News - 21.02.08 08:06 Agenda: Conergy unter Hochdruck
Die rasante Expansion brachte den Hamburger Solarkonzern Conergy an den Rand des Ruins. Ex-Tchibo-Chef Dieter Ammer will nun die Firma retten - mithilfe hochkarätiger Verbündeter.
Unbeirrt blickt Dieter Ammer im Konferenzsaal der Hamburger Conergy-Zentrale in die Runde. Draußen ist es längst dunkel. Überstunden. Der bullige Zwei-Meter-Mann wendet das weiße Blatt Papier, das vor ihm liegt, kritzelt darauf mit seinem Kugelschreiber Kurven, Kästchen und Linien, hebt die Hand bedeutungsvoll und verkündet, Conergy habe eine Zukunft: "Das sind jetzt die Schmerzen des Erwachsenwerdens."
Milde Worte für den größten Sanierungsfall der deutschen Solarbranche. Firmengründer Hans-Martin Rüter, der binnen zehn Jahren einen der führenden Anbieter in Europa formte, hat sich bei seiner Expansion verzettelt. Conergy investierte in eine Solarfabrik, in Bioenergieanlagen und Wärmepumpen, baute Windräder und Sonnenkraftwerke. Die Anleger jubelten, zeitweise war das Unternehmen an der Börse mehr als 2 Mrd. Euro wert. Doch Rüter schaffte es nicht, die zugekauften Firmen zu integrieren, schätzte Marktentwicklungen falsch ein. Der wundersame Aufstieg endete in einem Desaster. Rüter musste gehen.
Dieter Ammer soll jetzt das Unternehmen retten. Der frühere Chef des Handels- und Kaffeekonzerns Tchibo hat Conergy einst mitgegründet und ist mit Rüter über mehrere Ecken verwandt. Zuletzt leitete er den Aufsichtsrat. Zudem hält er knapp elf Prozent der Aktien. Das verpflichtet.
Er hat das Debakel wohl kommen sehen. Während sich Rüter noch in der Öffentlichkeit feiern lässt, wachsen bei den Aufsichtsräten im Frühjahr 2007 die Zweifel an seinem Expansionskurs. Reihenweise kauft Rüter Unternehmen, massenweise stellt er neue Mitarbeiter ein, allein 1300 von Januar bis Oktober 2007. Prestigeprojekte wie die Solarfabrik in Frankfurt/Oder kommen jedoch nicht in Fahrt. Rüter will im märkischen Sand nicht nur Solarmodule zusammenschrauben lassen, sondern auch die Solarzellen und dafür nötigen Wafer selbst herstellen. Die hohen Siliziumpreise durchkreuzen jedoch die Pläne, der Produktionsanlauf verzögert sich immer weiter. Erst Mitte 2009 sei mit einer Vollauslastung zu rechnen, weil dann die Versorgung mit Silizium sichergestellt sei, sagt Ammer heute.
Auch in anderen Unternehmensbereichen knirscht es kräftig. Weil eine chinesische Firma keine Solarmodule liefert, kann Conergy Projekte nicht abwickeln, dringend benötigte Erlöse fallen aus. Bei den Lieferanten ist das Unternehmen enorm in Vorkasse gegangen, zugleich werden Kunden Zahlungsziele von mehr als 100 Tagen eingeräumt. Das Schreckensjahr 2007 endet mit einem operativen Verlust von mehr als 200 Mio. Euro - bei einem Umsatz von gut 700 Mio. Euro. Prognostiziert hat Rüter Erlöse von mehr als 1 Mrd. Euro und 60 Mio. Euro Nettogewinn. An diesen Zielen hält er sogar noch im Oktober fest, als der Aktienkurs bereits auf Talfahrt ist.
Anstelle des 42-jährigen Gründers gerät zunächst Finanzchef Heiko Piossek ins Visier des Aufsichtsrats. Der bietet Rüter mit seinen großartigen Plänen nach Ansicht der Kontrolleure nicht ausreichend Paroli. Die Personalsuche zieht sich jedoch hin. Als der frühere Schering-Finanzvorstand Jörg Spiekerkötter im November endlich seinen Dienst in Hamburg antritt, kann er den Absturz nicht mehr verhindern. "Das ist ein studentisches Kontrollsystem hier", staunt der Manager über die Zustände bei Conergy in einer Besprechung. Und der damalige Chefkontrolleur Ammer gesteht im Nachhinein ein, den Ernst der Lage unterschätzt zu haben. "Sie sind als Aufsichtsrat abhängig von den Informationen, die Sie erhalten."
Dann geht es Schlag auf Schlag. Ammer ist klar, dass nur ein schnell geschnürtes Rettungspaket im Volumen von 100 Mio. Euro Conergys Überleben sichern kann. Doch das ist an eine neue Führung geknüpft. "Die Banken hätten nicht mitgemacht, wenn Rüter geblieben wäre", sagt ein Unternehmenskenner. Ammer springt ein, wechselt Mitte November aus dem Aufsichtsrat an die Unternehmensspitze - vorübergehend, wie er betont.
Um die finanzielle Situation zu stabilisieren, steckt Ammer bei der eilig durchgeführten Kapitalerhöhung nicht nur eigenes Geld in die Firma - er holt auch einen alten Bekannten mit ins Boot: Otto Happel. Ammer kennt ihn seit 20 Jahren. Bei dem von Happel aufgebauten Anlagenbauer Gea sitzt er im Aufsichtsrat. Innerhalb eines Tages habe sich Happel entschieden, bei Conergy einzusteigen, sagt Ammer. Der Milliardär zeichnet Aktien im Wert von 50 Mio. Euro und hält nunmehr fünf Prozent am Unternehmen.
