Das Geheimnis des Wachstums
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neuester Beitrag: 29.06.01 17:53
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eröffnet am: | 29.06.01 17:43 von: | rebecca | Anzahl Beiträge: | 2 |
neuester Beitrag: | 29.06.01 17:53 von: | boomer | Leser gesamt: | 3747 |
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Steuern senken, Zinsen drücken - Ökonomen suchen nach Wegen aus der Konjunkturflaute. Sie vergessen: Die deutsche Wirtschaft wächst auf Dauer nur, wenn die Menschen besser ausgebildet werden
Von Wolfgang Uchatius
Illustration: Wolfgang Sischke/Martin Hinz
Die Frage ist nicht, ob Wunder geschehen, sondern, wer sie wirkt. Natürlich geschehen Wunder. Zum Beispiel, dass irische Familienväter, die jahrzehntelang kaum genug Geld hatten, ihren Kindern das Frühstück zu bezahlen, plötzlich Arbeit finden. Oder dass in den Vereinigten Staaten zehn Jahre lang die Wirtschaft wächst und am Ende die Armut zwar immer noch groß ist, aber immerhin so gering wie seit zwanzig Jahren nicht mehr. Solche Wunder. Wirtschaftswunder, wie sie in der Vergangenheit zu Dutzenden geschehen sind, überall auf der Welt. In Europa, in Amerika, in Asien.
Auch einmal in Deutschland, aber das ist lange her. In den fünfziger Jahren wuchs die deutsche Wirtschaft um durchschnittlich 8,1 Prozent im Jahr, in den Sechzigern um 4,8. In den Siebzigern waren es noch 3,1 Prozent, in den Achtzigern nur noch 1,8, in den Neunzigern 1,7. Gäbe es irgendwo auf der Welt ein riesiges Betonbecken, das all das Geld aufnimmt, das in Deutschland verdient wird, dann hätte der Zustrom mit der Zeit immer mehr an Kraft verloren. Im vergangenen Jahr schwoll er an. 3,0 Prozent Wachstum maßen die Statistiker - und dabei werde es dieses Jahr in etwa bleiben, prophezeiten die Prognostiker.
Sie irrten - und das nicht nur, weil der Schub aus Amerika nachließ. Fast wöchentlich revidieren die Wirtschaftsforscher nun ihre Vorhersagen nach unten und bestätigen damit die alte Diagnose. "Deutschland leidet unter einer Wachstumsschwäche", sagt der Potsdamer Wirtschaftsprofessor Paul Welfens. Wenn es diese nicht überwindet, bedeutet das: Armut, Verteilungskämpfe, Arbeitslose. Die Frage ist also: Wer ist der Wundertäter? Wer oder was könnte dafür sorgen, dass in Deutschland die Wirtschaft wieder stärker wächst?
Ein ebenso abwegiger wie eindrucksvoller Ort, die Suche nach der Antwort zu beginnen, ist ein backsteinbraunes Haus, so groß und mächtig wie eine Burg. Es steht in Bayern, in München, in der Kapuzinerstraße. Die Burg ist das Arbeitsamt, und dieser Umstand lässt seine Größe fast lächerlich erscheinen, weil es in dieser Stadt für die Bekämpfer der Arbeitslosigkeit wenig zu kämpfen gibt.
"Gäbe es doch zehn München"
"Gäbe es in Deutschland fünf oder zehn Städte wie München, dann wäre das Beschäftigungsproblem gelöst." Der das sagt, ist Erich Blume, 64, studierter Ökonom, seit 50 Jahren Münchner, seit Jahrzehnten Angestellter der Bundesanstalt für Arbeit, seit sechs Jahren Leiter des Arbeitsamts. Wenn er von seiner Datenbank Zahlen abhebt, geordnet nach Ort, Zeit, Alter, Geschlecht, Qualifikation, dann verknüpfen sie sich zu einer einzigen Antwort: München ist Deutschland verkehrt. Arbeitslosenquote: 3,7 Prozent, niedriger als in jeder anderen deutschen Großstadt. Verringerung der Arbeitslosenzahl in den vergangenen zwölf Monaten: 14,5 Prozent, mehr als in jeder anderen Großstadt. Zahl der staatlichen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen: 379, weniger als in jeder anderen Großstadt. Zahl der gemeldeten offenen Stellen: 27 294, mehr als in jeder anderen Großstadt.
