Karen Duve über Prostitution und die Affäre Friedman
Also noch einmal: Was - falls überhaupt - geht es uns an, wenn Michel Friedman Drogen nimmt oder sich Prostituierte per Handy aufs Hotelzimmer bestellt?
Was das Kokain betrifft, so muss sich noch zeigen, ob die größeren Mengen, von denen vorige Woche plötzlich die Rede war, am Ende doch zu einer Verurteilung Friedmans führen werden. Andererseits weisen Friedmans Verteidiger nicht ganz zu Unrecht darauf hin, dass man schon sehr unbedarft sein muss, um sich überrascht zu zeigen, wenn eine bekannte Gestalt aus Film, Funk oder Fernsehen mit Koks erwischt wird. (Sollte sich die breite Öffentlichkeit tatsächlich auf den Konsens "Ist nicht so schlimm, die machen's doch sowieso alle" einigen, wäre im selben Moment allerdings auch das viele schöne Geld für die Katz, das seit Jahren für Plakate ausgegeben wird, auf denen Prominente wie Franziska van Almsick versichern, ihr Leben sei auch ohne Drogen ganz prima - möglicherweise hat die Katz das Geld aber sowieso schon.)
Wenden wir uns also der Sache mit den Prostituierten zu. Der bloße Umstand, dass Friedman die Dienstleistung von Huren in Anspruch genommen haben soll, wird ihn in den Augen der meisten noch nicht diskreditieren. Weswegen auch? Fernsehmehrteiler wie "Der König von St. Pauli" verbreiten immer noch ein folkloristisch-menschelndes Bild vom horizontalen Gewerbe, in dem Huren mütterlich und sentimental sind und ruppige Zuhälter nur ihr goldenes Herz verbergen wollen. Boxende oder sonnenbebrillte Vertreter des echten Rotlichtmilieus dürfen in Talkshows ihre Weltsicht verbreiten und tauchen auf privaten Society-Partys auf, um sich dort von prominenten Nichtsnutzen liebevoll in die Arme schließen zu lassen. Filmproduzent Bernd Eichinger brüstete sich öffentlich, Puffgänger zu sein, und wenn es auch jedes Mal ein bisschen Aufregung gibt, sobald ein Prominenter sich erwischen lässt, wird sein Bordellbesuch doch letztlich unter "menschlich, nur allzu menschlich" abgebucht. Zunehmende Akzeptanz allerorten. Eine Frau, die vor 20 Jahren ihren Freund oder Ehemann fragte, ob er jemals eine Prostituierte in Anspruch genommen habe, erhielt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ein empörtes Nein zur Antwort. Heute mischt sich unter diese Neins immer öfter das Geständnis: "Ja, aber nur ein einziges Mal", wobei die sukzessive Annäherung an die Wahrheit vorerst noch durch einen Appell an das weibliche Mitgefühl gebrochen wird: "... und außerdem war es ganz schrecklich."
Nun hat sich Michel Friedman der traumatisierenden Erfahrung des käuflichen Geschlechtsverkehrs nicht ausgesetzt, indem er ein Bordell aufsuchte, die Dienste einer Hure in Anspruch nahm und ihr 60 bis 90 Euro aufs Nachtkastl legte. Bei dieser Vorgehensweise bliebe ja wenigstens offen, wie viel Euro der Inhaber des Etablissements kassiert und mit kaukasischen Schutzgelderpressern teilt, wie viel ein möglicherweise vorhandener Verlobter verlangt und wie viel dann schließlich noch ins Sparschwein für den zukünftigen Frisiersalon wandern. Friedman - so zumindest behaupten die Staatsanwälte - hat die Frauen per Telefon ins Hotel bestellt, und er hat den Deal nicht mit ihnen selbst vereinbart. Er hat nicht gefragt: "Werte Dame, hätten Sie und Ihre Kollegin Lust, für diese Nacht meine Bettgespielinnen zu sein?" Und es gab auch keine Dame, die hätte antworten können: "Aber gern, sofern Sie 800 Euro bereithalten."
Stattdessen hat es Herr Friedman - wenn es denn so war - vorgezogen, mit einem osteuropäischen Zuhälter zu telefonieren und dort seine Bestellung aufzugeben. Er hat sich mit dem organisierten Verbrechen eingelassen. Anders wäre die Berliner Justiz, die gegen eine ukrainisch-polnische Schleuserbande ermittelte, auch gar nicht auf ihn aufmerksam geworden. Michel Friedman, davon darf man getrost ausgehen, ist ein sehr gut informierter Mensch. Er weiß also, dass Frauenhändler aus Osteuropa mit Erniedrigung, mit der körperlichen und seelischen Zerstörung junger Mädchen arbeiten. Er weiß, dass Polinnen, Ukrainerinnen oder Russinnen nicht deswegen alles über sich ergehen lassen, weil sie "naturgeil" sind, sondern weil sie durch einmalige, mehrmalige oder tagelange Vergewaltigungen, durch Drohungen, Schläge, Würgen oder Tritte gefügig gemacht worden sind. Er weiß, dass Zuhälter wie der, mit dem er telefoniert hat, ihre Uhren, Mercedesse und geschmacklosen Anzüge durch gnadenlose Ausbeutung finanzieren und dass sie, wenn diese ersten existenziellen Bedürfnisse gestillt sind, auch gern einmal in den Waffenhandel einsteigen.
