Ich kann's nur immer wieder sagen: Schaut in den Spiegel, bevor ihr nun nach dem Staat schreit.
Wenn ich in den Spiegel sehe, sehe ich jemanden, der vor einigen Wochen eine falsche Entscheidung getroffen hat. Ja, ich wollte bei Wirecard längerfristig investieren und nicht nur zocken, und ja, ich war im Gegensatz zu einigen anderen durchaus skeptisch. Letztlich haben mich überzeugt das "gute operationale Geschäft" (also genau das Argument, auf dem Braun bei Anschuldigungen immer verwiesen hat) und die relative Unterbewertung der Aktie; die Verpflichtung von James Freis und der Glaube, man nehme es nun ernst mit Compliance; die Testierung der Bilanzen der vergangenen Jahre durch EY; und sicher auch die Wahrnehmung, dass die Kritiker von Wirecard nicht ohne Eigeninteresse handelten. Und ja, wahrscheinlich dachte ich auch: Ist doch super, dass wir mal einen Tech-Champion aus Deutschland haben.
Allerdings lag doch schon weit vor dem 18. Juni so viel auf dem Tisch, dass meine Investition dennoch nur als kühner Zock zu bezeichnen war, auch wenn ich das nicht wahrhaben wollte. Ich musste viel ausblenden, um ruhig schlafen zu können. Dummheit war es, die Interpretation des KPMG-Berichtes teilweise durch Wirecard und unkritische deutsche Medien zu übernehmen, statt den Bericht von vorn bis hinten selbst durchzulesen und eigene Schlüsse zu ziehen, die zwischen den Zeilen ohnehin herauszulesen waren. Auch hätte ich die detaillierte Artikelserie der FT von 2019 lesen sollen, und zwar bis ins letzte Detail.
Was mich betrifft, habe ich also einen Fehler gemacht. Daraus möchte ich lernen. Einiges andere habe ich richtig gemacht, etwa mein Risikomanagement.
Ich kann euch nur empfehlen, ebenso in euch zu gehen. Ihr könnt nämlich viel einfacher das verändern, was in euch liegt, als das, was außerhalb von euch liegt, ob nun beim Vorstand oder Aufsichtsrat von Wirecard, bei der BaFin, bei EY oder KPMG, bei der Politik...
Was ich gar nicht abkann, ist, dass manche hier eine 180°-Wendung vollzogen haben und dies nicht zur Selbstkritik nutzen, sondern wie damals immer noch die Schuld bei allen möglichen anderen - nur eben anderen anderen - suchen. Ich kann das gerne durch Links belegen, wer sich hier zu Wirecard noch vor wenigen Wochen auf welche Weise geäußert hat. Wie wenig Kritik ihr geduldet habt, ja, wie ihr Journalisten und andere Kritiker von Wirecard diffamiert und mit Kraftausdrücken belegt habt; wie ihr ihnen unlautere Motive vorgeworfen habt. Auch die BaFin wurde beschuldigt, und zwar genau anders herum als jetzt, nämlich in dem Sinne, dass sie sich zum Instrument von Hedgefonds und Leerverkäufern mache, wenn sie gegen Wirecard vorgehe. Und jetzt schreit ihr, dass sie nicht streng genug gegen Wirecard vorgegangen sei?
Wo lebt ihr denn? Schaut gefälligst in den Spiegel; schaut nach, was ihr vor wenigen Wochen geschrieben habt! Steht zu euren Fehlern und Verlusten, lernt daraus für die Zukunft, aber schreit nicht nach dem Staat, versucht nicht, eure Verantwortung an andere abzugeben. Selbstverständlich muss alles juristisch aufgearbeitet werden; ich denke dabei aber an das Strafrecht und nicht an Entschädigungen. Und nie würde ich behaupten, ich selbst sei nicht hauptverantwortlich für meine Investitionsentscheidungen. Auch die Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Managements einer Firma gehört eben zu einer ordentlichen Investitionsentscheidung dazu - und da habe ich die Sachlage falsch eingeschätzt, weil ich mich auch habe blenden lassen.
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