TABAKANBAU
Der Gebrauch des Pflanzsets ist ganz legal. Zum Trocknen können die Blätter auf eine Wäscheleine gehängt werden.
Ein zickiges Kraut Zigaretten sind die Lieblingsobjekte der Steuereintreiber. Zwei Berliner Jungunternehmer lassen deshalb eine fast vergessene Tradition aufkeimen: Nikotin im eigenen Garten
Erst dachte Martin Barth an eine Hackeraktion, als ihn sein badischer Kompagnon frühmorgens an einem Tag im Mai bat, die Eingänge in ihrem Tabakwebshop zu überprüfen. Ungläubig sah er die Online-Bestellungen bei ?Tabakanbau.de? eingehen. Was war da los? Ein Hinweis eines Kunden auf die ?Bild?-Zeitung brachte schließlich Klärung. In einem Bericht über die kontrovers diskutierte Anhebung der Tabaksteuer war darin klein die Internetadresse des Tabakanbau-Webshops vermerkt. Am Abend stellte Martin Barth in seinem Berliner Büro eine Flasche Champagner kalt. Es wird wohl nicht mehr lange dauern, und der Preis einer Zigarettenschachtel wird die Grenze von vier Euro erstmals überschreiten. Im Raucherlager herrscht deshalb so etwas wie Krieg. Und immer wenn es Kriege gibt ? das war hierzulande schon immer so ?, blüht der Tabak in Hof und Garten.
Der Anbau der Tabakpflanze ?Nicotiana tabacum?, die Christoph Kolumbus einst nach Europa brachte, kann in Deutschland auf eine lange Tradition verweisen. Vor allem in den Kriegsjahren wurde die Gattung ?Nicotiana rustica? angebaut, ein sehr zähes Kraut. Aus dem Stadt- und Landbild sind wogende Tabakfelder jedoch weitgehend verschwunden. Und damit das Wissen um ihren Anbau. Jetzt scheinen sich einige wieder einer alten Anbautradition zu besinnen.
Zufrieden zupft Paul Hartung an den Blättern seines Tabakgewächs auf dem Balkon seiner Kreuzberger Wohnung. Der Rabatz um die Tabaksteuer kostet ihn heute ein Lächeln. Als er sein Geld schon in Rauch aufgehen sah, zog er die Notbremse und wurde Tabakfarmer. Per Internet suchte er nach Anbauhilfe, erst bei Ebay und anderen Kleinanbietern, blieb schließlich aber bei Tabakanbau.de hängen. Per Mausklick bestellte er aus dem Webshop ein Tabakpflanzset. Darin waren die Sorten ?Virginia-Helena?, ?Burley-Jupiter?, ?Badischer Geudertheimer? und ?Havanna? enthalten. Dazu ein Ansetztopf und eine Kurzanleitung.
Kaum war das Paket da, ging's los: Er drückte die Samen vorsichtig mit dem Finger an, den Topf stellte er an einen hellen, warmen Ort. Als die jungen Pflänzchen etwa einen Zentimeter groß waren, topfte er sie in einen größeren Behälter um. Dann köpfte er den Tabak, die Seitentriebe zwickte er ab. Die Blätter erntete Hartung von unten nach oben über mehre Wochen.
Dealen verboten!
?Der Trocknungsprozess hat einige Monate gedauert?, schildert er. Später bearbeitete er die Blätter weiter. Eine Schneidemaschine zur Herstellung von Feinschnitt half ihm dabei. In Zukunft möchte Hartung seine Tabaksamen in einer schwimmenden Pflanzenzucht-Anlage aufziehen lassen. Die Zöglinge sprießen in einem Tabakzuchtkasten aus einer Nährstofflösung, die mit Feingefühl nachgegossen werden muss. Die Mühe lohnt: ?Der Anbau macht Spaß, und der Tabakgenuss wird nicht durch hohe Steuern vermiest.?
Bereits Papst Alexander VII. erfand eine Sonderabgabe, die ihm Schnupfer und Qualmer in aller Welt noch heute übel nehmen dürften. 1655 kam er auf den Gedanken, den Tabakanbau zum Staatsmonopol zu erklären und den Konsum mit einer Steuer zu bestrafen.
So ist es nicht legal, Tabak in rauen Mengen im eigenen Garten anzupflanzen, um dann mit seinen Eigenkreationen in einer Kneipe zu dealen. ?Der Gesetzgeber erlaubt den Eigenanbau von 100 Tabakpflanzen pro Kopf?, sagt Martin Barth. Fachgerecht gezogen, getrocknet und geschnitten, ergebe diese Menge des bis zu zwei Meter hoch werdenden Gewächses einen stattlichen Haufen rauchfertigen Tabaks.
