehrte sich und klagte beim Verwaltungsgericht in Gießen gegen die Wiedereinstellung. Diagnose: Lehrer in Deutschland Sein Argument: Die Bedingungen in den Schweizer Schulen seien viel besser, in Hessen dagegen könne er nicht mehr arbeiten. Der inzwischen 54-Jährige legte dazu mehrere ärztliche Atteste vor. "Das Gericht hat einen unabhängigen Gutachter bestellt, der zu dem gleichen Ergebnis kam", sagte Sabine Dörr, Sprecherin des Gießener Verwaltungsgerichts. Der Gutachter habe bescheinigt, dass die Erkrankung des Lehrers aus seinen Erfahrungen an hessischen Schulen resultiere und seine Arbeit in der Schweiz der Dienstunfähigkeit in Hessen nicht entgegenstehe. Das Gericht schloss sich im Urteil dieser Auffassung an (Aktenzeichen 5 E 2033/04). Nach Informationen des Hessischen Rundfunks war der Leiter der Schweizer Schule überrascht von der Dienstunfähigkeit seines deutschen Angestellten. "Ich wäre nie auf die Idee gekommen, im Zusammenhang mit seiner Arbeit eine Einschränkung gesundheitlicher Art festzustellen", zitierte der Sender den Direktor der Wirtschafts- und Kaderschule Bern, Christian Vifian. Internationaler Vergleich: Deutsche Lehrer In Deutschland lassen die besonderen Belastungen des Unterrichts 26 Prozent aller Lehrer früh schlappmachen und aus dem Beruf aussteigen. Seit bei der Frühpensionierung kräftige Abschläge der Bezüge winken, halten sie zwar wieder länger durch. Trotzdem gingen im vergangenen Jahr noch 279 hessische Pädagogen in den vorzeitigen Ruhestand. Ihre Gebrechen machen sie sogar zu Studienobjekten von Forschern: In Bayern überwacht ein ganzes Institut die Gesundheit der Pädagogen. Die Bedingungen für Lehrer in der Schweiz sind vor allem in Punkto Schmerzensgeld besser. Einem internationalen Vergleich der OECD zufolge verdient ein deutscher Lehrer bei eher durchschnittlicher Unterrichtsbelastung in der Regel mehr als Kollegen in anderen Ländern - aber die Pädagogen in der Schweiz werden noch besser bezahlt, sie sind international Spitzenreiter. Das Schulamt in Weilburg hat nun vier Wochen Zeit, um vor dem Verwaltungsgerichtshof in Kassel in die Berufung zu gehen - was bereits angekündigt wurde. Sollte der 54-Jährige auch in der zweiten Instanz gewinnen, könnte es für das Land teuer werden. Denn die Pension des Lehrers wurde wegen seiner Tätigkeit in der Schweiz auf 20 Prozent gekürzt. Gewinnt er den Prozess, müsste ihm der Restbetrag nachgezahlt werden.
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