Tatsächlich hält sich die Trauer über Agassis Abgang im Konzern eher in Grenzen. Hinter vorgehaltener Hand gibt es nicht wenige, die auf seine Schwächen verweisen. "Agassi hat viel angestoßen, aber wenig bewegt", sagt ein Manager. "Intern gab es zunehmend Kritik an Dingen, die Agassi auf den Weg gebracht hat", sagt ein ehemaliger SAP-Mann, der lange Jahre im Umfeld des Vorstandes gearbeitet hat. Bloß Stimmen von Neidern? Die hatte der smarte 39-jährige Senkrechtstarter auf den Fluren in Walldorf in der Tat viele. Vor allem deshalb, weil er 2001 als Außenseiter zu SAP stieß. Damals kaufte der Konzern auf Plattners Initiative Agassis kleines Software-Haus TopTier für stolze 400 Millionen Euro, und Agassi stieg kurze Zeit später in den SAP-Vorstand auf. Eine Blitzkarriere ganz ohne Walldorfer Stallgeruch. Viele Mitarbeiter befürchteten eine Amerikanisierung von SAP unter dem US-affinen Agassi, der bis zu seinem Ausscheiden als sicherer Kandidat für die Nachfolge Kagermanns galt.
Umstritten war Agassi aber eben nicht nur als Person. Die Indizien für Probleme in seinem einstigen Verantwortungsbereich mehren sich. So war es Agassi, der in den vergangenen Jahren die neue Strategie rund um Netweaver ersann. Dabei handelt es sich um eine Software-Plattform, auf deren Basis sich Firmen ihre Unternehmenssoftware aus einzelnen Programmbausteinen zusammenstellen können, statt wie bisher ein riesiges monolithisches Software-Paket zu installieren. Ein guter Schachzug, wie auch Kritiker zugeben: "Vor allem beim Marketing hat Agassi mit Netweaver gepunktet und es geschafft, das Produkt auf Augenhöhe mit denen der Konkurrenten IBM und Microsoft zu heben", sagt ein SAP-Manager. Die andere Frage sei jedoch, was an technologischer Substanz hinter den Marketingbotschaften stecke.
Zum Beispiel beim sogenannten Enterprise Portal, einem zentralen Bausteine der Netweaver-Strategie: Es soll dabei helfen, verschiedene Software-Module unter einer einheitlichen Benutzeroberfläche zu bündeln - ähnlich wie unterschiedliche Web-Anwendungen auf einem Online-Portal à la Yahoo oder Google. Zur Portaltechnologie kam SAP vor sechs Jahren durch den Kauf von Agassis Firma TopTier. Zuvor hatte Agassi, so erzählte er einmal, eine stockende Sapphire-Präsentation Plattners mithilfe seiner TopTier-Technolgie fast über Nacht zum Laufen gebracht - und den SAP-Chef so vor einer Blamage bewahrt.
Nach dem Kauf und der Integration in die Netweaver-Strategie präsentierte SAP zwar noch einige klangvolle Pilotanwender der neuen Portaltechnologie, darunter die Deutsche Lufthansa oder Siemens. Danach wurde es um das vermeintliche Trendthema jedoch ziemlich ruhig. "Die Portaltechnologie ist nicht so ein Verkaufsschlager geworden, wie man es bei einem Kaufpreis von 400 Millionen Dollar und der angeblichen Expertise von Agassi hätte erwarten können", sagt ein Entwickler. Mehr noch: In der neuesten Version von SAPs Kundenmanagementsoftware (auf Neudeutsch Customer Relationship Management, CRM), die derzeit entwickelt wird, wurde die Portaltechnologie im Gegensatz zu früheren Programmversionen wieder ausgebaut.
Die Entwickler der CRM-Software plagen gegenwärtig freilich andere Sorgen: Nach Aussagen von Projektbeteiligten gab es lange Zeit Unstimmigkeiten über Art und Design der Benutzeroberfläche. Auslöser hierfür sei vor allem das mangelhafte Projektmanagement um CRM-Entwicklungschef Bob Stutz gewesen - einer von vielen US-Managern, die Agassi in den vergangenen Jahren an Bord geholt hat. Stutz stehe bereits auf der Abschussliste, mindestens aber unter Beobachtung von oben, so der Flurfunk in Walldorf.
Auch bei anderen zentralen Software-Bausteinen der von Agassi ins Leben gerufenen Technologieplattform Netweaver knirscht es. Das Modul Master Data Management (MDM) beispielsweise soll Unternehmen dabei helfen, ihre Kunden- und Lieferantendaten aus ihren oft weitverzweigten Computersystemen zu bündeln und zu vereinheitlichen. "Das funktioniert bis heute jedoch nicht so wie erwartet", sagt ein Entwickler. In einer kürzlich verbreiteten internen E-Mail verkündete Vorstandschef Kagermann, er werde das MDM-Projekt persönlich überwachen - freilich ohne Angabe von Hintergründen.
