URL: http://www.manager-magazin.de/geld/geldanlage/0,2828,589839,00.html 12. November 2008, 09:04 Uhr Finanzkrise "Die letzte Phase einer Baisse"
Von Lutz Reiche
Die Signale eines endgültigen Ausverkaufs mehren sich, glaubt das Bankhaus Metzler. Auch wenn Unsicherheit bleibt, es könnte die letzte Phase einer Baisse sein. Mutige setzen auf Aktien. Metzler gehört dazu, hat Dividendenpapiere in den Depots der vermögenden Kunden bereits übergewichtet. Denn Aktien sind so günstig wie lange nicht mehr - ein Investmentausblick.
Hamburg - Nein, Angststarre zählt Frank Naab sicher nicht zu seinen Eigenschaften. Dabei böte die weltweite Finanzkrise, in deren Folge Experten eine globale Rezession befürchten, Grund genug, in Angst und Panik zu verfallen. Doch der Manager des Bankhauses Metzler fühlt sich sichtlich besser bei Max Frisch aufgehoben: "Krise ist ein produktiver Zustand. Man muss ihr nur den Beigeschmack der Katastrophe nehmen", zitiert er den bekannten Schriftsteller. Untergangsszenarien, wie sie dieser Tage gezeichnet werden, schließt sich Naab nicht an. Für den Leiter des Portfoliomanagements bei Metzler Private Banking ist das Glas eben halbvoll und nicht halbleer.
"Kapitulation der Anleger": Die Art und Qualität des Absturzes in den vergangenen Wochen deutet auf einen endgültigen Ausverkauf am Aktienmarkt hin, ist das Bankhaus Metzler überzeugt. Mutige erhöhen jetzt vorsichtig die Aktienquote und sammeln völlig unterbewertete Qualitätstitel ein.
"Kapitulation der Anleger": Die Art und Qualität des Absturzes in den vergangenen Wochen deutet auf einen endgültigen Ausverkauf am Aktienmarkt hin, ist das Bankhaus Metzler überzeugt. Mutige erhöhen jetzt vorsichtig die Aktienquote und sammeln völlig unterbewertete Qualitätstitel ein. © DPA Zweckoptimismus? Wohl kaum. Die konjunkturellen Aussichten schätzt er durchaus skeptisch ein - aber eben nicht als katastrophal. Gestützt vom Wachstum der Schwellenländer könnte die Weltwirtschaft um 2,5 Prozent im kommenden Jahr wachsen, während er für die großen Industriestaaten und Europa Stagnation oder eine leichte Rezession erwartet. In der neuen Hamburger Dependance von Metzler spricht der Vermögensmanager auch von "panikartigen Zügen" am Aktienmarkt, von historisch hoher Volatilität, von Hedgefonds, die die drastische Kurskorrektur noch beschleunigen, von einer "Kapitulation der Anleger" schlechthin.
Aber all das seien eben typische Merkmale "eines endgültigen Ausverkaufs", die zugleich - aus historischer Perspektive betrachtet - "oft die letzte Phase einer Baisse" signalisierten. Mutige interpretieren das bereits als ein Signal zum vorsichtigen Wiedereinstieg. Und da "auch am Mut nun einmal der Erfolg hängt", wie Naab sagt, hat Metzler die empfohlene Aktienquote ihrer "neutral gewichteten" Depots bereits vor ein paar Monaten um 5 Prozentpunkte auf 55 Prozent angehoben.
Von einer Trendwende will Metzler noch nicht sprechen
"Vielleicht ein wenig zu früh", wie der Vermögensmanager rückblickend einräumt, stellt die Entscheidung aber grundsätzlich nicht infrage. Mit einer empfohlenen Aktienquote von 55 Prozent liegt Metzler bei der Asset Allocation zwar zum Teil deutlich höher als so mancher Mitbewerber. Aber auch die tatsächliche durchschnittliche Aktienquote der Kunden liegt bei 45 Prozent - und damit recht hoch. Weitere 45 Prozent machten Rententitel und 5 Prozent Barmittel aus.
Und dabei soll es gegenüber anderslautenden Andeutungen im Mai dieses Jahres vorerst auch bleiben. Denn trotz der jüngsten Erholung an den weltweiten Finanzmärkten sei es noch zu früh, um von einer Trendwende zu sprechen, sagt Naab. Solange die Angst der Investoren die Märkte weiter im Würgegriff halte und damit der Blick auf die eigentlich fundamentalen Bewertungsfaktoren verstellt sei, wäre es verfehlt, die Aktienquote weiter aufzustocken. Kreditderivate, strukturierte Produkte und Zertifikate finden sich in den Kundendepots ohnehin nicht. "Wir sehen uns als traditionelle Vermögensverwalter mit einer leicht übergewichteten Aktienquote", unterstreicht der Hamburger Niederlassungsleiter Martin Philippi. Vorsicht ist also angesagt.
