DER SPIEGEL 18/2006 - 29. April 2006
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Schule
Diagnose: Lehrer
Von Julia Koch
Psychologen und Arbeitsmediziner entdecken die Lehrer als Studienobjekte. In Bayern überwacht gar ein ganzes Institut die Gesundheit der Pädagogen.
Der Freiburger Psychiater Joachim Bauer hat Angstkranke und Depressive behandelt, Alzheimer-Patienten und Psychotiker. Wahre Betroffenheit im Bekanntenkreis löst indes erst sein jüngstes Projekt aus: "Wie - du machst jetzt was mit Lehrern?", fragen die Kollegen voller Mitgefühl.
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DPAKlassenzimmer: Viele Lehrer mit Stress-Symptomen |
Seit Mitte November 2005 ist der Professor im Nebenjob Chef des neugegründeten bayerischen Instituts für Gesundheit in pädagogischen Berufen. Die Einrichtung, getragen vom Lehrerverband im Freistaat sowie von der Bayerischen Beamtenkrankenkasse, soll das Wohlbefinden einer ganzen Zunft wiederherstellen.
Die hat es dringend nötig. Seit Jahren beobachtet Bauer, dass unter seinen Patienten überproportional viele Lehrer sind. Von rund 400 Gymnasiallehrern, die er in einer aktuellen Studie befragte, zeigten 20 Prozent stressbedingte Belastungssymptome. "Diese Lehrer", folgert der Wissenschaftler, "brauchen eigentlich eine medizinische Behandlung."
Auch anderswo steht es schlecht um die Fitness der Pädagogen. Nur eine Minderheit arbeitet bis zur gesetzlichen Regelaltersgrenze; im Jahr 2004 ließen sich bundesweit rund 4300 Lehrer wegen Dienstunfähigkeit pensionieren - bei mehr als der Hälfte davon waren psychische Krankheiten der Grund für die Flucht aus dem Klassenzimmer.
Die meisten Bundesländer sorgen sich um die Gesundheit ihres Lehrpersonals - aus purer Not: Allein im bayerischen Haushalt schlagen die Versorgungsausgaben für frühpensionierte Pädagogen nach Berechnungen des Lehrerverbandes mit jährlich etwa 250 Millionen Euro zu Buche.
Zwar geht die Zahl der Frühpensionierungen in Deutschland zurück, seit zum Jahr 2001 Kürzungen der Ansprüche beschlossen wurden. Doch die wenigsten Dienstherren wollen sich allein auf finanziell bedingte Spontangenesungen verlassen.
Deswegen steigt in Forscherkreisen jene Berufsgruppe, die ansonsten mit Hingabe beschimpft ("Lehrerhasserbuch") und verspottet wird ("Lehrer ist kein Beruf, sondern eine Diagnose"), zum beliebten Studienobjekt auf. "Inzwischen hat sich eine richtige Wissenschaftsszene zum Thema Lehrergesundheit entwickelt", beobachtet der Arbeitsmediziner Klaus Scheuch von der TU Dresden.
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Scheuch selbst wandte sich schon Anfang der achtziger Jahre den Leiden der Lehrer zu. Nun leitet er das Projekt "Lange lehren", an dem auch Schulpsychologen aus Berlin und der Freiburger Forscher Bauer beteiligt sind.
In Rheinland-Pfalz läuft das "Projekt Lehrergesundheit"; die Uni Greifswald hat ein Netzwerk zum Thema eingerichtet. In Lüneburg entwickelt der Psychologe Bernhard Sieland Methoden, mit denen schon die Studenten besser auf den Job vorbereitet werden können.
Denn es ist vor allem der falsche Umgang mit den berufsspezifischen Belastungen, der die Pädagogen früh schlappmachen lässt. Für die bislang umfangreichste Untersuchung zur Lage der Lehrer hat der Potsdamer Psychologe Uwe Schaarschmidt knapp 8000 Pädagogen befragt. Rund 60 Prozent rechnet der Forscher zur Risikogruppe für Stresskrankheiten - die eine Hälfte von ihnen ist chronisch überfordert, die andere bereits tief resigniert.
"Die Ausbildung ist viel zu kopflastig", klagt Schaarschmidt. Zwar seien die meisten Pädagogen beim Berufseinstieg fachlich fit, doch wie man ein Elterngespräch führt oder sich vor 30 pubertierenden Schülern behauptet, lernen sie erst durch Ausprobieren - oder gar nicht.
Derzeit entwickelt Schaarschmidt einen Selbsttest für künftige Lehramtsstudenten. "Zu viele Studierende wählen das Lehramt, weil sie es für einen leichten Beruf halten", erklärt der Wissenschaftler.
Und noch etwas stellten die Forscher fest: Lehrer kommen keineswegs schon als Psycho-Wracks in die Schule. Arbeitsmediziner Scheuch hat verschiedene Gruppen von Studenten auf neurotische Tendenzen untersucht. Ergebnis: Am meisten neigten die Musikstudenten zu Macken, als besonders robust erwiesen sich die Ingenieure. Künftige Lehrer hingegen liegen im Mittelfeld; psychisch sind sie stabiler als etwa angehende Mediziner.
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Projekte wie das bayerische Gesundheits-Institut sollen die Pädagogen deswegen schon aufpäppeln, ehe sie berufsbedingte Gebrechen entwickeln. "Sie leisten Schwerstarbeit", erklärt Institutschef Bauer rund 50 erfreuten Lehrern beim Gesundheitstag in München. Dann erläutert der Mediziner, wie der Körper Dauerstress in organische Beschwerden übersetzt - und was man dagegen tun kann.
Nachmittags trainieren die Lehrer mit einer Sprecherzieherin den "Atemwurf" oder besprechen Schulprobleme in der Coaching-Gruppe. "Gerade Lehrerkollegien sind anfällig für Defizite im sozialen Gefüge", erklärt Psychologe Schaarschmidt, "im Unterricht sind die Lehrer Einzelkämpfer, in den Pausen kümmern sie sich um die Schüler, und dann gehen sie nach Hause."
So wird für manche gerade das zum Problem, was Nicht-Lehrer den Pädagogen am heftigsten missgönnen. "Von einer funktionierenden Ganztagsschule hätten viele Lehrer mehr als von Nachmittagen zu Hause, an denen sie allein vor sich hin arbeiten", glaubt Schaarschmidt.
Dann fiele auch das Image vom arbeitsscheuen Halbtagsjobber weg - und damit eine weitere Bedrohung der Pädagogengesundheit. Scheuch: "Der gute Ruf einer Profession ist eindeutig ein präventiver Faktor."
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