Sperma allein reicht nicht
Von Michael Müller
26. März 2010
Hat der Fernsehmoderator Jörg Kachelmann seine ehemalige Freundin vergewaltigt? Der schwere Vorwurf wird durch die gegensätzlichen Aussagen der Beteiligten nicht bestätigt oder widerlegt werden. Sollte der Fall vor Gericht kommen, wird das rechtsmedizinische Gutachten entscheidend sein. Es wird entweder durch eine Strafverfolgungsbehörde angeordnet, also durch einen Richter oder einen Staatsanwalt. Oder das Opfer selbst sucht ? wie Kachelmanns Freundin laut Angaben ihres Anwalts ? nach der Tat einen Rechtsmediziner auf.
Zwischen Vergewaltigung und rechtsmedizinischer Untersuchung darf allerdings nicht viel Zeit vergehen. Laut Bernd Brinkmann, dem Leiter des Instituts für forensische Genetik in Münster, gehen die meisten Opfer direkt nach der Tat zum Arzt. Stefan Pollak, Direktor des Instituts für Rechtsmedizin an der Universität Freiburg und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Rechtsmedizin, sagt: ?Das ist sehr wichtig, denn Sperma zum Beispiel ist im Mund oder im Anus nur einige Stunden nachweisbar. Abhängig vom bakteriellen Scheidenmilieu, zersetzen die Bakterien schon nach kurzer Zeit das Sperma, und es kann dann nicht mehr nachgewiesen werden.? Bei einer rechtsmedizinischen Untersuchung werden zunächst die Kleidung, die Körperoberfläche und die Körperöffnungen des Opfers untersucht. ?Wir müssen dokumentieren und auch interpretieren?, sagt Pollak. ?Doch vorwiegend geht es darum, Spuren zu sichern, die später eventuell in einer DNA-Analyse verwendet werden können.? Selbst geringe Blutspuren oder kleinste Rückstände von Hautpartikeln können bei der Strafverfolgung entscheidend sein ? oder eben eventuelle Spermarückstände. Verschiedene Verletzungskategorien
In 50 Prozent der Fälle komme es zu einer ?Samendeponierung?. In Kleidungsstücken lassen sich Spermaspuren bis zu zehn Jahre nachweisen. Doch der Nachweis von Sperma allein reicht nicht aus. ?Das zeigt ja nur, dass es zu einem Geschlechtsakt mit Samenerguss kam. Ob der Akt jedoch freiwillig oder gewaltsam durchgeführt wurde, steht dann noch nicht fest.?
Deshalb kommt vor allem der physischen Untersuchung des Opfers große Bedeutung zu. ?Schon das Wort Vergewaltigung zeigt, wie entscheidend die zugefügte Gewalt in solchen Fällen ist?, sagt Brinkmann. Der emeritierte Rechtsmediziner der Universität Münster unterscheidet hierbei zwischen verschiedenen Verletzungskategorien. Widerlagerverletzungen treten durch einen harten Fußboden oder Möbelstücke vor allem am Rücken des Opfers auf. Außerdem untersucht man das Opfer auf Entkleidungs- und Fixierverletzungen.
Bei der Einschätzung der Verletzungen muss man vorsichtig sein. Pollak verweist auf den Hakenkreuzfall von Mittweida, als Rebecca K. im November 2008 behauptet hatte, rechtsextreme Männer hätten ihr ein Hakenkreuz in die Hüfte geritzt. Erst das Gutachten eines Hamburger Rechtsmediziners löste den Fall. Die Untersuchungen ergaben, dass sich die junge Frau das erstaunlich symmetrische Hakenkreuz selbst beigebracht hatte. ?Das ist gar nicht so selten. Sehr häufig handelt es sich bei den Verletzungen um selbst zugefügte?, sagt Pollak. Brinkmann ergänzt: ?Wenn vermeintliche Opfer viele Kratzer oder durch ein Messer zugefügte Ritze aufweisen, werde ich sehr hellhörig.? Es gebe hierbei typische Verletzungsmuster, die auf das Vortäuschen einer solchen Tat hinweisen: Oft seien die Wunden dann symmetrisch, undynamisch oder nur oberflächlich zugefügt. ?In solchen Fällen werden fast immer besonders empfindliche Körperpartien ausgespart, wie Augen, Lippen, Brustwarzen oder der Genitalbereich?, erklärt Pollak. Dann könnten die Rechtsmediziner deutlich erkennen, dass eine Vergewaltigung nur vorgetäuscht wird.
Text: F.A.Z.
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