Trumps Vize J. D. Vance ist in der Tat - wie Trump selbst - anfällig für Verschwörungstheorie.
Ungeachtet dessen verweist Vance (mMn zu Recht) auf das Schicksal der britischen Premierministerin Liz Truss, die im Jahr 2022 bereits sechs Wochen nach ihrem Amtsantritt zurücktreten musste. Diesen Rücktritt hatten letztlich die internationalen Finanzmärkte erzwungen. Denn Truss hatte einen erzkonserativen Haushaltsplan (im Stil M. Thatchers) vorgelegt, der eine drastische Senkung der Unternehmenssteuern vorsah, ohne dafür woanders zu sparen. Dies führt unweigerlich zu staatlicher Überschuldung - und in letzter Konsequenz zu einer Staatspleite.
Ähnliches hatte in den 1980er Jahren Ronald Reagan in USA getan. Aber damals war die US-Staatsverschuldung noch sehr niedrig (schätzungsweise 50%), so dass kein Druck auf den Finanzmärkten aufkommen konnte. Dennoch hatten bereits damals Ökonomen das Konzept von Ronald Reagan, die Unternehmenssteuern zu senken, ohne anderswo zu sparen (der typische Republikaner kürzt im Gegenzug die Sozialausgaben) als "Voodoo Economics" verspottet. Reagan hatte behauptet, dass durch die Steuersenkungen die Gewinne der Unternehmen derartig stark steigen, dass sie am Ende genauso viel oder sogar noch mehr Steuern zahlen würden als ohne seine Steuersenkung.
2022 hat die britische Premierministerin Liz Truss dieses Reagan'sche Voodoo-Konzept in gewisser Weise kopiert. Aber England ist eben nicht mehr die Weltleitnation, die es bis 1945 war. Außerdem ist Englands Staatsverschuldung viel höher als die damalige US-Verschuldung unter Reagan. Last not least gilt an den (US-dominierten) Finanzmärkten: "Was dem Herrn erlaubt ist, ist dem Ochsen noch lange nicht erlaubt."
Wie reagierten die Finanzmärkte auf Truss' Voodoo-Konzepte? Sie verkauften massenhaft brit. Staatsanleihen, deren Renditen hochschossen, und auch das brit. Pfund sackte ab. Brit. Staatsanleihen fielen so stark, dass engl. Pensionsfonds, die diese Papiere (gehebelt!) halten, Margin Calls erhielten.
Wenn Truss im Amt geblieben wäre und an ihrem Voodoo-Konzept festgehalten hätte, dann wäre die Insel in brutale finanzielle Schieflagen geraten, darunter Pleiten obiger Pensionsfonds.
Die einzige Möglichkeit, die Lage noch zu retten, bestand in Truss' frühzeitigem Rücktritt.
MHurding, du wirst mir vermutlich zustimmen, dass der vom Finanzmarkt erzwungene Rücktritt Truss' KEINE Verschwörungstheorie ist. Man könnte es sogar als rationale Reaktion der Finanzmärkte auf ein irrationales wirtschaftspolitisches Konzept bezeichnen.
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Unter diesen Prämissen erhalten auch Vance' Befürchtungen mehr Gewicht. USA ist mit 34,5 Billionen Dollar (das Neunfache des deutschen BIP) verschuldet, während das US-BIP für 2024 geschätzt bei lediglich 27,3 Bio. Dollar liegt. Also 126% US-Staatsschuldenquote.
Die Lage ist in Amiland daher längst nicht mehr so entspannt, wie sie damals unter Reagan noch war (Reagan gilt als Ursünder der ausufernden US-Staatsverschuldung.)
In dieser Gemengelage könnte der Finanzmarkt - theoretisch - auch das neue Voodoo-Konzept von Trump abstrafen. Starke Unternehmenssteuersenkungen ohne sonstige Einsparungen führen zwangsläufig zur weiterer Überschuldung. Trump glaubt, die Löcher mit seinen drastischen Zollerhöhungen (bis 200% auf China-E-Autos) stopfen zu können. Aber letztlich ist eine solche protektionistische Zollpolitik ein Relikt aus den Kanonenboot-Zeiten Kaiser Wilhelms.
Man muss keinen Wirtschaftsnobelpreis in Ökonomie haben, um abzuschätzen, dass Trumps Konzept - ähnlich wie das damalige unter Reagan - keine Substanz hat. Also ebenfalls Voodoo-Ökonomie ist.
Allerdings ist der US-Dollar zurzeit noch die Weltleitwährung, deshalb droht Trump - trotz erkennbarem Voodoo - kein Schicksal wie Liz Truss. D.h. die Befürchtung von Trumps Vize J. D. Vance, dass sich die Finanzmärkte nach einem Sieg von Trump auf diesen in Truss-Manier einschießen werden, grenzt in der Tat schon an VT. Insofern ist deine Kritik an Vance auch berechtigt.
Doch egal ob Trump oder Harris gewinnt - beide haben Haushaltspläne vorgelegt, die die US-Staatsverschuldung noch weiter in ungeahnte und gefährliche Höhen treiben. Irgendwann wird der Punkt kommen, an dem die USA - wegen Überschuldung - ihren Status als Weltleitnation verlieren werden. Dagegen schützt im Wesentlichen nur noch die militärische Stärke der USA. Das ständige Säbelrasseln in aller Welt - und die weltweite Sanktionspolitik - sind daher auch Selbstschutz.
In dem Kontext ist übrigens das aktuelle Aufbegehren der BRIC-Staaten interessant, die im Gefolge des Ukrainekriegs das Machtmonopol der USA brechen wollen und eine multipolare Weltordnung anstreben.
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