In China baut sich ein riesiger Waren-Rückstau auf Von Birger Nicolai 21. April 2010, 04:00 Uhr
Logistikkonzern Kühne + Nagel muss Lager wegen Überfüllung schließen - Luftfracht dürfte deutlich teurer werden - WELT-Gespräch
Hamburg - Alle drei Stunden schalten sich Manager von Kühne + Nagel zu Konferenzen mit der Konzernzentrale im schweizerischen Schindellegi zusammen. Die Regionen berichten dann über die Lage vor Ort. "Was wir derzeit erleben, ist eine der heftigsten Unterbrechungen des globalen Transports, die wir je hatten", sagt Reinhard Lange, der Vorstandschef von Kühne + Nagel, der WELT. Sichtbares Zeichen: Am Dienstag mussten etliche Umschlagterminals an den Frachtflughäfen in Shanghai und Hongkong dichtmachen. Sie wissen nicht mehr, wohin mit der Ware. Google Anzeige
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Die Unterbrechung des weltweiten Frachtflugverkehrs führt schon nach vier Tagen zu Veränderungen, wie sie vorher gar nicht absehbar gewesen waren. "Sollte das noch zwei Wochen so weitergehen, dann ist die Produktion in etlichen chinesischen Werken gefährdet", sagt Lange, der den Schweizer Konzern Kühne + Nagel seit einem Jahr führt. Der Mann aus Bremen kennt das Frachtgeschäft seit vier Jahrzehnten. Wohin sollen asiatische Fabriken ihre Handys, Computer oder Elektronikbauteile denn bringen, wenn der "normale" Weg über den Flughafen und dann weiter nach Europa plötzlich versperrt ist? Direkt vor das Werkstor können sie die teure Ware nicht stellen. "Gerade bildet sich ein unheimlicher Rückstau an Waren in China", sagt Manager Lange weiter.
Zwischen 50 und 60 Prozent des weltweiten Luftfrachtaufkommens betrifft Europa. Das kann verderbliche Ware sein wie Fisch aus Uganda oder Spargel aus Peru, es sind aber auch Konsumgüter wie das iPhone oder der Computer von HP. "Die Hersteller haben alle Panik, dass sie mitten in einer Zeit hoher Nachfrage ihre Geräte nicht liefern können", sagt ein Speditionskaufmann. Der Umweg per Schiff ist derzeit noch keine Lösung: Er dauert 25 Tage gegenüber zwölf Flugstunden. Auch Umwege über Dubai, Istanbul oder Madrid, wo noch Fracht hingeflogen werden kann, helfen nur bedingt. Der Weitertransport per Regionalflugzeug und Lkw ist mühsam zu organisieren. "Ein Maschinenbauer, der jetzt einen Motor nach Asien schicken will, bringt ihn auf der Straße nach Barcelona oder Saragossa und von dort per Flieger ans Ziel", sagt der Speditionskaufmann. Aber das muss für jeden Einzelfall organisiert werden - und das ist viel teurer als der direkte Weg ab Frankfurt/Main.
Selbst wenn sich die Lage rasch ändert und Frachtflieger wieder in die Luft dürfen: Es wird Wochen dauern, bis liegen gebliebene Ware abtransportiert wird. Denn wegen der Wirtschaftskrise haben Frachtfluglinien ihre Flotten verkleinert und Maschinen stillgelegt. Rasch neue Kapazitäten zu bekommen, ist im Moment gar nicht möglich. "Die Airlines werden alles versuchen, um die Ausfälle zu kompensieren. Deshalb werden sie die Frachtraten anheben", sagt Kühne-Manager Lange weiter. Luftfracht kann dann deutlich teurer werden.
Wenn zum Beispiel der Autobauer BMW nun Teile seiner Produktion unterbrechen muss, hat das noch einen weiteren Hintergrund. Zunächst fehlen schlichtweg Bauteile für die Elektronik der Autos, die sonst pünktlich per Luftfracht geliefert werden. Aber es mangelt eben auch am ausreichenden Vorrat dieser Teile vor Ort.
"In solchen Zeiten rächt sich, dass viele Unternehmen ihre Bevorratung von Wochen auf Tage umgestellt haben", sagt Kühne-Manager Lange. In der Wirtschaftkrise haben Firmen ihre Lager verkleinert, um Kosten zu senken und weniger Kapital zu binden. Konnte mancher Hersteller noch im Jahr 2008 eine Woche oder länger auf seinen Lagerbestand zurückgreifen, sind es heute nur wenige Tage.
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