Weltgrößte Autokonzerne gründen E-Commerce-Firma
Stuttgart (dpa) - Der weltweite Handel mit Autos und Autoteilen steht vor einer revolutionären Umwälzung, die die mittelständische Struktur der deutschen Zulieferindustrie in Frage stellt.
Die drei weltweit umsatzgrößten Autokonzerne DaimlerChrysler, Ford und General Motors (GM) wollen ihren Einkauf über ein gemeinsames Internet- Unternehmen abwickeln. Damit werde auf Anhieb der größte elektronische Marktplatz der Welt geschaffen, teilten die drei Gründungsunternehmen am Freitag nach Börsenschluss in Detroit und Stuttgart mit.
Das neue Internet-Unternehmen übt vom Start weg einen gewaltigen Sog auf die anderen Autohersteller aus. Renault und der von Renault beherrschte japanische Autokonzern Nissan schlossen sich dem Projekt umgehend an. Eine Teilnahme der mit GM oder Ford verbündeten japanischen Autohersteller Isuzu, Suzuki und Mazda gilt als sicher. Mitsubishi will den Schritt prüfen. Die Tokioter Wirtschaftszeitung «Nihon Keizai Shimbun» berichtete zudem am Sonntag, auch Toyota und Honda überlegten ihren Beitritt. BMW schien von der Initiative am Sonntag überrascht; VW äußerte sich nicht.
General Motors, Ford und DaimlerChrysler geben insgesamt jährlich mehr als 240 Milliarden Dollar für Materialkäufe aus. Ihr gemeinsames Internet-Unternehmen soll als unabhängige Firma einen transparenten Weltmarkt schaffen. Die drei Autokonzerne wollen in diesem Markt möglichst alle Zulieferfirmen und Branchenkonkurrenten vereinen und damit einen Weltstandard schaffen. Preise würden schnell weltweit vergleichbar, Lager- und Managementkosten gesenkt. Der virtuelle Marktplatz könnte auch auf andere Branchen ausgedehnt werden.
Der GM-Präsident Richard Wagoner erklärte, ein Alleingang einzelner Firmen beim Aufbau elektronischer Marktplätze sei keine «siegreiche Strategie». Gemeinsam können die Autofirmen schneller «den weltbesten Marktplatz aufbauen».
An dem neuen E-Commerce-Unternehmen werden DaimlerChrysler, Ford und GM jeweils 25 Prozent halten. Die weiteren 25 Prozent werden ihren Internettechnologie-Partnern angeboten werden. Für Daimler ist das dem Vernehmen nach der Walldorfer Weltmarktführer für Unternehmenssoftware SAP. Die DaimlerChrysler AG schafft damit als «Spätstarter» den Sprung in die erste Reihe. Bisher hatten nur GM und CommerceOne mit der Firma TradeExchange sowie Ford und die Oracle Corp mit der Gründung von AutoXchange Unternehmen für den Internethandel zwischen Firmen (Fachkürzel: B2B) gegründet.
DaimlerChrysler, die Opel-Konzernmutter GM und Ford rechnen nach eigenen Angaben dank der gemeinsamen E-Commerce-Firma mit Kostensenkungen bis etwa 2 000 DM je Auto. Marktexperten erwarten daher weiteren Kostendruck und Zwang zur Konzentration auf die mittelständische Zulieferindustrie. Nach einer Schätzung von DaimlerChrysler gibt es noch 2,5 Millionen Zulieferer mit einem Umsatz von 850 Milliarden DM. «Der Preisdruck wird nicht geringer werden», erklärte der größte deutsche Autozulieferer, die Robert Bosch GmbH (Stuttgart).
Der Kartellrechtsexperte der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Hartmut Schauerte, warnte am Samstag vor einem möglichen «Super-GAU» für die kleineren Teilelieferanten wegen des Kostendrucks. Er rief das Bundeskartellamt und die EU-Wettbewerbshüter auf, die geplante «Bündelung der Nachfragemacht gegen Zigtausende mittelständische Zulieferer in Europa» verschärft zu prüfen.
Der Verband der nordamerikanischen Autozulieferer MEMA (Motor & Equipment Manufacturers Association), dem mehr als 700 Unternehmen angehören, begrüßte jedoch die Ankündigung. Die MEMA hoffe, dass sich auch andere Autohersteller anschließen werden, «um Einheitlichkeit und den Zugang zum E-Commerce-System der Branche sicher zu stellen».
Das neue B2B-Unternehmen, dessen Name noch gesucht wird, soll bereits im laufenden Quartal gegründet werden. Der Vorstand soll paritätisch von GM, Ford und DaimlerChrysler besetzt werden, der Vorstandschef von außen kommen.
Ein Sprecher von DaimlerChrysler sagte, der virtuelle Marktplatz biete für die beteiligten Autohersteller, ihre Zulieferer und Händler die Basis für eine wesentlich schnellere, effizientere und vor allem kostengünstigere Kooperation. Ford-Chef Jacques A. Nasser wertete das Joint Venture als Beispiel für den raschen Wandel, den das Internet für die Autobranche bringt. Der GM Vizepräsident Harold R. Kutner sagte: «Niemand wird den Beteiligten mehr bieten» als dieses «größte Internet-Unternehmen, das je geschaffen wurde».
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