Sat Jan 28 15:02:48 2006 -->SCHULE
Versager in der Matschecke
Von Manfred Dworschak
Eine Mutter von vier Kindern schrieb ein furioses "Lehrerhasserbuch" - jetzt lüftet sie ihr Pseudonym.
Der erste Lehrer hat bereits angekündigt, er werde Deutschland verlassen. Er halte es hier nicht mehr aus, schreibt kummerschwer Herr B. aus D. im Internet - "und ein Buch wie Ihres trägt dazu bei".
| Norbert MichalkeAutorin Unverzagt: "Das hat doch deine Mama geschrieben" | Kaum zu glauben, was so ein kleines, grimmiges "Lehrerhasserbuch" anrichtet. Werden weitere Opfer folgen? Das Buch, verfasst von einer gewissen Lotte Kühn, schont ja niemanden. Sein Untertitel: "Eine Mutter rechnet ab". Die Lehrer, die vorkommen, werden als wehleidig, faul oder beides dargestellt. Das Personal reicht von kindernärrischen Grundschulglucken, die mindestens "Frau Dingel-Domdei" heißen, bis hin zum erloschenen Zynikus auf dem Gymnasium, der sich nicht einmal mehr die Namen seiner Schüler merkt. Und das alles soll wahr sein*.
Die Autorin weiß schon, warum sie einen Decknamen wählte: Ihre vier Kinder sind, wie sie sagt, noch allesamt dem Schulbetrieb als "Geiseln" ausgeliefert. Allein: Die Tarnung hielt nicht lang. Der jüngste Sohn knickte ein, als unlängst die Frau Friedensreich-Bedürftig aus dem Buch auf ihn losging. Begleitet von einer Kollegin, erschien sie vor der versammelten dritten Klasse, wedelte mit dem "Lehrerhasserbuch" und rief: "Das war doch deine Mama!" Der Kleine in seiner Not würgte und nickte, und seither zwackt ihn die Reue: "Mama, ich habe dich verraten."
Nun kann es auch der Rest der Welt erfahren: Lotte Kühn ist in Wahrheit die Berliner Journalistin Gerlinde Unverzagt. Sie hat bislang 16 Bücher geschrieben, vor allem Familienratgeber, nichts Böses darunter. Das "Lehrerhasserbuch" entstand aus lange aufgestautem Ingrimm. Die Kinder der alleinerziehenden Mutter Unverzagt bringen es zusammen schon auf fast 26 Schuljahre: "Da musste einiges mal raus."
Erfunden, so versichert die Autorin, seien nur die Namen. Die Grundschule, sagt sie, sei wirklich so ein wunderliches Soziotop, beherrscht von Lehrerinnen, die sich in einer Art ewigem Kindergarten mit Matschecken und Klangmulden eingerichtet haben. Sie genießen es, mit den kleinen Mädchen Puppen zu kämmen, wuscheln gern traulich in Kinderschöpfen und zeigen überhaupt einen schier unstillbaren Kuschel- und Wuschelbedarf.
Gelehrt wird dagegen mit größter Vorsicht. Beim Schreiben etwa gilt lange die Freiheit von jedem Regelzwang: Wie das Kind es sich denkt, ist es richtig. Nicht schlecht für den Anfang, findet Mutter Unverzagt. Aber wenn der Sohn, acht Jahre alt, immer noch "Beischbiel" im Diktat schreibt, und der Lehrer malt nur ein zartes Fragezeichen an den Rand - zerbräche etwa die Kinderseele an einer Korrektur?
Das Idyll, klagt die Autorin, geht auf Kosten der Eltern, die als Aushilfslehrer das Nötigste nachfüttern. Die Schule rechnet geradezu schon damit. Unverzagt erinnert sich an einen Elternabend nach drei Jahren freien Schreibens: an der Tafel der neue Lehrer der vierten Klasse, die Eltern wie üblich auf die Zwergenstühlchen im Klassenzimmer gezwängt. Die Lage sei ernst, mahnt der Lehrer, um die Rechtschreibung stehe es übel. "Da wird es jetzt allerhöchste Zeit, dass Sie nachfassen."
Zupackender als bei der Orthografie zeigt sich die Schule beim Rekrutieren von Lesemüttern, Milchmüttern und Plätzchenbäckerinnen. Mal braucht das Kind Wichtelgeschenke, dann kommen unzählige Sommerfeste (niemals den Blumenstrauß für die Lehrerin vergessen!) und zwischendurch auch mal ein Hexenfest zur Feier der Bewältigung des Buchstabens X.
Das "Lehrerhasserbuch" ist ungerecht. Der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Josef Kraus, intervenierte persönlich beim Verlag gegen die Veröffentlichung. Es ist ja auch billig, auf die Lehrer einzudengeln. "Aber anders ändert sich nie was", sagt Gerlinde Unverzagt. Der Berufsstand, beschützt vom Beamtenstatus, lebe in der Gewissheit, dass ihm am Ende kein Stänkerer was kann. Ebendarum, stänkert Unverzagt, wurde die Schule ja auch zum "Schutzraum für menschliche Versager".
Doch kündigt sich allmählich ein Grollen seitens der Eltern an. Eine Umfrage an der Universität Dortmund etwa ergab, dass von 1993 bis 2004 der Anteil der Eltern, die volles Vertrauen zum Lehrer ihrer Kinder haben, von 46 auf 32 Prozent gesunken ist. Und in Berlin gründete sich gerade eine Elternpartei, die fordert, Lehrer sollten endlich nach Leistung bezahlt werden, nicht mehr nach Dienstjahren.
Käme je eine Bewegung zur Reform des Lehrerstandes in Gang, das "Lehrerhasserbuch" wäre die passende Aufputschfibel. Dass es allerdings in einer Reihe erschienen ist, zu der auch ein Bahnhasserbuch und ein Posthasserbuch zählen, nimmt ihm ein wenig von seiner Schlagkraft. Ein Elternhasserbuch wird gewiss bald folgen. "Lehrerhasserin" Unverzagt könnte es problemlos selbst schreiben: Nicht minder nämlich gehen ihr, sagt sie, die "überbehütenden Spätgebärerinnen" auf die Nerven, die morgens persönlich im Klassenzimmer erscheinen, um ihren Infanten das Stühlchen zurechtzurücken.
Aber den Schlag gegen die Eltern wird jemand anderes führen müssen. Autorin Unverzagt hat schon das nächste Buch in Arbeit. Darin geht es ums kranke Schulsystem als Ganzes. "Völlig ohne Polemik", verspricht sie, "und gnadenlos ausgeglichen."
* Lotte Kühn: "Das Lehrerhasserbuch". Knaur Taschenbuch Verlag; 220 Seiten; 6,95 Euro.
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