Warum also bestellt Michel Friedman sein Fleisch nicht dort, wo noch hausgeschlachtet wird? Warum bestellt er beim Ukrainer? Gehen wir zu Friedmans Gunsten davon aus, dass es nicht das Elend, das Ausgeliefertsein der Mädchen ist, das ihn besonders gereizt hat, dann bleibt eigentlich nur noch die Möglichkeit, dass der Herr aus Osteuropa offenbar ein Mann war, der für Premiumware bürgte und dass Friedman nach Ende der Sendung einfach mal richtig die Puppen tanzen lassen wollte. Schampus, Luxussuite, Koks und Top-Weiber. Was kost' die Welt! Es hat ihn offenbar nicht interessiert, ob die Champagnertraube umweltfreundlich gekeltert worden ist. Es hat ihn nicht interessiert, auf welche Weise aus einer jungen Osteuropäerin mit Illusionen über den Westen die Ware "Zu allem bereite Prostituierte" geworden ist.
Da gut die Hälfte der Frauen, die in Deutschland anschaffen gehen, aus dem Ausland kommen, hat Friedman sich nicht besser und nicht schlechter benommen als Abertausende deutsche Freier. Und das ist vielleicht eine noch interessantere Frage: Wie können so viele Männer in und auf Frauen ejakulieren, ohne deren Not zur Kenntnis zu nehmen? Sehen die nie fern? Wie erklären die es sich, wenn die Haut einer Prostituierten mit blauen Flecken und centstückgroßen Brandflecken übersät ist? Wie können sie Erregung empfinden, wo sich Mitleid aufdrängen würde?
Es gibt eine menschliche Neigung, hinsichtlich unserer inneren Maßstäbe und moralischen Grundsätze Kompromisse zu schließen, wenn wir etwas sehr gern wollen. Und es ist ein Klischee, wie leicht Männer zu belügen und zu manipulieren sind. Die männliche Willfährigkeit, Schmeicheleien für präzise Beobachtungen zu halten, das abwegigste Lob bedingungslos zu glauben und jede Situation auf die für sich günstigste Weise zu deuten, wird von Frauen gern als liebenswerte Schwäche gedeutet.
Wenn Freier Sätze von sich geben wie "So eine Hure freut sich doch auch, wenn mal ein junger hübscher Mann dabei ist" oder "Diesmal war es aber nicht gespielt, das war so echt, das kann gar nicht gespielt sein", erinnern sie an elfjährige Mädchen, die auch felsenfest davon überzeugt sind, ihre Ponys wären froh und glücklich, von ihnen geritten zu werden.
Aber vor dem Hintergrund des brutalen internationalen Frauenhandels kann man diese Bereitschaft, die Gefühle einer anderen Person konsequent zu ignorieren und durch eine Projektion zu ersetzen, die den eigenen Interessen entgegenkommt, nicht mehr als Naivität durchgehen lassen, sondern muss sie als wahnhafte Form von Realitätsverweigerung bezeichnen. Wenn in einer Erotiksendung die Pornodarstellerin Anja vorgeführt wird, eine junge Frau, der - für jeden, der Augen hat - die sexuelle Misshandlung geradezu auf die Stirn geschrieben steht, und dazu eine weibliche Stimme aus dem Off raunt: "Was Anja am liebsten mag, ist Analsex ...", dann ist das keine liebenswerte männliche Träumerei, sondern die Pest, und es wird Zeit, aufzuwachen und ein paar Realitäten ins Auge zu sehen. Zum Beispiel, dass es in Deutschland Sklaverei gibt.
Es geht nicht darum, ob Friedmans Argumente und Attacken in Zukunft weniger glaubwürdig sind, weil er persönlich gefehlt hat. Der Skandal ist nicht, dass Friedman als Politiker und Mann des öffentlichen Lebens sich erpressbar gemacht hat. Der eigentliche Skandal ist, dass uns in der Diskussion über Michel Friedmans Verhalten etwas als menschlich, allzu menschlich verkauft werden soll, was zutiefst unmenschlich ist. Wenn das endlich einmal in den Hirnen ankäme, hätte der umstrittene TV-Moderator - wenn auch nur in der undankbaren Rolle als Fallbeispiel - mehr erreicht, mehr aufgeklärt und aufgewühlt als in seiner ganzen bisherigen Laufbahn.
mfg
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