JAGDSZENEN IN MÜNCHEN
Zu Gast bei Schlägern
Von Sebastian Christ
SPIEGEL-ONLINE-Mitarbeiter Sebastian Christ wollte sich am Freitag mit Deutschland-Trikot und polnischer Flagge einen netten Abend in München machen. Doch seine binationale Ausstattung, die er "im Selbstversuch" durch München trug, gefiel nicht allen Fans. Zwei Thüringer jagten ihn schließlich durch einen Park. Hier sein Protokoll.
München - "Polacke!" Schon nach hundert Metern werde ich zum ersten Mal angepöbelt. Es ist Fußball-WM, der Tag des Eröffnungsspiels. In zehn Minuten beginnt das zweite Spiel, Ecuador gegen Polen. Und ich will mit Deutschland-Trikot und Polen-Fahne die etwa 500 Meter von meiner Wohnung zum Fan-Fest zu gehen. Es ist ein kleiner Selbstversuch: Gibt es Ressentiments gegen Polen und ausländische Fans im Allgemeinen?
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SPIEGEL ONLINEAutor Christ: Seine Fanmontur überstand den Abend nicht |
Das ist im Prinzip schon alles, und doch nicht die ganze Geschichte: Denn den Rückweg wird meine Fan-Montur nicht überstehen.
Ich mag Polen, habe dort einen Teil meiner Studienzeit verbracht. Die deutsch-polnische Freundschaft liegt mir am Herzen. Für mich gibt es nichts Natürlicheres, als auch die Elf von Pawel Janas lautstark zu unterstützen. Doch es gibt Münchner, die das anders sehen.
Schon 50 Meter weiter werde ich wieder angemacht: "Die Fahne ist scheiße", schnauzt mich ein besoffener Mann mit bayerischem Akzent an. Vor ihm steht ein halbleerer Bierkasten. Seine Augen sind glasig, der Kopf ist rot. Die Welt zu Gast bei Freunden?
"Heute gestohlen, morgen in Polen"
Ich bin noch nicht ganz auf der Brücke zum Stadion angelangt, als mich wieder jemand beleidigt. Ein sogenannter Fan im deutschen Nationaltrikot. Er leiert einen der ältesten Wortwitze herunter, den es in deutscher Sprache gibt: "Heute gestohlen, morgen in Polen." Ich versuche ihn versöhnlich zu stimmen. Doch den Hinweis darauf, dass Nationalstürmer Miroslav Klose auch in Polen geboren ist, lässt er nicht gelten. "Ja, ja", sagt er nur. Und grinst.
Das Spiel selbst läuft katastrophal für Polen. Die vielleicht 500 polnischen Fans sind ruhig, kaum vernehmbar. Sie gehen in der großen Menge unter. Auf den Rängen liegen Berge von Müll: Bierflaschen, Essensreste, auch wertlose Werbegeschenke, die von den Sponsoren in Tausenderstückzahlen unters Publikum geschmissen wurden. Am Coubertinplatz zwischen Stadion und Leinwand feiern immer noch Hunderte Deutsche. Die meisten sind betrunken, manch einer von ihnen schläft auf den grünen Hügeln des Parks seinen Rausch aus. Einer will mir die Hand schütteln als er meine Fahne sieht, verfehlt aber und haut ins Leere. Im Polizeibericht vom 9. Juni heißt es, dass insgesamt neun Menschen im Olympiapark festgenommen wurden. Ein friedliches Fest, so das Fazit des Polizeisprechers.
Es wird langsam kalt. Nach dem 1:0 für Ecuador mache ich mich wieder auf den kurzen Rückweg. Ich werde mehr als eine Stunde dafür brauchen.
Als ich die Brücke vom Stadion weg verlasse, raunt mir ein Mann mit thüringischem Dialekt von der Seite zu: "Was willst Du denn mit der Fahne?" Ich drehe mich zu ihm hin: "Wieso?" Er sagt: "Du kannst doch hier nicht mit der polnischen Fahne rumlaufen. Deutschland-Trikot und Polen-Fahne, das passt nicht."
Der Mann wird zusehends aggressiver. Er hat keine Glatze und keine Springerstiefel. Seine Haare sind dunkel und kurz. Ich sage ihm, dass beides sehr wohl zusammenpassen kann. Das ist ihm egal. Die Leute aus seiner Gruppe halten ihn von nichts ab, sein nationalistisches Gerechtigkeitsempfinden läuft auf Übertouren. In den Augen blitzt Streit, sie verfolgen mich. Schließlich stellt er sich mir in den Weg und packt mich am Arm. "Du erklärst mir jetzt sofort, warum du hier mit der Polen-Fahne herumläufst. Eher kommst hier nicht weg." In mir reift langsam die Erkenntnis, dass ich in der Klemme stecke. Von hier aus kann ich fast meinen Studentenbungalow sehen. Aber es ist zu weit um dort hinzulaufen. Zu viele Hügel, zu viele Hindernisse.
Ich drohe ihm mit der Polizei. Das macht ihn erst recht rasend. "Du kriegst Schläge, wenn Du die Polizei rufst." Er schubst mich durch die Gegend. An uns gehen Dutzende Fans vorbei, die alle wegschauen. Ich sage laut, dass er mich einfach nur in Ruhe lassen soll. Keiner reagiert.
Stammtischbrüder auf Erlebnisreise
Ein zweiter Thüringer kommt hinzu. Sie tragen beide Deutschland-Shirts. Auf ihrem Rücken steht der Name ihres Heimatortes: Bickenriede im Eichsfeld. Sie sind Stammtischbrüder, wohl auf Fußball-Erlebnisreise in München.
Ich wähle 110 und setze einen ersten Notruf ab. Es dauert endlose zehn Sekunden, bis ich durchgestellt werden. Die beiden beschließen, mich jetzt durch den Park zu jagen. Ich laufe so schnell ich kann eine Böschung hinunter, dann einen Hügel hinauf. In der rechten Hand habe ich die Fahne, in der linken das Handy. "Kommen sie schnell", brülle ich ins Telefon. Die beiden haben mich fast. Ich schlage einen Haken, renne in die andere Richtung. Jetzt folgt mir nur noch einer von ihnen. Während ich mein Handy in die Tasche stopfe, kommt er immer näher. Dann hat er mich. Ich rutsche aus. Er würgt mich, reißt an meinem Trikot, drückt mir seinen Handballen ins Gesicht. Dann nimmt er meine Fahne und zerbricht den Stock über seinem Knie.
Mir gelingt es kurze Zeit später die berittene Polizei auf die beiden aufmerksam zu machen. Als der Polizist nach den Personalien fragt, sagen die beiden Männer aus Bickenriede, dass sie keinen Ausweis dabei hätten. Sie bestreiten alles. Ich spüre eine Art Korpsgeist unter den beiden: Wir halten dicht. Mindestens einer von ihnen macht offensichtlich falsche Angaben. Dann dürfen sie nach Hause gehen.
Der Polizist auf seinem Pferd schreibt meine Personalien auf. Er macht mir wenig Hoffnung darauf, dass die Sache ein Nachspiel hat. "Wir haben da gewisse Probleme mit der Beweisführung", sagt er, als ich ihm erkläre, dass ich den Vorfall für fremdenfeindlich halte. Er sagt: "Sie sind halt kein Afrikaner."