[ für Nicht-Soziologen: Diskurs: Verhandlung, Unterredung, Gespräch; Duktus: 2) charakterist. Formgebung, Handschrift. ]
Aus: Focus v. 21.2.04, Seite 48f. mit Abo: http://focus.msn.de/F/INHALT/inhalt.htm
Abrechnung: Politikerin Lengsfeld über Gesinnungsdemokraten:
Focus: Frau Lengsfeld, warum halten Sie die deutschen politischen Zustände für eine „Gesinnungsdemokratie“?
Lengsfeld: Weil seit Jahren keine freien Debatten mehr stattfinden. Deutsche Diskurse bewegen sich in vorgegebenen Bahnen, die von den ehemaligen 68ern, die heute als Politiker in Nadelstreifen Staat und Gesellschaft ins Chaos führen, bestimmt werden. Auf mißliebige Thesen reagiert das politisch-mediale Establishment nur noch mit Empörung, Hysterie, Einforderung von Buße oder Sanktionen.
Focus: Mit 68ern meinen Sie die Bundesregierung?
Lengsfeld: Natürlich sind die 68er vor allem bei Rot-Grün zu finden. Die einen sind, wie Jürgen Trittin, vor 30 Jahren in kommunistischen Gruppen gegen das so genannte Schweinesystem angetreten, andere wie Joseph Fischer als Steinewerfer…
Focus: … sie könnten sich geläutert haben…
Lengsfeld: Ihre Methoden haben sich kaum geändert. Die Steine sind verbale Steine geworden, die Ausgrenzungs- oder Verletzungsmethoden finden heute diskursiv statt. Die Linke hat es versäumt, nach 89 das Lagerdenken zu beenden. Das Ziel ist das gleiche wie damals, wenn auch modifiziert.
Focus: Und zwar?
Lengsfeld: Die 68er hatten kein Ziel außer der Revolution zur Abschaffung der bundesrepublikanischen Demokratie. Heute möchte Fischer Deutschland – von dem er so tut, als ob es sich permanent nach rechts bewege – in Europa auflösen. Als Außenminister vertritt er kaum deutsche Interessen. Trittin will mit seiner Umweltpolitik das verhaßte kapitalistische System zerstören, indem er etwa in der Energiepolitik die zentrale Lebensader der Marktwirtschaft angreift. Frau Künast betreibt mit der Beweislastumkehr im Verbraucherschutz die Aushebelung des Rechtsstaatsprinzips Unschuldsvermutung.
Focus: Wäre es nicht grotesk, wenn jemand ein Land ruinieren wollte, in dem er selber lebt?
Lengsfeld: Durchaus. Aber bei Menschen, die sich selber hassen, kann man genau das beobachten.
Focus: Meinen Sie, daß die deutschen Minister Trittin und Fischer das Volk, auf das sie vereidigt sind, in Wirklichkeit hassen?
Lengsfeld: Diverse Äußerungen, die beide im Laufe ihrer politischen Karriere von sich gaben, empfinde ich jedenfalls so, daß sie sich nicht als sympathisierende Repräsentanten des Volkes begreifen, das sie vertreten, sondern als Erzieher, Überwinder, Zerstörer.
Focus: Die Grünen waren nie sonderlich patriotisch, aber wie verhält es sich mit den Sozialdemokraten in der Regierung – wollen die auch das System zerstören?
Lengsfeld: Die rot-grüne Politik läuft faktisch auf eine Unterhöhlung und Nivellierung freiheitlicher westlicher Werte hinaus. Der Duktus von Kanzler Schröders Neujahrsansprache war, die Menschen hierzulande müßten sich mehr bewußt werden, daß sie dem Staat zu dienen hätten. Das kenne ich noch gut aus der DDR. Der Bundespräsident wiederum hat zum sogenannten Kopftuchstreit geäußert, das Kopftuch besitze den gleichen Wert wie das christliche Kreuz. Aber das Kopftuch ist ein Unterdrückungssymbol, während das Kreuz symbolisiert, daß sich der westliche Mensch als Individuum begriff.
