Freitag, 29. Oktober 2010
Per Saldo "Seltene Erden" für alle! von Thomas Badtke
Sie heißen "seltene Erden" und sind für Zukunftstechnologien unentbehrlich. China weiß das und verringert seine Exporte. Der Aufschrei in den Industrieländern ist groß: Droht nach der Finanzkrise nun eine Rohstoffkrise? Die weltweite Hightech-Industrie braucht seltene Erden wie der Boden das Wasser. (Foto: REUTERS) "Von der Sowjetunion lernen, heißt siegen lernen", so hieß es früher in der DDR. Heute, 20 Jahre nach der Wiedereinigung, sollte sich Deutschland wohl eher an China orientieren.
"Der Nahe Osten hat sein Öl, China hat seltene Erden", sagte 1992 bereits Deng Xiaoping. Dort bewies bereits 1992 der damals starke Mann des Landes und marktwirtschaftliche Reformer Deng Xiaoping Weitblick: "Der Nahe Osten hat sein Öl, China hat seltene Erden." Und genau diese will das Riesenreich behalten, kürzt die Ausfuhr und verknappt damit das Angebot drastisch. Die Europäische Union, die USA und Japan sind alarmiert. Der Aufschrei in Industrie und Politik ist groß. Droht eine neue Rohstoffkrise?
Die Frage ist berechtigt: Bei den seltenen Erden handelt es sich um eine Gruppe von 17 Industriemetallen. Zu ihnen gehören etwa Lutetium, Cerium, Europium, Samarium, Scandium, Yttrium, Neodym, Dysprosium oder Lanthan. Sie werden zwar nur in kleinen Mengen verwendet, sind aber für die Herstellung von Hightechprodukten unverzichtbar. So wird Cerium in Autokatalysatoren oder Ölraffinerien verwendet. Aus Neodym werden Magnete gebaut, die in Festplatten oder iPods stecken. Yttrium findet in der Lasertechnik Verwendung. Auch in Glasfaserkabeln, Röntgengeräten, Flachbildschirmen oder Computertomografen kommen seltene Erden zum Einsatz.
Audi-Studie e-tron: Die automobile Zukunft liegt in der Elektromobilität. Die gibt es ohne seltene Erden aber nicht. (Foto: REUTERS) Ein weiterer wichtiger Industriezweig, der vor allem künftig nicht ohne seltene Erden kann, ist die Automobilbranche. Autozulieferer wie Bosch nutzen die Erden für starke Permanentmagnete, die beim Antrieb von Motoren in Hybrid- und Elektromotoren verwendet werden.
China rockt mit seltenen Erden Der größte Produzent der Welt - mit Riesenabstand - ist China. 120.000 Tonnen wurden dort zuletzt gefördert. Das waren 97 Prozent der weltweiten Gesamtmenge. Zum Vergleich: Indien auf Platz zwei kam nur auf 2700 Tonnen. Nun senkt China die Ausfuhr seltener Erden: In der zweiten Jahreshälfte 2010 will die Regierung nur noch knapp 8000 Tonnen exportieren - nach noch 28.000 Tonnen im Vergleichszeitraum des Vorjahres.
Das geschieht nicht ohne Eigennutz: Die "nationale und industrielle Sicherheit" sei in Gefahr, heißt es in China. Neuen Untersuchungen zufolge übersteigt bereits 2012 der Bedarf die heimische Förderung - nicht zuletzt wegen des anhaltend enormen Wirtschaftswachstums ist Peking damit zum Handeln gezwungen.
Alle Macht in Chinas Hand Es geht dabei aber nicht allein um Profite: Ist das Riesenreich bei Eisenerz und anderen Bodenschätzen abhängig vom Ausland, kann der "Normalrohstoff-Bittsteller" bei den seltenen Erden den Spieß nun umdrehen. Eigentlich macht es das schon seit 2005 - denn seitdem verknappt es den Export dieser besonderen Rohstoffe - aber erst jetzt reagiert die Weltöffentlichkeit. Politiker aus nahezu allen Industriestaaten melden sich zu Wort, alarmiert von explosionsartig steigenden Preisen (für einzelne seltene Erden muss derzeit um bis das 20-fache tiefer in die Tasche gegriffen werden) und den damit einhergehenden Aufschreien aus den jeweiligen Industrien.
