Was soll man dazu noch sagen?
Hacker haben 1072 interne E-Mails von Forschern eines renommierten britischen Klimawandel-Forschungsinstituts im Internet publiziert. Die so an die Öffentlichkeit gebrachten Dokumente erregen nun unter anderem den Verdacht, dass Datensätze verändert wurden. Das beschert der Zunft ein Glaubwürdigkeitsproblem.
In Anspielung an den großen Skandal, der einst Richard Nixon zum Rücktritt zwang, schreibt der Londoner ?Telegraf? schon vom ?Climate Gate?. Die ?New York Times? zitiert einen Forscher, der statt von einem ?rauchenden Colt? gleich von einem ?Atompilz? spricht. Die Klimaforschung hat knapp zwei Wochen vor der Kopenhagener Gipfelkonferenz zum Thema ein kleines Glaubwürdigkeitsproblem, nachdem es Hackern vergangene Woche gelungen war, in das Computersystem des englischen Klimaforschungsinstituts (CRU) der University of East Anglia einzudringen. Das CRU zählt zu den wichtigsten Datenlieferanten für den Weltklimarat IPCC, der seit Jahren davor warnt, dass die Menschheit vor einer selbst verschuldeten Klimakatastrophe stehe. Skeptiker bezweifeln die Aussicht auf diese Katastrophe sowie die Hauptschuld des Menschen an der Klimaerwärmung im 20. Jahrhundert. Die durch Hacker an die Öffentlichkeit gebrachten Dokumente des Instituts, vor allem 1072 E-Mails, erregen nun einen vielfältigen Verdacht: unter anderem, dass Datensätze verändert wurden, um Trends zur Abkühlung zu verdecken, dass kritische Wissenschaftler aus der Meinungsfindung entfernt werden sollen, dass intern über die Abwehr unliebsamer Forschungsergebnisse diskutiert wird, und dass bestimmte E-Mails besser gelöscht werden sollten.
Das Institut bestätigte einen Hackerangriff, die Einschaltung der Polizei ? sowie die Authentizität von veröffentlichten Dokumenten. Ob dies für den kompletten Datensatz gilt, ist derweil noch nicht gesichert. Viele der auf den E-Mails aus den vergangenen zehn Jahren auftauchenden Wissenschaftler sollen indes die Echtheit bestätigt haben. Hinweise auf Fälschungen sind bislang nicht bekannt.
Viele der E-Mails bergen Erklärungsbedarf. Etwa wenn Phil Jones, prominenter CRU-Forscher, an einen Kollegen mailte, er habe gerade ?einen Trick? von Michael Mann angewandt, um einen sinkenden Temperaturverlauf ?zu verstecken?. Mann ist Autor der sogenannten Hockeyschläger-Kurve, laut der die globalen Temperaturen im letzten Jahrtausend fast unverändert verliefen und sich erst seit etwa 150 Jahren verändert hätten, mit steilem Verlauf nach oben. Sie ist in der Klimadebatte heftig umstritten und war Bestandteil des IPCC-Berichts von 2001. Mann, Professor an der Pennsylvania State University, meinte dazu: Die Wortwahl von Jones sei unglücklich, Wissenschaftler würden aber oft den Begriff ?Trick? benutzen, wenn sie eine Problemlösung gefunden hätten, es gehe ?nicht um etwas Geheimes?. Jones selbst nahm zu den aktuellen Entwicklungen nicht Stellung. Kevin Trenberth, ein Atmosphärenforscher des National Center for Atmospheric Research, gesteht ? soweit die Veröffentlichung korrekt ist ? in einer E-Mail ein: ?Fakt ist, dass wir das derzeitige Ausbleiben der Erwärmung einfach nicht erklären können, und es ist ein Hohn, dass wir es nicht können.? Vielerlei, auch Harmloses, könnte hinter der Aufforderung in einer jener veröffentlichten E-Mails stehen, die der Empfänger auf Bitte des Absenders an Dritte weitergeben möge: ?Könntest Du den gesamten E-Mail-Verkehr löschen, den Du möglicherweise mit Keith hattest, Keith wird es auch tun.?
Doch eingebettet in das gesamte veröffentlichte Datenpaket, dürfte das Anliegen zu Spekulationen veranlassen: Wer ist Keith? Keith Briffa etwa, jener Klimaforscher, der die Hockeyschlägerkurve weiterhin verteidigt? Vor Monaten waren die CRU-Forscher kritisiert worden, weil sie sich weigerten, Kritikern die Basisdaten für die publizierten Temperaturtrends zugänglich zu machen. Der Wille zu größtmöglicher Zurückhaltung hierbei ist ebenfalls Thema in den nun durch Hacker illegal veröffentlichten E-Mails.
Als ein ? nicht unumstrittener ? Gradmesser für wissenschaftliche Zuverlässigkeit von Studien gilt, ob diese ?peer reviewed? seien, auf Deutsch: von einem Fachkollegenkreis geprüft. Lange Zeit beriefen sich die Klimaforscher im Umfeld des Weltklimarats darauf, dass die Argumente ihrer Kritiker niemals ?peer reviewed? in Fachzeitschriften erschienen. Tatsächlich traf der Vorwurf genau genommen nie zu. Gerade in letzter Zeit aber konnten Skeptiker zunehmend einschlägig geprüfte Untersuchungen in Fachzeitschriften veröffentlichen. ?Das war die Gefahr, dass wir uns immer auf das ,Peer reviewed'-Argument verlassen haben?, heißt es darüber in einer der jetzt vorliegenden E-Mails. Dessen Autor schlägt deshalb vor, künftig jene Zeitschriften, in denen Kritiker zu Wort kommen, durch einen gemeinsamen Boykott unter Druck zu setzen. Einer der Schreiber der jetzt in die Öffentlichkeit gebrachten E-Mails, Gavin Schmidt, sagte zu der Affäre: ?Wissenschaft funktioniert nicht, weil wir alle nett sind. Newton könnte ein ?Arsch' gewesen sein, aber die Schwerkraft gilt dennoch.? Was immer die Aufklärung um die ?gehackten? Daten ergeben wird: Sie sind Ausdruck dafür, dass die Klimadebatte sich verhärtet hat.
|