Deutschland droht die Stagnation, München boomt. Seit Jahrzehnten präsentieren Ökonomen, Politiker, Interessenverbände und internationale Organisationen den Deutschen ähnliche Rezepte, um die Wirtschaft anzukurbeln. Da ist dann viel von Steuern die Rede, die zu senken sind. Von Zinsen, die zu senken sind. Von Niedriglöhnen, die möglich gemacht werden müssen. Zudem seien die Ladenöffnungszeiten auszuweiten, der Kündigungsschutz zu lockern, die Arbeitszeit zu flexibilisieren.
Womöglich kann vieles davon der Wirtschaft helfen, aber nichts davon hat mit dem Wachstum der Region München zu tun. In München ist der Kündigungsschutz nicht schwächer, die Zinsen sind nicht niedriger als im Rest des Landes und die Steuern auch nicht. Im Gegenteil, die Gewerbesteuer, die Büromieten, die Wohnungsmieten, die Lebenshaltungskosten sind die höchsten der Republik. Und wenn Firmen nicht an Tarifverträge gebunden sind, dann müssen sie ihren Münchner Angestellten deshalb auch noch höhere Gehälter zahlen als anderswo. München ist die Hochlohnstadt im Hochlohnland.
München ist also ein teurer Standort. Wirtschaftlich gesehen sollte hier vieles schlechter sein als im übrigen Deutschland - in Wirklichkeit aber ist fast alles besser. Nirgendwo gibt es so viele oder so große IT-Firmen, Versicherungen, Venture-Capital-Unternehmen, Buchverlage, E-Business-Start-ups und Bio-Tech-Unternehmen. Nirgendwo ist die Kaufkraft pro Einwohner so hoch, sprich, nirgendwo geht es den Leuten im Schnitt finanziell so gut wie in München. Das deutet darauf hin, dass es irgendwo in dieser flachen Stadt, in der sie gerade darüber streiten, ob es erlaubt sein darf, ein Hochhaus zu bauen, das höher wäre als die Frauenkirche, dass es irgendwo zwischen Zwiebeltürmen und Wirtshäusern eine Kraft gibt, die Reichtum schafft und die stärker ist als Zinsen, Mieten, Steuern und Arbeitsmarktgesetze. Das Geheimnis ökonomischen Wachstums.
Man findet es zum Beispiel in Hallbergmoos. Längst ist aus dem Dorf im Münchner Grüngürtel, nahe dem Flughafen, eine kleine Geschäftsstadt geworden. Hallbergmoos ist heute so etwas Ähnliches wie eine Touristenattraktion, nur dass es keine Touristen sind, die hier jeden Tag angefahren kommen, sondern Angestellte auf dem Weg zur Arbeit im Hallbergmooser Gewerbegebiet. Dort stehen pastellfarbene, steinerne, gläserne Bürohäuser von der Art, wie sie überall in Deutschland in allen Gewerbegebieten stehen, mit blank polierten Firmenschildern vor den Einfahrten, an den Parkplätzen und den Eingangstüren. Auf einem der Schilder steht der schwarz-gelbe Schriftzug des Internet-Buchhändlers Amazon. Das ist insofern interessant, als Amazon seine deutsche Vertretung nicht von Anfang an hier hatte, sondern zunächst in der Oberpfalz: in Regensburg.
Um auf den deutschen Markt zu kommen, hatte Amazon dort vor zwei Jahren das kleine Online-Unternehmen Telebuch gekauft. Weil die Oberpfalz nicht gerade die reichste Gegend in Deutschland ist - die Preise, die Mieten, die Löhne, alles ist vergleichsweise niedrig -, war Regensburg eigentlich ein guter Standort für Amazon und seine drei Abteilungen: das Auslieferungslager, das Call-Center und den Bürobereich für all diejenigen, die vor allem mit dem Kopf arbeiten, die Web-Designer, Strukturentwickler, Einkäufer und Marketingfachleute. Nur, in der Oberpfalz muss man die erst einmal finden. "Für diesen Bereich wäre das Anwerben von Personal in Regensburg extrem schwierig geworden", sagt Gesine Reimerdes, Marketingdirektorin von Amazon Deutschland.