Mit der Entwicklung nicht zufrieden sind die SAP-Oberen auch bei einer weiteren Hinterlassenschaft Agassis, der Mittelstandslösung Business One. SAP gründet seinen Erfolg vor allem auf Großkunden, internationale Konzerne. Weit geringer als in dieser Liga ist die Verbreitung der Walldorfer Software im Mittelstand. Der Hoffnungsträger Business One basiert auf der Software von TopManage. Dieses von Agassi gemeinsam mit seinem Vater gegründete Unternehmen hatte SAP 2002, ein Jahr nach dem Kauf von TopTier, für einen zweistelligen Millionenbetrag übernommen. Zwar unterstreicht Kagermann bei jeder Gelegenheit, SAP erziele mit mittelständischen Kunden bereits 30 Prozent seines Umsatzes. Im Unternehmen klingt das aber ganz anders. "Business One kam nie richtig zum Fliegen", sagt ein Manager.
Eine zweite Mittelstandssoftware, an der SAP zurzeit mit Hochdruck arbeitet, ist dagegen noch nicht einmal aus dem Hangar gekommen. Das bisher unter dem Codenamen A1S geführte System soll im Gegensatz zu Business One als Mietservice übers Internet angeboten werden; Kunden brauchen keine Software mehr auf den eigenen Rechnern zu installieren. Laut Kagermann soll das neue Produkt bis 2010 eine Milliarde Dollar zusätzlichen Umsatz pro Jahr liefern. Doch ob der Starttermin - angepeilt ist das erste Quartal 2008 - zu halten ist, scheint zweifelhaft. Wie es in Unternehmenskreisen heißt, weist das Produkt, das komplett neu entwickelt wurde, noch drastische Leistungsschwächen auf.
Möglicherweise auch deshalb sind die Walldorfer um Vorstand Peter Zencke, der für die Mittelstandslösungen der SAP verantwortlich ist, lange Zeit zweigleisig gefahren. So wollten Zenckes Entwicklertruppen im Rahmen des Projekts "Kayak" der klassischen Unternehmenssoftware für Konzerne eine neue Benutzeroberfläche überstülpen und sie damit auch für kleinere Unternehmen interessant machen. "Das war mal als Überbrückungsprojekt hin zu A1S gedacht", sagt ein Entwickler. Auf einer Mitarbeiterversammlung in Palo Alto im April verkündete Aufsichtsratschef Plattner das Ende des Kayak-Projekts; SAP wolle sich nicht mit zwei Produkten selbst Konkurrenz machen. "Das hätte den Markt nur verwirrt", sagte Plattner.
Seine Befürchtung ist verständlich: Jede weitere Unruhe kommt SAP derzeit mehr als ungelegen. Denn in den vergangenen Monaten häuften sich die Erschütterungen, die den Konzern heimsuchten. Mitte Januar reagierten die Märkte geschockt auf die Zahlen für das vierte Quartal 2006. Statt der erwarteten 15 Prozent Umsatzwachstum erzielten die Walldorfer bescheidene sieben Prozent - worauf die Börsen die Aktie zehn Prozent in den Keller schickten.
Dann wurden die Walldorfer durch Meldungen verunsichert, eine amerikanische Heuschrecke greife nach SAP. Mindestens einer der drei Gründer Dietmar Hopp, Hasso Plattner und Klaus Tschira, die zusammen noch gut 30 Prozent der SAP-Anteile halten, sei unzufrieden mit der Unternehmensentwicklung und daher verkaufsbereit, hieß es Anfang März. Wie aus Unternehmenskreisen zu vernehmen ist, haben in der Tat Gespräche mit dem US-Finanzinvestor Silver Lake stattgefunden - bisher freilich ohne Ergebnis.
Letzter Tiefpunkt war die Klage, die der Erzrivale Oracle Ende März bei einem US-Gericht in San Francisco gegen SAP einreichte. Darin bezichtigen die Amerikaner den deutschen Widersacher des illegalen Ausschnüffelns von Betriebsgeheimnissen. SAP-Chef Kagermann will die Vorwürfe nicht kommentieren, beteuert aber, er werde sich aggressiv gegen die Anschuldigungen wehren. Wenige Tage später veröffentlichte Oracle auch noch gute Finanzzahlen. So konnten die Amerikaner im jüngst abgelaufenen Geschäftsquartal unter anderem durch Übernahmen 57 Prozent bei Lizenzen von Unternehmenssoftware zulegen. In den vergangenen Jahren hat Oracle-Chef Larry Ellison deutlich über 22 Milliarden Dollar für rund zwei Dutzend Firmenkäufe ausgegeben, um den Rückstand zu SAP aufzuholen. "Sollte SAP in den Rückspiegel schauen, wir sind das große Ding, das sich schnell von hinten nähert", höhnte Ellison bereits.
