Von Markus Bickel, Beirut 12. Juli 2007 Nicht ein Gast sitzt auf den Stühlen vor dem ?Café de l?Étoile?. Auch die Tische der anderen Cafés und Restaurants in Beiruts Nobelviertel Solidere sind verwaist. Vergebens wartet der Verkäufer in dem kleinen Souvenirladen zwischen den Gaststätten auf Kunden: Niemand hat dieser Tage Interesse an T-Shirts mit dem Konterfei von Hizbullah-Generalsekretär Hassan Nasrallah oder an den libanesischen Fahnen mit der grünen Zeder zwischen roten Streifen.Wie im vergangenen Sommer, als der 34 Tage lange Krieg zwischen Israel und den Hizbullah-Milizen die Menschen aus dem Zentrum Beiruts vertrieb, wirkt das Quartier rund um den Glockenturm am Sternenplatz wie ausgestorben. Nur sind es zwölf Monate nach der Entführung zweier israelischer Soldaten durch Kämpfer der schiitischen ?Partei Gottes? nicht israelische Kampfflugzeuge, die für ein Erliegen des Geschäftsverkehrs sorgen, sondern die Libanesen selbst: Seit dem Rückzug von sechs Ministern aus dem Kabinett von Ministerpräsident Fuad Siniora im November vergangenen Jahres herrscht ein kalter Krieg zwischen Regierung und Opposition. Das von der Hizbullah und ihren Verbündeten Anfang Dezember 2006 errichtete Protestcamp vor Sinioras Amtssitz, dem Serail, steht bis heute ? nur 200 Meter vom Sternenplatz entfernt. ?Mit dem Zeltlager schützen wir die Regierung vor gewalttätigen Gruppen wie Fatah al Islam?, sagt Abbas Haschem lachend. Er ist Abgeordneter der Freien Patriotischen Bewegung (FPM), die vom ehemaligen Oberkommandierenden der Armee, Michel Aoun, geführt wird. Seit Mai haben islamistische Kämpfer der Fatah al Islam libanesische Truppen rund um das nahe der Grenze zu Syrien gelegene Palästinenserlager Nahr al Barid in einen blutigen Krieg verwickelt .Für Haschem ist das Scheitern des sicherheitspolitischen Konzepts im Umgang mit den militanten Dschihadisten nur ein Element des ?totalen Versagens? der Regierung seit Ende des Krieges mit Israel: ?Weder ist es ihr gelungen, die gespaltene Gesellschaft zu einen, noch hat sie ein überzeugendes wirtschafts- oder finanzpolitisches Programm vorgelegt.? Haschem teilt die Kritik, die Nasrallah und den schiitischen Parlamentspräsidenten Nabih Berri von der Amal im Winter zum Rückzug ihrer Minister aus Sinioras Regierung veranlasste. Zugleich hat er als Schiit in einer dezidiert säkularen Partei wie Aouns FPM einen besonderen Blick auf die wichtigste politische Vertreterin der etwa eine Million libanesischen Schiiten. ?Man muss eine Atmosphäre schaffen, in der die Hizbullah sich als nationale Kraft weiterentwickeln kann und nicht allein ihre religiöse Gemeinschaft repräsentiert?, sagt der im nördlich von Beirut gelegenen, christlich dominierten Kesruan aufgewachsene Parlamentarier.
Auch die in Resolution 1701 des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen vom vergangenen August und in anderen Beschlüssen der Weltorganisation geforderte Entwaffnung von Nasrallahs Organisation lasse sich nur im nationalen Konsens regeln, ist Haschem überzeugt. ?Wenn der Libanon stark genug ist, um sich gegen Israel oder Syrien zu verteidigen, wird die Hizbullah-Führung von selbst begreifen, dass ihre Waffen ihr nicht weiter dienlich sind, sondern sie ins Verderben führen.?Die vom neuen französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy vor einem Treffen der wichtigsten libanesischen Parteien am Wochenende in Paris geforderte Aufkündigung des Bündnisses Aouns mit Nasrallah hält er daher für falsch: ?Aoun kann die Hizbullah disziplinieren und einbinden?, sagt der FPM-Abgeordnete. ?Er hat großen Einfluss auf die Partei und kann ihre Entwicklung zu einer libanesischen Kraft weiter fördern.? Darüber, ob die Hizbullah wirklich gewillt ist, eine nationale Bewegung zu werden, herrscht Uneinigkeit im Libanon. Allein die Tatsache, dass sie sich als einzige der ehemaligen Bürgerkriegsparteien weigert, mehr als anderthalb Jahrzehnte nach Ende des Konfliktes ihre Waffen niederzulegen, weckt Zweifel. Nur ein paar Schritte von Haschems Büro entfernt, die Parlamentsstraße hinauf zum Hauptquartier der Vereinten Nationen in Beirut, hat sie zudem ihren eigenen Sicherheitsapparat installiert.