Heute hat Amazon in Deutschland drei Standorte. Das Call-Center blieb in Regensburg. Das Auslieferungslager zog ins strukturschwache Nordhessen, weil das günstig in der Mitte von Deutschland liegt und dort außerdem die Arbeitslosenzahlen hoch und die Mitarbeiter billig sind. Die Hochqualifizierten aber, die arbeiten in Hallbergmoos.
Allerdings nicht mehr lange. Von der Münchner Innenstadt über die verstopften Ringstraßen hinaus zum Flughafen dauert die Fahrt schon mal ein, zwei Stunden. "Das wollten wir unseren Mitarbeitern nicht länger zumuten", sagt Reimerdes. Amazon hatte Angst, das wertvolle Humankapital an andere Firmen zu verlieren. Deshalb zieht die Firma jetzt erneut um, hinein in die Stadt. Dort sind Mieten und Gewerbesteuer zwar noch teurer, aber das ist nicht so wichtig.
Wichtig, überlebenswichtig für ein Unternehmen ist es, Mitarbeiter zu finden. Und dafür geht man am besten nach München. Das sagt nicht nur Gesine Reimerdes von Amazon. Das sagt auch Helmut Krings, Deutschlandchef des Softwareherstellers Sun Microsystems, das sagen Günter Junk, Deutschlandchef des Netzwerkproduzenten Cisco Systems, Hans-Jürgen Bruer, Leiter der Fusionsintegration beim Pharmariesen GlaxoSmithKline, Otmar Baur, Vorstand des Internet-Start-ups yellow map, Sebastian Müller-Ebert, Vorstand des Biotechnologieunternehmens GPC Biotech, und Susanne Westphal, Leiterin der Unternehmenskommunikation beim MobilfunkKonsortium 3G. Das sagen fast alle aus den High-Tech-Branchen, und alle denken sie dabei nicht an Fahrer, Pförtner und Gebäudereiniger, sondern an das, was Human-Ressources-Manager als High Potentials bezeichnen: an hoch qualifizierte Spezialisten. Weil die Firmen aber zusätzlich Fahrer und Pförtner brauchen, haben in München inzwischen auch die fast alle einen Job gefunden. "Wenn sie einen guten Markt haben, haben auch weniger Qualifizierte eine Chance", sagt Arbeitsamtschef Erich Blume.
Demnach sind es also die Menschen, die für den Erfolg Münchens verantwortlich sind und deren Können das ökonomische Wachstum der Stadt generiert. Das klingt ein wenig nach Sonntagsrede; danach, dass das Wohl des Landes in unser aller Hände liegt und wir es alle gemeinsam schaffen können. Das Argument wäre somit nicht unbedingt überzeugend, würde es sich nicht mit neueren wissenschaftlichen Arbeiten decken, genauer, mit der Arbeit vor allem eines Mannes: Paul Romer.
Romer, Mitte 40, Ökonomieprofessor an der Stanford-Universität in Kalifornien, heißer Kandidat für den Nobelpreis, nur noch etwas zu jung dafür, 1997 vom Time Magazine zu einem der 25 wichtigsten Amerikaner ernannt, gilt als Begründer der so genannten Neuen Wachstumstheorie. Er hat etwas in mathematische Formeln gegossen und damit in Erinnerung gerufen, was so ähnlich andere Wissenschaftler schon Jahrzehnte zuvor betont hatten. Und was er, Romer, mit einer hübschen Metapher beschreibt.
Man müsse sich, sagt Romer, eine Volkswirtschaft als einen Brustschwimmer vorstellen. Wolle der seine Leistungsfähigkeit erhöhen, so habe er verschiedene Möglichkeiten. Die erste: die Trainingsbelastung reduzieren, was ihm kurzfristig Erholung verschafft und seine Ergebnisse verbessert. Übertragen auf die Ökonomie entspräche das dem Lockern der Steuerschraube. Anstatt ihre Schulden zu begleichen, würde die Regierung die Einkommensteuern senken, die Verbraucher hätten dann mehr Geld in der Tasche. Die zweite Möglichkeit: Blutdoping. Der Schwimmer lässt sich Blut spritzen, woraufhin er mehr Sauerstoff aufnehmen kann, was ebenfalls seine Ergebnisse verbessert. In der ökonomischen Wirklichkeit entspräche dies einer Zinssenkung, aufgrund deren sich die Geldmenge erhöht und die Unternehmen leichter Kredite aufnehmen könnten.