Derlei Sprüche kontert Kagermann zwar stets mit dem Verweis auf den eigenen Erfolg. Laut Erhebung des US-Marktforschers AMR Research steigerte auch SAP seinen Anteil im Markt für Unternehmenssoftware zwischen 2004 und 2006 von 40 auf 43 Prozent (siehe Grafik Seite 68). "Und wir werden weiter organisch wachsen", verspricht Kagermann. In der vergangenen Woche gab SAP freilich den Kauf des amerikanischen Anbieters von Management-Software OutlookSoft bekannt. Kaufpreis laut Branchenkreisen: 200 bis 300 Millionen Euro. Überdies klingt Kagermanns Beteuerung angesichts der jüngsten Probleme von SAP - schwaches Wachstum, möglicher Heuschreckenangriff und Diebstahlvorwürfe - ein wenig wie das Pfeifen im Walde.
Dafür spricht auch Plattners verstärktes Engagement. Wenn er in den kommenden Wochen die komplette Produktpalette durchleuchtet, "dann wird er Widersprüche zwischen den Kernprodukten ERP, CRM und A1S feststellen, die ihm nicht gefallen dürften", sagt ein Entwickler. Grund sei, dass die einzelnen Bereiche technologisch wegen mangelhafter Abstimmung in verschiedene Richtungen laufen - ein gewichtiges Problem: Einerseits will SAP den Unternehmen mit Netweaver eine einheitliche Plattform zur Integration ihrer unterschiedlichen Software-Systeme bieten. Gleichzeitig würden Teile der hauseigenen Produkte nicht zueinander passen. Dass damit nun aufgeräumt wird, dafür sorgt Plattner. "Da ist die klare Handschrift Plattners zu erkennen", glaubt ein Manager. "Der hat auf den Tisch gehauen und gesagt: ,So geht?s nicht.?" Dass Agassi wegen solcher Probleme zum Abgang gedrängt wurde, ist zwar fraglich. Offiziell trat er ab, weil er sich nicht für weitere 10 bis 15 Jahre an SAP binden wollte, um nach Kagermanns voraussichtlichem Ausscheiden als Vorstandschef 2009 gemeinsam mit Vertriebschef Leo Apotheker eine Doppelspitze zu bilden. Einen Rauswurf Agassis hätte vermutlich schon allein die schützende Hand von Übervater Plattner verhindert, der bis heute zumindest offiziell nichts auf seinen Ziehsohn kommen lässt. Auf der Mitarbeiterversammlung in Palo Alto beteuerte Plattner jedenfalls noch einmal, dass er Agassis Weggang bedauere. "Er war so ein begnadeter Redner", so Plattner.
Das freilich leugnen auch seine Kritiker nicht: Agassi hatte eine starke Präsenz, wenn er auf der Bühne stand, und konnte ein Auditorium rasch von seinen Visionen begeistern. Legendär ist sein Auftritt auf einer internen Veranstaltung mit Supermann-Umhang. Ein derartiges Showtalent besitzt bei SAP sonst nur Plattner selbst. Der gab auf der Sapphire vor einigen Jahren schon mal mit umgeschnallter E-Gitarre den Beatles-Klassiker "Eight Days a Week" zum Besten. Plattner verstand es freilich stets, seine Visionen auch in gewinnträchtige Produkte zu verwandeln - ein Punkt, bei dem es bei Agassi zuletzt immer wieder haperte.
Dieses Manko war Plattner möglicherweise durchaus bewusst und eines der Motive, warum er Anfang des Jahres Kagermann dazu überredete, noch bis 2009 Vorstandschef von SAP zu bleiben: So hätte Agassi noch zwei weitere Jahre gehabt, die Defizite bei der Umsetzung abzuschleifen. "Da waren Agassis Vorstellungen aber offenbar ambitionierter als die von Plattner", heißt es aus Aufsichtsratskreisen.
Ob Agassi aus Ungeduld über seine verspätete Berufung zum SAP-Chef die Brocken hingeworfen oder man ihn zum Abgang gedrängt hat - nötig hätte der den Job angesichts seines Einkommens ohnehin nicht gehabt. Dennoch juckt es dem Jungpensionär immer noch in den Fingern. Er habe sich dieses Mal vor allem auf das Unterhaltungsprogramm der Sapphire gefreut, schreibt Agassi in seinem Weblog. Wenn SAP für etwas nicht bekannt ist, dann für Entertainment - zumindest jenseits von Agassi. Mit seinem Abgang wird sich das auf absehbare Zeit auch nicht ändern.
Quelle: Wirtschaftswoche
...Greats @allSemi ☺
|