Heiliger Ente Lippens
Fünf Entschuldigungen, die wir seit Färöer nicht mehr hören wollen Von Christof Siemes
Sie haben es wieder getan. Die deutschen Fußballnationalspieler haben sich wieder über uns lustig gemacht. 89 Minuten haben die Vizeweltmeister gebraucht, um gegen eine Mannschaft aus Bierkutschern, Eisverkäufern, Lehrern und Schülern ein Tor zu erzielen. Aus der glorreichen Vergangenheit sind wir gewöhnt an Gurkenspiele auf dem Sandplatz von La Valetta, an Tore in letzter Minute gegen Albanien oder Wales, die dann doch immer das Vorspiel zu großen Leistungen im entscheidenden Moment waren. Aber gegen die Faröer ? das geht zu weit. Aus gegebenem Anlass hier die fünf gängigen Entschuldigungen, die wir nie wieder hören wollen:
5.) Der Platz war zu eng. Okay, er war nur 65 Meter breit, einen Meter mehr als vorgeschrieben. Aber die Deutschen sollen froh sein, dass er nicht breiter war, sonst hätte sogar der notorische Allesschöngucker Rudi Völler erkannt, dass die deutschen Außenstürmer nicht mal in der Lage wären, ein färingisches Schaf zu umdribbeln. Heiliger Ente Lippens, rette uns!
4.) Was soll man machen, wenn die mit elf Leuten hinten drin stehen. Für solche Situationen hat der Fußballgott den Doppelpass erfunden. Der freilich voraussetzt, dass man einen Ball, ohne ihn zu stoppen, zielgenau zu einem sich in Bewegung befindlichen Mitspieler weiterleiten kann. Das können allerdings die festgeschraubten Figuren an unserem Tischfußballgerät besser als die hüftsteifen Nationalspieler. Wir empfehlen Klose und Co. einen Abstecher zu den Hamburger Kickertagen am 26. und 27. Juli in den Messehallen Schnelsen. Da gibt es 5000 Euro und ein paar Reisen zu gewinnen. Und keine Sorge, ihr Anfänger: Es gibt eine "extra Neulingedisziplin".
3.) Der wichtigste Spieler war verletzt. Wahrscheinlich wird Michael Ballack nur deshalb zum Weltstar hochschwadroniert, damit man sein Fehlen immer als prima Entschuldigung anführen kann. Wenn der Mann der beste Mittelfeldspieler Europas sein soll, hat Zinedine Zidane wohl seine Karriere beendet, Figo ist verblutet, als ihm beim Friseur die Ohren abgeschnitten wurden, und Clarence Seedorf spielt nicht mehr für Holland, sondern für Surinam. Dass einer wie Ballack zur Lichtgestalt des deutschen Fußballs werden kann, zeigt nur, in welchem Reich der Finsternis wir bereits wandeln.
2.) Erst hatten wir kein Glück, und dann kam auch noch Pech dazu. Dreimal trafen die Deutschen den Pfosten. Na und? Will der DFB-Präsident bei der FIFA einen Antrag stellen, dass es zugeht wie früher beim Straßenfußball: statt drei Ecken, ein Elfer - drei Pfosten, ein Tor. Offenbar hatten die deutschen Stürmer große Angst vor dem wild fuchtelnden Fliegenfänger im färingischen Tor. Wahrscheinlich hielten sie den guten Mann für einen zauberkräftigen Troll, der ihnen Hühneraugen auf die millionenschweren Zehen zaubert. Gespielt haben sie, als wäre ihm dies bereits gelungen.
1.) Es gibt keine kleinen Mannschaften mehr. Der Klassiker. Wenn man freilich eine große Mannschaft auch aus Bierkutschern und Eisverkäufern bilden kann, fragen wir uns, warum man in Deutschland weiterhin am Auslaufmodell des Profifußballs festhält. Weg mit dem Reformstau, zurück zu den Wurzeln! Ist auch billiger, und Geiz ist doch geil. Erstmals Weltmeister wurde Deutschland mit einem Team aus Tankstellenpächtern, Handelsvertretern, Lotto-Toto-Fritzen und Kinobesitzern. Vom DFB gab?s 2500 Mark und ?ne Polstergarnitur. Oliver Neuville könnte es ja mal im Straßenbau versuchen, da würde er wenigstens irgendwas tunneln, wenn es schon mit dem Gegenspieler nicht klappt. Für Miroslav Klose wird, ganz im Zeichen des Retrotrends, die Sendung Dalli-Dalli wieder ausgegraben, wo sein verzweifeltes Hochhüpfen endlich einen Sinn bekommt ? in der Nachfolge von Hänschen Rosenthal. Das wär? Spitze! Olli Kahn macht sich in der Ausbildung von Blindenhunden verdient, und Jens Jeremies spielt im Kasperletheater das wilde Tier, da kann er dann den Kleinsten mit seinen Fähigkeiten im ziellosen Hin- und Hertigern einen schönen Nachmittag bereiten. Im Abendprogramm wollen wir die ganze Bagage vorläufig nicht mehr sehen. (c) DIE ZEIT 25/2003
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