Beide Maßnahmen, so Romer, können durchaus dafür sorgen, dass eine Volkswirtschaft ihr Leistungspotenztial besser ausschöpft. Dieses mehr oder minder starke Ausschöpfen eines bestimmten Potenzials bezeichnen Ökonomen als Konjunktur. Mithin ist es womöglich nicht verkehrt, wenn der amerikanische Präsident George W. Bush die Steuern senkt, um so den Einbruch der US-Wirtschaft aufzufangen. Mithin wäre es womöglich hilfreich, wenn die Bundesregierung die nächsten Schritte der Steuerreform vorzöge, wenn die Europäische Zentralbank die Zinsen herabsetzte. Dies könnte die Konjunktur ankurbeln, die Ergebnisse verbessern, aber nur kurzfristig, nur bis zu einem bestimmten Punkt.
Einem Brustschwimmer, der langfristig und dauerhaft seine Leistungsfähigkeit erhöhen will, so Romer, bleibt nur eine dritte Möglichkeit: Er erfindet eine neue Schwimmtechnik.
Übertragen auf die Wirtschaft heißt das, es sind vor allem neue Ideen, die ein Unternehmen, eine Volkswirtschaft antreiben. "Das Hervorbringen von Innovationen ist in modernen Industrienationen die entscheidende Quelle von Wachstum, darüber besteht heute unter Ökonomen ein relativ breiter Konsens", sagt Lutz Arnold, Wachstumstheoretiker an der Uni Regensburg.
Es ist daher nicht verwunderlich, wenn all die Firmen aus den Wachstumsbranchen, also Sun Microsystems und Cisco Systems und GPC Biotech und Amazon und Telefonica Sonera, so viel Wert auf hoch qualifizierte Angestellte legen. Weil sie mit ihnen gleichzeitig den Fortschritt kaufen, der ihnen neue Märkte eröffnet, der sie besser macht als die Konkurrenz. Verwunderlich ist höchstens, dass sie betonen, solche Mitarbeiter am ehesten in München zu finden.
Der Grund dafür hat viel damit zu tun, dass sich München nicht nur heute wirtschaftlich so sehr von anderen Gegenden Deutschlands unterscheidet, sondern dass es sich auch vor fünfzig Jahren sehr von ihnen unterschied. Damals, nach dem Krieg, machten sich jede Woche junge Münchner in Sonderzügen auf den Weg ins Ruhrgebiet, um dort nach Kohle zu graben. Zu Hause fanden sie keine Arbeit. Wenn man die Wirtschaft mit einem Brustschwimmer vergleichen kann, dann konnte die Region München damals noch nicht einmal Wasser treten.
Doch was den Münchnern wie der nahe Untergang erscheinen musste, war der Anfang des Aufstiegs. "Durch die späte Industrialisierung bekam Bayern einen jungen, modernen Kapitalstock", sagt der Regionalökonom Robert Koll vom Münchner ifo-Institut für Wirtschaftsforschung. In München war Platz für das Neue. Keine Kohle, kein Stahl, keine Fabriken, die die Arbeitskraft Hunderttausender Menschen verbrauchen und mit deren Produkten sich trotzdem kaum Gewinn erzielen lässt. "In München entwickelte sich eine rauchlose Industrie mit hohem Forschungsanteil", sagt Arbeitsamtschef Blume. Es entwickelte sich das, was heute High Tech heißt.