Renaissance dividendenstarker Titel könnte bevorstehen
Dabei sieht Metzler Aktien so günstig bewertet wie seit Jahren nicht mehr. Dies gelte sowohl für die Gewinnbewertung als auch für die in Krisenzeiten maßgeblichere Substanzbewertung der Titel. "200 der rund 300 maßgeblichen europäischen Aktien notieren unter Buchwert", sagt Naab. Das Kurs-Buchwert-Verhältnis europäischer Aktien hält der Experte für so attraktiv wie seit dem Frühjahr 2003 nicht mehr. Das gelte auch für die in der Vergangenheit abgestraften Finanzwerte, deren Kurse auf dem gegenwärtigen Niveau einen Boden gefunden haben dürften, glaubt Naab.
Auch die Dividendenrendite, der zweite Pfeiler der Substanzanalyse Metzlers, spräche für europäische Aktien. Selbst unter der Annahme, dass die europäischen Unternehmen im kommenden Jahr im Schnitt ein Drittel weniger Dividende ausschütten sollten, und die Dividenden über Jahre auf diesem Niveau verharrten, läge die von Metzler geschätzte durchschnittliche Dividendenrendite bei 3,5 Prozent. "Das ist immer noch mehr als fünfjährige deutsche Staatsanleihen abwerfen", hebt Naab hervor.
Eine derartige Konstellation sei zuletzt nach dem Platzen der Internetblase im Jahr 2003 zu verzeichnen gewesen und habe damals die Renaissance dividendenstarker Aktien eingeläutet. "Diese Entwicklung könnte sich in Zukunft ähnlich vollziehen", sagt der Vermögensmanager. In der fundamentalen Gesamtschau kommen die Experten des Bankhauses Metzler zu dem Schluss, dass die europäischen Aktienmärkte bis zu 50 Prozent unter ihrem fairen Wert lägen. Dem langfristig orientierten Investor biete sich damit eine günstige Einstiegsgelegenheit für Qualitätstitel.
Metzler sieht Potenzial bei Industrie- und Konsumgüteraktien
Mit Blick auf einzelne Branchen würde Naab Titel der Finanzdienstleister weiterhin untergewichten und eher zu Industrie- und Konsumgüteraktien tendieren. Hier hätten die Märkte die sinkenden Gewinnerwartungen eingepreist. Diese Titel dürften künftig von Turnaround-Fantasien profitieren, was für eine Übergewichtung spreche.
Noch aber scheinen die Finanzmarktkrise und Rezessionsängste den Blick für die günstige Bewertung zahlreicher Dividendenpapiere zu verstellen. Und so mancher Skeptiker sagt der Aktie eine lang anhaltende und unterdurchschnittliche Performance gegenüber anderen Vermögensklassen voraus. Diesem Einwand begegnet Naab mit dem Hinweis, dass die Aktienmärkte historisch betrachtet dazu tendierten, sich wieder auf Höhe von Durchschnittswerten einzupendeln. Wie eine Sprungfeder, die nach einer Belastung ihre ursprüngliche Form wieder annimmt, nur langsamer eben. Und derzeit sei - um im Bild zu bleiben - im Zuge irrationaler Übertreibungen die Sprungfeder eben stark zusammengepresst.
Renten - "Illusion ewig niedriger Risikoprämien geplatzt"
Normalität werde sich auch wieder an den Rentenmärkten einstellen, ist Naab überzeugt. Die Lehman-Pleite habe den Investoren drastisch vor Augen geführt, dass Risiko seinen Preis habe. "Die Illusion ewig niedriger Risikoprämien ist endgütig geplatzt und wird künftig wieder zu einer vernünftigen Bewertung von Kreditrisiken führen", sagt der Vermögensmanager.
Großes Risiko: Lange Zeit tat der Markt so, als ob mögliche Risiken am Kapitalmarkt nichts kosten: Die Risikoprämien befanden sich im Keller. Das Verhältnis wird sich jetzt normalisieren, die Risikoprämien werden steigen und eine Anlage damit auch verteuern. Zur Großbildansicht
Großes Risiko: Lange Zeit tat der Markt so, als ob mögliche Risiken am Kapitalmarkt nichts kosten: Die Risikoprämien befanden sich im Keller. Das Verhältnis wird sich jetzt normalisieren, die Risikoprämien werden steigen und eine Anlage damit auch verteuern. © DPA Die derzeit zu beobachtende Gegenbewegung hält Naab allerdings für übertrieben: Kursabschläge etwa bei Pfandbriefen von bis zu 20 Prozent seien nicht gerechtfertigt. Deutsche Pfandbriefe seien gerade in der anhaltenden Kreditkrise eine geeignete Anlage, mit der sich bei einem sehr niedrigen Risiko gegenüber deutschen Staatsanleihen vergleichsweise hohe Renditen erzielen ließen. Kurz- und mittelfristige Pfandbriefe bieten derzeit eine Rendite von bis zu 4,5 Prozent.