Doch das reicht nicht. Um die nächsten Monate zu überleben, braucht Conergy dringend weiteres Geld. Anfang Januar spitzt sich die Situation zu: Ammer muss die Finanzlücke stopfen und gleichzeitig die 23 Gläubigerbanken ruhigstellen. Es besteht die Gefahr, dass die Geldinstitute ihre Kredite an Hedge-Fonds verkaufen, die dann ordentlich Druck machen könnten.
Um das zu verhindern, setzt Ammer sein Netzwerk ein. Rasch nimmt er Kontakt zu den wichtigsten Entscheidungsträgern der deutschen Kreditwirtschaft auf. Anfang Februar sichert sich das Unternehmen bei der Commerzbank und der Dresdner Bank eine Geldspritze von 240 Mio. Euro.
Dass er einmal so intensiv ins operative Geschäft eingreifen müsste, hätte der 57-Jährige wohl selbst nicht gedacht. "Man hat dem Vorstand angemerkt, dass von denen noch niemand in einer solchen Situation war, auch Ammer nicht", sagt einer, der den Fall hautnah miterlebt hat. Es sei zu spüren gewesen, dass für den neuen Chef viel auf dem Spiel steht. "Er hat Verantwortung übernommen, sich in die wichtigsten Details eingearbeitet, die Linie vorgegeben und seine exzellenten Kontakte genutzt." So treibt Ammer in persönlichen Gesprächen die Kreditverhandlungen mit Commerzbank-Vorstand Martin Blessing voran.
Zu seinen wichtigen Stützen zählt Otto Happel. Der lässt sich meist von seinem Anwalt vertreten, ist aber, wenn es wirklich wichtig wird, persönlich vor Ort - und überwacht die Fortschritte. "Der trottet einfach in den Besprechungsraum zur Unternehmenspräsentation und legt den Finger auf die Wunden", berichtet ein Teilnehmer.
Für den Feuerwehreinsatz bei Conergy holt sich Ammer hochkarätige Berater an seine Seite: Um die prekäre Finanzlage kümmern sich die Sanierungsspezialisten von Rothschild, darunter Richard Millward, der bereits vor Jahren bei Karstadt die größten Löcher gestopft hat. Ulrich Wlecke von Alix Partners nimmt sich derweil das Liquiditätsmanagement vor, die internationale Anwaltsfirma Freshfields beschäftigt sich mit sämtlichen rechtlichen Fragen. Zurzeit spielt Ernst & Young die größte Rolle: Die Wirtschaftsprüfer begleiten Ammer beim operativen Umbau.
Die guten Ratschläge lässt sich Conergy einen einstelligen Millionenbetrag kosten. Nach Ammers Ansicht gut investiertes Geld. Der Firmenchef wider Willen weiß, dass die Probleme schnell gelöst werden müssen. Deshalb hat er Pepyn Dinandt ins Haus geholt. Der frühere McKinsey-Mann gilt als harter Sanierer und soll das operative Geschäft in den Griff kriegen. Der Vorstand hat überdies eine eigene Abteilung eingerichtet, die täglich überprüft, wie die Beschlüsse umgesetzt werden. Bis Mitte des Jahres will Ammer den Großteil der Arbeit erledigt haben.
Fortan soll sich Conergy auf die Produktion und den Verkauf von Solaranlagen konzentrieren. Randbereiche wie etwa Bioenergieanlagen, Wärmepumpen und Solarthermie werden verkauft, mindestens 500 Stellen gestrichen. Sich auf das zu fokussieren, womit Conergy groß geworden ist, sei sinnvoll, sagen Unternehmenskenner. Conergy verstehe etwas vom Solargeschäft. Zudem werde kaum ein anderes Segment der erneuerbaren Energien so üppig vom Staat gefördert. Hohe Einspeisevergütungen für Sonnenstrom sorgten für eine kräftige Nachfrage nach Solarmodulen.
Selbst wenn die Sanierungsbemühungen schnell greifen, wird es noch ein langer Weg zum wirtschaftlichen Erfolg sein. Conergy wird in diesem Jahr einen zweistelligen Millionenverlust einfahren, erst 2009 erwartet Unternehmenschef Ammer ein Plus. "Eine Wende ist das wahrscheinliche Szenario. Aber das heißt nicht, dass Aktionäre hier schnelles Geld verdienen können", sagt UBS-Analyst Patrick Hummel.
Conergy schleppt schließlich schwere Lasten mit sich, die Schulden belaufen sich auf mehr als 600 Mio. Euro. Durch die Ausgabe neuer Aktien will sich das Unternehmen im Laufe des Jahres weitere 250 Mio. Euro frisches Kapital besorgen, um damit die Verbindlichkeiten zu reduzieren. Die neuen Aktien dürfte Conergy nur zu einem erheblichen Nachlass zum jetzigen Kurs von rund 14 Euro verkaufen können. Seit dem Höchststand Anfang Oktober hat das Papier drei Viertel seines Werts eingebüßt. Einen wichtigen Erfolg bei der Vermarktung kann Ammer allerdings bereits verbuchen: Die Milliardäre Andreas und Thomas Strüngmann haben sich über ihre Vermögensverwaltung Athos 25 Prozent der neuen Aktien gesichert.
Auch der Conergy-Chef selbst will sich an der Kapitalerhöhung beteiligen. "Natürlich hat mich das hier sehr viel Geld und Zeit gekostet", sagt Ammer. "Aber ich betrachte es als meine Aufgabe, das Unternehmen wieder hinzustellen." Und so kommt der Mann im abendlichen Konferenzraum ins Sinnieren: "Wenn das hier geschafft ist, dann habe ich als Unternehmer im Leben alles erlebt. "
Von Mark Krümpel und Sven Clausen (Hamburg)
Quelle: Financial Times Deutschland
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