Psalmen und Geflüster
Die Reaktionen auf Jürgen W. Möllemanns Tod stellen eine kleine Psychopathologie des Landes dar. von marcus hammerschmitt
Möllemanns Leiche war noch nicht kalt, da hatte das Publikum schon eine Meinung. Oder viele Meinungen. Die Nachrufspeicher der Zeitungen öffneten sich wie auf Kommando, und die vorgedruckten Kondolenzkärtchen wurden mit einer Geschwindigkeit auf den Weg gebracht, als hätten es einige tatsächlich vorher geahnt. Wahrscheinlich haben sie das nicht, aber wir werden Zeuge eines Prozesses, in dem die Umlaufzeiten von Nachrichten und ihrer Auswertung so verkürzt werden, dass sie fast mit dem ursprünglichen Ereignis zusammenfallen. Wenig fehlt, und man könnte sich die Webcam an Jürgen W. Möllemanns Fallschirmspringeranzug vorstellen, die das Ereignis live übertragen hätte. So ungewöhnlich wäre das nicht mehr gewesen, Livemitschnitte von Bombenattentaten sind schon seit Jahren im Fernsehen zu sehen und nichts weiter als die logische Folge einer wachsenden Verbreitung von Aufzeichnungsgeräten. Es war auch zu erwarten, dass nach den politischen Schlachten des vergangenen Jahres die Trauer der hinterbliebenen Parteifreunde ganz besonders deutlich ausfallen würde. Möllemann hatte sich durch seinen politischen Amoklauf den Hass vieler zugezogen. Da er nun tot ist, muss dieser Hass besonders deutlich verdrängt werden, zusammen mit dem Amoklauf und all den anderen Unerquicklichkeiten, die an Möllemanns Namen kleben. Ungewöhnlich ist vielleicht die Dichte des Weihrauchs, der einem schon fast den Atem zu nehmen droht, die Inhaltsleere der zur Schau gestellten Gefühle, die Dreistigkeit der Lügen, die trotz aller eloquenten Beliebigkeit unfähig sind, den wirklichen Konflikt zu verdecken. Möllemanns politische Strategie bestand darin, aus populistischer Berechnung das zu sagen, was seine Parteifreunde nur dachten, und aus eiskalter Parteiräson das zu tun, was eigentlich verboten ist. In dieser Hinsicht war er tatsächlich die Speerspitze der politischen Klasse in Deutschland. Das hässliche Denkmal, das er sich und dieser Klasse gesetzt hat, wird nun hastig mit Theaterfassaden umgeben, die so wackelig sind, dass ein Windhauch sie umwehen könnte. Wenn vom »großen Liberalen mit Licht- und Schattenseiten« die Rede ist oder gar in seltsam zweideutiger Art von dem »talentierten Politiker«, der da gestorben sei, denkt man an Theodor W. Adornos Aussage in dem Buch »Minima Moralia« zur modernen Funktion der Lüge: »Unter den abgefeimten Praktikern von heute hat die Lüge längst ihre ehrliche Funktion verloren, über Reales zu täuschen. Keiner glaubt keinem, alle wissen Bescheid. Gelogen wird nur, um dem andern zu verstehen zu geben, dass einem nichts an ihm liegt, dass man seiner nicht bedarf, dass einem gleichgültig ist, was er über einen denkt. Die Lüge, einmal ein liberales Mittel der Kommunikation, ist heute zu einer der Techniken der Unverschämtheit geworden, mit deren Hilfe jeder Einzelne die Kälte um sich verbreitet, in deren Schutz er gedeihen kann.« Die FDP fordert nun ein Staatsbegräbnis für Möllemann, aber jeder weiß, dass die Partei und mit ihr die ganze politische Klasse in Deutschland über den Tod Möllemanns froh ist. Er wird die Untersuchungen zum Spendengebaren der FDP wenn nicht verhindern, so doch dämpfen, ein Deckmantel an opportuner Pietät könnte der Partei geldwerte Vorteile in Millionenhöhe einbringen und der ganzen Deutschland AG eine erneute Legitimationskrise ersparen. Sollte in absehbarer Zukunft ein Austausch der derzeitigen Regierung unter Mitwirkung der Liberalen notwendig werden, ist er mit Möllemanns Tod leichter geworden. Gleich nach Möllemanns Ableben verbreitete sich außerdem ein giftiger Nebel an Verschwörungstheorien, als