Denen ist jetzt aber gar nix mehr peinlich...
Schalke 04 fühlt sich vom Fußballgott verlassen
Wut, Tränen, Fassungslosigkeit. Schalke 04 erlebt in Dortmund die größte anzunehmende Demütigung - und will dennoch erst jammern, wenn wirklich alles vorbei ist, wie Andreas Morbach erfahren hat.
Für seine persönliche Trauerfeier hatte sich Andreas Müller zweifellos die unwirtlichste Ecke weit und breit ausgesucht. Und die ungesündeste. Der abfahrende Mannschaftsbus des FC Schalke 04 hatte dem Manager gerade noch die Abgase direkt ins Gesicht geblasen, und nun stand der 44-Jährige einsam zwischen den mächtigen Betonpfosten der Dortmunder Fußballarena. Mit dem Rücken zu einer weißen Wand ? und mit der Bitte um Nachsicht.
Vom Platz an der Sonne verdrängt
«Haben Sie Verständnis dafür, dass ich erst einmal nichts sagen will. Ich muss mich erst ein bisschen sammeln, in zwei Tagen bin ich dann so weit», erklärte Müller, drückte die leicht verquollenen Augen für einen Augenblick tapfer zu und meinte nur noch: «Es hat doch jeder gesehen, was hier passiert ist.»
Passiert war, was die Mitglieder der blau-weiße Fußballgemeinde vor ihrer Invasion in Dortmund tief in ihrem Innersten befürchtet hatten: Der FC Schalke, seit Anfang Februar, 13 Spieltage lang ununterbrochen an der Spitze der Bundesliga, war vom Platz an der Sonne verdrängt worden. Eine Runde vor Abpfiff der Saison. Durch ein 0:2. In der verbotenen Stadt. In Dortmund. Und die Meisterschaftsträume der Gelsenkirchener waren zerplatzt wie Luftballons auf einem Kindergeburtstag.
«Heiße Herzen, kühle Köpfe»
Eine größere Demütigung als die vom gestrigen Samstag kann es für einen Schalker nicht geben. Doch was Manager Müller bei diesem Albtraum im Revier wohl vor allem die Sprache verschlug, war die Art und Weise wie die Mannschaft von Mirko Slomka ihre große Titelchance verschleuderte. «Heiße Herzen und kühle Köpfe» hatte Trainer Slomka von seinen Spielern vorher eingefordert. Doch als es ernst wurde, verwechselten Schalkes Fußballer die Körperteile. Und die heißen Herzen zeigten allein die Dortmunder, allen voran Christoph Metzelder.
Vor dem Spiel war der 26-Jährige noch mit warmen Worten in Richtung Real Madrid verabschiedet worden, eine Minute vor der Halbzeit witterte der Rechtsverteidiger des BVB dann die von Minute zu Minute wachsende Verunsicherung der Gäste. Einen halbherzigen Querpass von Mittelfeldmann Hamit Altintop, dem Adressat Kevin Kuranyi ebenso halbherzig entgegen lief, schnappte sich Metzelder auf Höhe der Mittellinie, rauschte auf der rechten Seite auch noch am Schalker Christian Pander vorbei und servierte dem Schweizer Alexander Frei den Ball maßgerecht zum 1:0.
Nah am Wahnsinn
«Das Tor direkt vor der Pause hat uns ein bisschen das Genick gebrochen», untertrieb Pander, während die Szene den Kollegen Marcelo Bordon fast in den Wahnsinn trieb. Schließlich war sie an diesem Tag bezeichnend für die fatale Gesamtverfassung der Schalker ? und Bordon der einzige Feldspieler unter all den gehemmten Titelaspiranten gewesen, der sich überzeugend gegen die Niederlage stemmte. Gefährlich leise, gerade so, als sollte es keiner hören, erzählte der brasilianische Innenverteidiger deshalb seine Version jener 44. Minute.
«Vor dem 0:1», rekapitulierte Bordon am Einstieg zum Mannschaftsbus, «war ich noch bei einer Situation vor dem Dortmunder Tor gewesen. Und es kann doch nicht sein, dass ich dann wieder der Erste bin, der hinten ist.» Kann nicht sein, darf nicht sein, war aber trotzdem so. Fast hätte der tief gläubige Innenverteidiger BVB-Stürmer Frei noch am Torschuss gehindert. Aber eben nur fast. Und als dann Ebi Smolarek den nach der Pause einfallslos anrennenden Schalkern mit dem 2:0 (85.) den Gnadenstoß versetzt hatte, blieb dem Vorzeige-Schalker nur die Hoffnung auf ein Fußballdrama wie anno 2001, als die Bayern den Schalkern in der Nachspielzeit noch den Titel raubten.
Tränen gerötete Augen
«Wir haben schon einmal in letzter Minute die Schale verloren, warum sollen wir sie jetzt nicht in letzter Minute gewinnen», betonte Bordon in der leisen Hoffnung auf einen Stuttgarter Punktverlust am letzten Spieltag gegen Cottbus und einen eigenen Heimsieg über Bielefeld. Tapfere Worte, die traurigen Gestalten unterhalb der Dortmunder Osttribüne sprachen allerdings eine deutlich andere Sprache. «Wir haben scheiße gespielt, wir haben verloren, wir sind Zweiter», sagte Gerald Asamoah mit von Tränen geröteten Augen, während der frühere Betreuer und S04-Unikum Charly Neumann mit Leichenbittermiene Schalke-Feuerzeuge verschenkte und dabei gen Himmel klagte: «Der Fußballgott ist doch kein Schalker. Der hat uns ganz schön im Stich gelassen.»
Das hat er vielleicht. Vor allem aber haben Schalkes Fußballer, offensichtlich überfordert mit der Last von 49 meisterschaftslosen Jahren, ihre unendlich leidensbereiten Fans im Stich gelassen. Slomkas Spielern zuwinken wollte am Samstagnachmittag allerdings kaum einer mehr. Viele Anhänger machten sich sogar schon vor dem Schlusspfiff auf den Heimweg, ehe ihnen Mittelfeldspieler Fabian Ernst hinterher rief: «Wir müssen noch nicht alles schwarz malen, denn wir spielen noch einmal 90 Minuten. Und gejammert wird erst, wenn wirklich alles vorbei ist.»
http://www.netzeitung.de/sport/bundesliga/647070.html
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