In der Praxis allerdings erweist sich das grüne Zauberkraut oft als rechte Zicke. Tabak ist anfällig für Drahtwürmer, Froschaugen, Blauschimmel und Nacktschnecken. Das erkannte auch David Jehle, Barths Kompagnon, der vor acht Jahren einer der Ersten war, die erstmals seit den fünfziger Jahren wieder privat Tabakanbau zu betreiben begannen. Als der Sohn eines Weinbauern aus den USA Tabaksamen bestellte und seine ersten Zöglinge hochzog, ließen die Schnecken anfänglich nur noch das Blattgerippe stehen. Ein betrüblicher Anblick. Doch er lernte schnell, stellte beispielsweise ? ein alter Gärtnertrick ? ein Glas Bier neben den heranwachsenden Tabak. ?Das mögen Schnecken besonders gern und fallen ins Glas?, sagt er kichernd.
Auch Indische Laufenten halfen ihm bei der Schnecken-Tilgung. ?Die kann man sogar mieten?, versichert Jehle glaubhaft. Der 38-Jährige freut sich noch heute jedes Mal, wenn sich die Blätter gelblich zu färben beginnen und er sie zum Trocknen auf einen Faden ziehen kann. Jehle beschreibt Tabak- anbau als eine Art Kunsthandwerk, er beherrscht davon beinahe alle Facetten. Ein Trick sei das Fermentieren, eine Art Heugärungseffekt, bei dem sich der Tabak auf 45 Grad erhitzen soll. Eine andere Methode ist das ?Saucieren? der Blätter, je nach Geschmack in ätherischen Ölen, Pflaumensaft, Minze oder Lakritze.
Als die beiden Jungunternehmer vor drei Jahren das erste Kombiset für Zigaretten, Pfeifen, Zigarren und Schnupftabak in Form einer Dose kreierten, dachten sie ursprünglich an ein witziges Weihnachtsgeschenk für die Kunden ihrer Designagentur. ?Die Dose kam so gut an, dass wir aufgrund dieser Resonanz Tabakanbau.de errichtet haben?, schildert Martin Barth.
Verruchtes Wissen
Die beiden Jungunternehmer haben sich auf die Fahne geschrieben, ?das Handwerk der Nutzung und Verarbeitung dieser alten Kulturpflanze allen zugänglich zu machen und wiederzubeleben?. Dafür haben sie sich an historischen Vorbildern orientiert und, wie im Falle von Tabaknadel, Tabakgarn und Zigarrenpressform, Dinge nach historischen Originalen neu herstellen lassen. Die Suche jedoch nach Tabak-Literatur gestaltete sich anfänglich äußerst schwierig. Ihre Anregungen holten sie sich aus Broschüren, die nach dem Krieg wie Geheimrezepte zirkulierten. Sie schauten älteren Herren über die Schulter, die ihr Wissen um den Tabakanbau noch abrufen konnten. ?Ich habe Tabak-Bücher gewälzt, bin in Museen gegangen und habe mein Zeug in Antiquariaten und Flohmärkten zusammengekauft?, schildert Martin Barth, dessen Mutter Zigarrenrollerin bei einer Villiger-Stumpenfabrik war.
Nach Meinung der Jungunternehmer wächst die Szene der privaten Tabakfarmer, die erstaunlich heterogen ist, ständig. ?Von 16 bis 83 ist alles dabei?, sagt Martin Barth über die Tabaksamen-Besteller. Darunter seien Rentner, die den Tabakanbau noch aus der Kindheit kennen. Häufig auch Schüler, ?die nicht einsehen, dass sie 4,20 Euro für eine Schachtel Zigaretten zahlen sollen?.
Immer wieder trifft er auf Leute, die Tabakanbau aus Leidenschaft betreiben, Bastlertypen, die sich an schrägen Gartengeschichten versuchen. Für die der Tabak schlicht eine schöne Pflanze ist. Mit Hochdruck wird derzeit an der ultimativen Tabak-Anbaufibel gearbeitet. Und auch das Tabakpflanzset hat als schlichte Geschenkidee nicht ausgedient. Die Tabakdose an Gesundheitsministerin Ulla Schmidt ist jedenfalls bereits vorgemerkt.
Externe Links: www.tabakanbau.de, www.rauchkultur.de/plant.php
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