Rainer Brüderle: "Der Rohstoffhunger der Welt wird weiter wachsen." (Foto: picture alliance / dpa) Für den Vizepräsidenten der Europäischen Kommission, Antonio Tajani, steht "die führende Rolle Europas in neuen Technologien und Innovationen auf dem Spiel". Für US-Außenministerin Hillary Clinton ist die derzeitige Verknappung der seltenen Erden "ein Weckruf" für das ganze Land. Und auch die deutsche Bundesregierung ist alarmiert. Sie will die Rohstoffsicherung für deutsche Unternehmen künftig stärker als bislang unterstützen. Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) tönt: Es sei jetzt "Zeit zu handeln". Ein "enger Schulterschluss mit der Wirtschaft" soll die Rohstoffversorgung sichern.
Gefahr erkannt, Gefahr gebannt? Eine Verbreiterung der Versorgung ist auch dringend nötig: Deutschland importiert jährlich Rohstoffe für 80 Mrd. Euro aus dem Ausland. Aus China kommen mehr als 65 Prozent der Einfuhren an seltenen Erden. Die Volksrepublik liefert aber auch mehr als 70 Prozent der in Deutschland verbrauchten Menge an Germanium, Mangan, Molybdän, Ferrowolfram, Wolframoxid und Baryt.
Mit verbessertem Recycling und sogenannten Rohstoffpartnerschaften will Deutschland das Problem unter anderem angehen. Ein "Handelskrieg" mit China soll tunlichst vermieden werden.
Wie der enden könnte? Japan weiß es. Im Grenzstreit mit China hatte Peking kurzerhand ein Lieferembargo seltener Erden nach Japan verhängt. Innerhalb weniger Wochen sollten Experten von der Insel zufolge die Vorräte aufgebraucht sein und die japanische Hightech-Industrie am Boden liegen: Japan verbraucht etwa die Hälfte der weltweit geförderten Metalle und will jetzt als Reaktion auch aus Vietnam importieren.
USA back to the roots Auch andernorts macht sich die Politik Gedanken. In den USA beispielsweise. Sie waren bis in die 90er Jahre einer der größten Produzenten seltener Erden. Wegen ökologischer Bedenken und niedriger Preise wurde jedoch das wichtigste Bergwerk, die Mountain Pass Mine in Kalifornien, 2002 geschlossen. Derzeit werden in den USA keine seltenen Erden mehr gefördert.
Die Mountain Pass Mine wird reaktiviert. (Foto: REUTERS) Verärgert ist darüber vor allem das Militär, denn seltene Erden kommen häufig auch in der Waffentechnik zum Einsatz: in Raketenlenksystemen, Düsen von Kampfjets, Satelliten oder Kommunikationssystemen. Der Rechnungshof des Kongresses fordert daher einen "Wiederaufbau der eigenen Lieferkette". Dies solle schnellstmöglich passieren, denn es "kann bis zu 15 Jahre dauern".
Das Flehen wurde erhört: Der US-Konzern Molycorp, Eigentümer der Mountain Pass Mine, will nach eigenen Angaben seine US-Produktion seltener Erden bis Ende 2012 auf 20.000 Tonnen jährlich steigern. Molycorp ist bereits der größte westliche Produzent seltener Erden. Der Preis soll zudem deutlich unter dem Chinas liegen.
Seltene Erden fast überall Und genau das sind die richtigen Wege, um einer Rohstoffkrise bei seltenen Erden zu begegnen. Die westliche Wirtschaft muss sich von dem Quasi-Monopol Pekings befreien. Die Nachfrage nach den speziellen Rohstoffen wird in den kommenden Jahren - auch wegen der wieder anziehenden globalen Konjunktur und der boomenden Automobilindustrie, die in der Elektromobilität ihre Zukunft sieht - stetig steigen. Eine Ausweitung des Angebots ist damit unumgänglich - und möglich, da seltene Erden fast überall auf der Welt vorkommen. Die niedrigen chinesischen Preise haben das jahrelang in Vergessenheit geraten lassen. Nun sind Länder wie die USA, Australien oder Kanada gefordert, seltene Erden wieder zu fördern und einer drohenden Krise das Wasser abzugraben. Auch das wäre eine Form wirtschaftspolitischen Weitblicks à la Xiaoping.
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