Focus: Sie haben gesagt, die wirtschaftliche Stagnation in Deutschland habe unmittelbar mit dem „miefigen geistigen Klima“ zu tun. Inwiefern?
Lengsfeld: Deutschland ist heute dem kommunistischen System, das 1989 schmählich gescheitert ist, näher als der Marktwirtschaft. Wir haben eine Staatsquote von 57 Prozent; wenn, theoretisch, 100 Prozent Kommunismus sind und null pure Marktwirtschaft, dann sind wir also näher am Kommunismus. Die Herrschaftsmechanismen, die wir in den hiesigen Diskursen beobachten, dienen dazu, diesen Umverteilungsstaat zu festigen. Nach meiner Ansicht werden sich die künftigen Konfliktlinien in der Diskussion nur sekundär an wirtschaftlichen Problemen und primär an der Frage der Meinungshoheit festmachen. Die 68er haben genau begriffen: Wer den Diskurs beherrscht, Begriffe setzt oder verbietet, bestimmt, wer am Diskurs teilnehmen darf und wer nicht, hat die Macht im Lande. Die CDU muß deshalb um die kulturelle Meinungsführerschaft kämpfen.
Focus: Um was zu erreichen?
Lengsfeld: Letztlich geht es um eine Reaktivierung der alten bürgerlichen Tugenden, die in der Post-68er-Debatte erst denunziert und dann entsorgt worden sind: Individualität, Bürger- und Nationalstolz, Leistungswillen, Selbstverantwortlichkeit, Skepsis gegenüber staatlichen Institutionen.
Focus: Bemerkenswerterweise fällt sich die CDU aber bei fast allen Debatten sozusagen immer selber in den Arm…
Lengsfeld: Leider ist auch der CDU Anpassung und möglichst konsensorientierte Adaption des Zeitgeistes nicht fremd, anstatt Kontroversen, Differenziertheit, Interessenformulierung und Individualität zu fördern. Viele aus der CDU kommende Debatten sind bereits von der CDU wieder abgewürgt worden, sei es die Leitkultur-, Doppelstaatsbürgerschafts- oder Patriotismus-Debatte. Sobald das rot-grüne Meinungskartell Empörung inszeniert, finden sich Unionspolitiker, die diese Debatte „unerträglich“ nennen. Danach wird mit Zitaten von Unionspolitikern gegen die Union Front gemacht. Wir müssen diesen verhängnisvollen Mechanismus durchbrechen.
Focus: Wilhelm Schmidt, Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Fraktion, hat unlängst gefordert, alle CDU-Abgeordneten auf eventuelle rechtsradikale Gesinnung zu kontrollieren, Zeitungen prangern Christdemokraten an, die – wie Sie – der rechten Zeitung „Junge Freiheit“ Interviews gegeben haben. Sind Sie Mitglied einer extremistischen Partei?
Lengsfeld: Es ist schlimm, daß es in der CDU gegen solche unfreiheitlichen Stigmatisierungen und Verschiebungen der politischen Begriffe keinen entschlossenen und mutigen Widerstand gibt. Schließlich ist es der Volkspartei CDU und ihrem starken rechtskonservativen Flügel zu verdanken, daß der rechtsradikale Rand dieser Republik praktisch bedeutungslos geworden ist.
Focus: Der, liest man oft, reicht doch bis in die Mitte Ihrer Partei…
Lengsfeld: Daß Rot-Grün auf beinah monopolistisch agierende Politmedien und die bereits erwähnte kulturpolitische Dominanz bauen kann, ist der Grund, warum derart perfide Behauptungen überhaupt die Öffentlichkeit erreichen. Die schlechteste Bundesregierung seit Bestehen der Republik weiß natürlich, daß sie die nächste Wahl nicht gewinnen wird – es sei denn, sie bringt die CDU dazu, ihre Stammwählerschaft weiter zu verprellen und mit Rot-Grün um die Stimmen der verbleibenden Klientel zu konkurrieren. Deswegen soll die CDU permanent genötigt werden, dem vom politischen Gegner diktierten Zeitgeist nachzuhecheln. Wenn sie klug ist, wird sie sich dem widersetzen.
INTERVIEW: MICHAEL KLONOVSKY
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Aldy
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