sei eine Nervengasgranate explodiert. Die wahre Heimat des Ressentiments ist schon lange nicht mehr der Stammtisch, im Internet findet es ein viel günstigeres Biotop. Obwohl es fast unmöglich schien, setzte das Gezischel in der Paraöffentlichkeit der Newsgroups, Internetforen und Weblogs noch früher ein als die Parade der öffentlichen Beileidsbekundungen in den offiziellen Medien. Harmlos war noch die Idee, die FDP selbst könne beim Ableben Möllemanns nachgeholfen haben. Das Geschwätz über die Beteiligung der Illuminaten, der CIA und natürlich vor allem des israelischen Geheimdienstes, des Mossad, beim Ableben eines abgehalfterten deutschen Provinzpolitikers brachte die Stimmung schon viel eher auf den Punkt. All die zu kurz gekommenen Denker, die ratlos wütenden Kleinbürger, die Hinterhofantisemiten und treudeutschen Freunde des freien Palästina, für die Möllemann mit seiner »Israelkritik« und seinem korrupten Anpackertum ein Held war, seufzten kollektiv auf: Nur Mord könne es gewesen sein. Der eine wollte gewusst haben, dass es an diesem Morgen fürs Fallschirmspringen überhaupt zu stark regnete, der andere, dass der eigentliche Grund für Möllemanns Tod sein Konflikt mit Michel Friedman vom vergangenen Jahr war. Dem Dritten war sowieso alles klar, denn Möllemann war für ihn der einzige Politiker mit Rückgrat in der Auseinandersetzung mit dem »zionistischen Plot in der BRD«, und überhaupt mal »einer von uns«. Auch »auf der Strasse unterm Volk« mache sich »dasselbe Feeling« breit: »Die Story stinkt.« Aber was ist das für ein »Feeling«, das sich da in übel riechenden Stories Bahn bricht? Zuallererst ein konstruiertes Opferbewusstsein, die Vermutung, dass man ständig das Ziel unheimlicher Intrigen sei. Gegen die ist eigentlich kein Ankommen, aber von Zeit zu Zeit nehmen doch Lichtgestalten wie Möllemann den Kampf auf, nur um stellvertretend für eine unübersehbare Menge gepeinigter Anhänger tragisch zu scheitern. Hinzu kommen die Lust am Gerücht und der feste Wille, jedes Faktum, das dem eigenen Sinngebastele widerspricht, auszublenden. Addiert man die Bereitschaft, sich in hysterische Kollektive einzufügen, hat man alle Merkmale beisammen, die diese emotionale Gemengelage selbst dann als strukturellen Antisemitismus identifizieren würden, wenn es einmal zufälligerweise nicht explizit gegen Juden ginge. Was natürlich nicht der Fall ist, denn der Mossad, jene weltverschwörerische Krake vor der kein Fleck der Erde sicher ist, hat nichts Besseres zu tun, als einem politisch erledigten Querulanten im hintersten Deutschland an die Fallschirmseide zu gehen. Unnachahmlich gebündelt hat diesen Unsinn ein Computerbesitzer, der im Diskussionsforum auf Möllemanns Website den Toten mit Jesus verglich. »Vor 2003 Jahren wurde Jesus Christus ans Kreuz genagelt. Am 5. Juni 2003 war Jürgen Möllemann dran. Das System ist das Gleiche, die Gründe sind die gleichen, nur die Methoden haben sich verfeinert.« Was nichts anderes heißt als: Die Juden haben unseren Heiland auf dem Gewissen, wieder einmal. Hier kommt endlich zusammen, was zusammengehört: der Weihrauch der Psalmodisten und das Geflüster der Quatschköpfe, die offizielle posthume Idealisierung und die Hysterie der haupt- und nebenberuflichen »Israelkritiker«, die ihren Frontmann verloren haben. Was bleibt angesichts all dieses Wahns? Die moralische Empörung läuft ins Leere, weil der Wahn so normal ist. Stattdessen stellt sich ein durchdringendes Grauen ein. Ein Grauen angesichts der Zustände, die Lebensläufe wie den Jürgen W. Möllemanns immer wieder ermöglichen und dann Psalmen und Geflüster zu Abgängen wie dem seinen nötig haben.
Jungle-World, Nummer 25 vom 11. Juni 2003
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