Elf Monate nach Beginn der Waffenruhe mit Israel verläuft die neue Frontlinie mitten durch Beiruts Zentrum: Diesseits des Stacheldrahts sitzt das schwarz gekleidete Hizbullah-Sicherheitspersonal mit Walkie-Talkies auf weißen Plastikstühlen, jenseits des Zauns stehen die Soldaten der libanesischen Armee, abgestellt zum Schutz von Sinioras Regierungssitz.Abu Alaa ist seit Beginn des Protestcamps im vergangenen Dezember auf dem Riad-al-Solh-Platz präsent. Kurz vor dem Treffen von Vertretern von Regierung und Opposition in Paris zeigt sich der aus dem südlibanesischen Nabatieh stammende Hizbullah-Mann kompromissbereit. ?Es ist immer besser, miteinander zu sprechen als keinen Kontakt zu haben.? Zugleich bezeichnet er die Regierung als vom Westen gesteuert: ?Nach Ende des Krieges hat sich herausgestellt, dass ihre wahren Intentionen nicht im Interesse des Libanons liegen, sondern Israel und den Vereinigten Staaten dienen.? Letztlich gehe es nicht um den Austausch von Personen, sondern um ein neues System.
Welchen Charakter dieses annehmen soll, weiß die Opposition trotz radikaler Rhetorik jedoch auch nicht zu sagen. Konkrete Vorschläge für eine Transformation des seit dem Ende der französischen Protektoratszeit 1943 entlang konfessioneller Linien gestalteten politischen Systems zu einer säkularen Republik jedenfalls macht sie nicht. ?Spezialisierungen in Korruption und Diebstahl? steht stattdessen auf einem in Sichtweite des Serail aufgehängten Plakats auf dem Protestcamp. Darauf beugt sich die amerikanische Außenministerin Condoleezza Rice über den an einem Pult sitzenden Siniora: ?Die Schule des Neuen Mittleren Ostens? ? ?unter der Verwaltung der Lehrerin Condi?, heißt es darauf. Obwohl die Amerikaner nicht mit eigenen Soldaten im Libanon vertreten sind, gilt die Schutztruppe der Vereinten Nationen (Unifil) der Hizbullah als williges Vehikel Washingtons. Seit dem Anschlag auf sechs spanische und kolumbianische Soldaten Ende Juni herrscht nicht nur im Hauptquartier der vom italienischen Generalmajor Claudio Graziano geführten Einheiten im südlibanesischen Naqura höchste Alarmstufe. Auch das UN-Gebäude am Riad-al-Solh-Platz gleicht immer mehr einer Festung: Über vier Meter hoch sind die Betonmauern, die in den vergangenen Monaten hochgezogen wurden und den Sitz der Weltorganisation von dem Zeltlager abschirmen.
?Der Anschlag richtet sich gegen uns alle?, sagt ein UN-Diplomat, von dessen Fenster aus das Protestcamp gut zu sehen ist. Schon im vergangenen Sommer, nach dem Massaker von Qana, hatten aufgebrachte Libanesen das zivile UN-Hauptquartier gestürmt ? die Gefahr einer Wiederholung bestehe weiter, so der UN-Mann.
Zudem sei es eine Illusion zu glauben, die Unifil könne ähnliche Vorfälle wie die Angriffe auf ihre Blauhelme im Südlibanon Ende Juni in Zukunft verhindern. ?Wir mögen in der Lage sein, die in Resolution 1701 geforderte Einhaltung der Waffenruhe zwischen Israel und der Hizbullah zu überwachen?, sagt der zuvor schon im Kosovo und im Kongo tätige Diplomat. ?Uns gegen Feinde verteidigen können wir nicht.? Wie in anderen Nachkriegsstaaten findet sich die Unifil ein knappes Jahr nach der Aufstockung ihrer Truppe von 2000 auf 13.000 Mann zwischen allen Stühlen wieder..... http://www.faz.net/ 12.Juli 2007
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