Daher machten Pfandbriefe auch das Gros der Rentenpapiere in den Kundendepots von Metzler aus. Als Beimischung zu deutschen Pfandbriefen hält Naab Staatsanleihen aus der Euro-Zone und "erstklassige" Unternehmensanleihen für geeignet. Letztere böten sich vor allem vor dem Hintergrund an, weil sich im Zuge der Finanzkrise der Renditeaufschlag von Unternehmensanleihen gegenüber Staatsanleihen drastisch ausgeweitet habe. "Das hat die Attraktivität der Corporate Bonds erhöht", sagt Naab.
"Eine Blamage für unsere Zunft"
Und dann bricht sich in der rund 90 Minuten langen Analyse des Vermögensmanagers die Emotion doch noch Bahn - überraschenderweise beim vermeintlich trockenen Thema Renten. "Was da den Anlegern in der Vergangenheit zum Teil als vermeintlich risikoarme Rentenanlage in die Depots eingebucht wurde, ist eine Blamage für unsere Zunft", ärgert sich Naab. Mitunter komplizierteste Zertifikate und andere risikoreiche Papiere hätten sich darunter befunden, weiß er zu berichten. "There ist no free lunch", pflegten die Anlagestrategen von Metzler ihren Kunden immer zu sagen. "Wenn eine Bundesanleihe eine Rendite von 4 Prozent abwirft, dann können in Aussicht gestellte Renditen von 6 und mehr Prozent anderer Papiere doch nicht als risikolos kommuniziert werden", plaudert Naab aus dem Nähkästchen der Zunft, um sich sofort wieder zurückzunehmen.
Erstaunen über so manche Depotstruktur
Woher er diese Erkenntnis nimmt, fragt ein Zuhörer. Naab antwortet ausweichend, lässt aber erkennen, dass man über die bestehende Depotstruktur jüngst neu gewonnener und oder potenzieller Neukunden verwundert war. In den zurückliegenden Monaten habe es viele Anfragen wechselwilliger Interessenten gegeben. Dabei hätten die vermögenden Investoren das Gespräch weniger aus einer Unzufriedenheit über die Wertentwicklung ihrer Anlage gesucht als vielmehr im Zuge einer erheblichen Verunsicherung über die Geschäftspolitik ihrer Bank oder ihres Vermögensverwalters, wie Naab durchblicken lässt.
"Geld vermehrt sich in der langen Frist"
Hat die mit 334 Jahren älteste deutsche Privatbank also gar von der Finanzkrise profitieren können? Das Bankhaus lässt das offen, äußert sich nur vage über das Ausmaß neu gewonnener Kunden, Mittelzuflüsse oder gar abgezogenes Vermögen. Die Abflüsse seien im Branchenvergleich allerdings gering ausgefallen, wie Naab versichert. "Krisenzeiten sind auch gute Zeiten zum Einstieg und für Gespräche", äußert sich auch der Hamburger Metzler-Chef Philippi nur wenig konkret.
Viele Gespräche haben die Vermögensverwalter von Metzler in den vergangenen Monaten vor allem mit ihren Bestandskunden geführt. Dass im Zuge einer langfristigen Anlagestrategie, die primär auf den Erhalt großer Vermögen über Generationen hinweg setzt, vorübergehend auch einmal ein Aktienkursverfall von 20 Prozent hingenommen werden müsse, bedurfte bei dem ein oder anderen Kunden dann doch eingehender Erklärungen. "Da sind wir nicht nur als Banker, sondern mitunter auch als Psychologe gefragt", sagt Philippi.
Dabei nehmen sich die Verluste in den Depots der Metzler-Kunden noch vergleichsweise moderat aus. Zu Ende Oktober haben sie seit Jahresanfang rund 12 Prozent verloren - trotz oder gerade wegen einer vergleichsweise hohen Aktienquote. Die besten Mitbewerber unter den Vermögensverwaltern schneiden nicht viel besser ab, von privaten Fondssparern ganz zu schweigen. Die maßgeblichen Aktienindizes haben die Metzler-Anlagestrategen in den zurückliegenden zehn Monaten auf jeden Fall um Längen geschlagen. Doch in solchen Zeiträumen denkt Naab nicht: "Geld vermehrt sich in der langen Frist." © manager-magazin.de 2008 Alle Rechte vorbehalten Vervielfältigung nur mit Genehmigung der SPIEGELnet GmbH ----------- "Kaufen sie billig, verkaufen sie nie" Warren Buffett
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