"Der Nukleus war Siemens", sagt Reinhard Dörfler, Hauptgeschäftsführer der Münchner Industrie- und Handelskammer. 1949 beschloss das Unternehmen, die zerteilte, vom freien Deutschland abgeschnittene ehemalige Hauptstadt Berlin zu verlassen und in den amerikanischen Sektor umzuziehen, nach München, in den Stadtteil Solln. Um den Kern Siemens gruppierten sich andere, kleinere Unternehmen, weil ein solcher Konzern nicht nur Produzent ist, sondern auch Abnehmer, Partner und Quelle für neue Mitarbeiter. Diese anderen Unternehmen waren das natürlich auch, für wieder andere Unternehmen. Auf IT folgte Software, auf Software Multimedia. Der Kern wuchs und wuchs, und seine Anziehungskraft wurde dadurch verstärkt, dass die Zuzügler in München nicht nur erfahrene Mitarbeiter von den anderen Firmen abwerben, sondern sie auch direkt von den Hochschulen holen können. Nirgendwo studieren so viele angehende Ingenieure und Naturwissenschaftler wie in München, die dortigen Universitäten zählen zu den besten des Landes. Dozenten und Professoren gründeten teilweise eigene Unternehmen, meist mitfinanziert von der bayerischen Staatsregierung. Diese hat mit den Erlösen aus dem Verkauf von Firmenbeteiligungen üppige Förderprogramme für Existenzgründer aufgelegt und Forschungsinstitute vergrößert. "High Tech Offensive Bayern" nennt sie das. Nicht zuletzt diesem Angriff ist es zu verdanken, dass im Südwesten von München, in Martinsried, ein neuer, weiterer Kern entstand, diesmal für die Biotechnologie.
Vor ein, zwei Jahren, sagt der Münchner Oberbürgermeister Christian Ude, da habe er noch seinen Weihnachtsurlaub unterbrochen, um sich persönlich mit Unternehmenslenkern zu treffen und für den Standort München zu werben. Inzwischen greife er nicht einmal mehr zum Telefon. Die Firmen kommen von allein.
Leistungsschwimmer haben Trainer. Das ökonomische Pendant wäre die jeweilige Regierung, die Politik. Dass die CSU-Regierung in Bayern einen Anteil am Münchner Boom hat, betont auch SPD-Mann Ude. Aber welchen Anteil hat die Bundesregierung, die alte, die neue, an der anhaltenden deutschen Wachstumsschwäche? In den siebziger Jahren verschlief Deutschland den IT-Boom. "Was nicht zuletzt an der damaligen Technikfeindlichkeit lag", sagt Sun-Microsystems-Chef Helmut Krings. Hätte die Regierung die so einfach wegzaubern können?
Nein. An Zinsen, Steuern und Löhnen lässt sich drehen wie an den Schrauben eines Automotors, ein starker Gesetzgeber kann auch für flexiblere Arbeitsmärkte sorgen. Die Innovationskraft einer Ökonomie aber unterliegt nur zum Teil der politischen Kontrolle. Eben weil eine Marktwirtschaft vom Markt und von seinen Akteuren bestimmt wird. Wäre Siemens nicht nach München gekommen, hätte die beste Politik kein Wunder vollbracht. Auch ein Schwimmtrainer kann aus einem drittklassigen Amateur keinen Weltmeister machen. Einfluss nehmen aber, das kann die Politik.
"Die Lehre der neueren Wachstumsforschung ist: Die Politik muss die Bildung stärker fördern", sagt Lutz Arnold von der Uni Regensburg. Deutschland jedoch liegt bei den Bildungsausgaben unter dem Durchschnitt aller OECD-Länder. Nicht einmal jeder Dritte eines Jahrgangs beginnt ein Studium, nur vier Industrieländer haben geringere Quoten. In einem kürzlich vorgelegten Bericht prophezeit die Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung einen "alarmierenden Mangel" an Fachkräften, insbesondere bei Ingenieuren und Informatikern. "Es gibt in Deutschland zwar ein Stabilitäts- und Wachstumsgesetz, aber Wachstumspolitik wird in Berlin nicht gemacht", sagt der Potsdamer Ökonom Paul Welfens.
Der Harvard-Forscher Robert Barro untersuchte das Wachstum von 100 Ländern über 25 Jahre. Demnach stiegen die Pro-Kopf-Einkommen umso schneller, je besser die Schulbildung war. Natürlich ist das kein Beweis. Natürlich kommt es darauf an, nicht nur mehr Geld für Bildung auszugeben, sondern es auch noch so zu tun, dass die Talente gefördert werden, die zur Innovationskraft beitragen. Aber solange Deutschland nicht mehr und nicht geschickter in Bildung investiert, wäre es zumindest verwunderlich, wenn hierzulande bald wieder ein Wunder geschähe.
(c) DIE ZEIT 27/2001