"Das System funktioniert so nicht mehr"
von Philipp Neumann
DIE WELT: Herr Raffelhüschen, warum kommt die Rente mit 67?
Bernd Raffelhüschen: Wir leben von Generation zu Generation im Schnitt vier Jahre länger. Bislang wurde auch dementsprechend vier Jahre länger Rente bezahlt. Das konnten wir uns leisten. Die Rentner, die davon profitiert haben, haben nicht nur selbst Beiträge gezahlt. Sie haben auch Kinder in die Welt gesetzt, die als Beitragszahler genau diese Generosität bedient haben. Das funktioniert nicht mehr. Die Rentnergeneration, die 2030 noch einmal vier Jahre länger lebt, hat 30 Jahre vorher - also heute - nicht genügend Beitragszahler in die Welt gesetzt. Immer mehr Rentner wollen von immer weniger Beitragszahlern immer länger ihre Rente bekommen. Das funktioniert nicht.
DIE WELT: Was heißt das für die Situation der Rentenkassen?
Raffelhüschen: Die ist langfristig ganz gut. Im Prinzip ist die Rente sicher, allerdings auf einem Niveau, das niedriger ist als bislang angenommen. Wir kommen im Jahr 2035 auf ein Bruttorentenniveau von etwa 40 Prozent.
DIE WELT: Das ist ausreichend?
Raffelhüschen: Das ist nur noch eine Grundversorgung. Wenn man bedenkt, daß die Sozialhilfe nicht viel geringer ist, dann heißt das, daß die Rente den Lebensstandard nicht mehr sichert.
DIE WELT: Müßte es ohne die Rente mit 67 Rentenkürzungen geben?
Raffelhüschen: Die Rente mit 67 ist eine Rentenkürzung. Für die, die nicht mehr bis 67 arbeiten, heißt das: zwei Jahre länger bis zum gesetzlichen Rentenzugangsalter. Das ist ein Abschlag auf die Rente von zweimal 3,6 Prozent. Aber auch die, die bis 67 arbeiten, bekommen die Rente gekürzt: Sie arbeiten zwei Jahre länger, bekommen nachher zwar dieselbe Rente, aber zwei Jahre kürzer. Das ist dieselbe Rentenkürzung. Allerdings findet sie in 20, 25 Jahren statt. Das betrifft die heutigen Rentner nicht. Das trifft die heutigen Erwerbstätigen, also Sie und mich.
DIE WELT: Immer weniger Menschen arbeiten bis zum gesetzlichen Rentenalter. Wo sind die Jobs, in denen man bis 67 arbeiten kann?
Raffelhüschen: Diese Diskussion um die Beschäftigung von älteren Arbeitnehmern ist völlig überflüssig. Die Frage, ob man arbeitet oder nicht, ist für die Finanzierbarkeit der Rentenversicherung irrelevant. Die Rente wird gekürzt, auch wenn man arbeitet.
DIE WELT: Ist es kein Problem, daß immer weniger Ältere im Berufsleben stehen?
Raffelhüschen: Dieses Problem kommt aus einer anderen Ecke. Das Problem ist, daß der Mensch zwischen 40 und 50 Jahren seine größte Produktivität erreicht. Die höchsten Löhne bekommen in Deutschland aber alte Arbeitnehmer. Eigentlich müßte einer, der mit 55 oder 60 Jahren weniger produktiv geworden ist, weniger Geld bekommen. Weil wir uns da etwas vormachen und das nicht zulassen, sagen wir, wir lassen ältere Arbeitnehmer lieber arbeitslos werden.
DIE WELT: Mußte das Rentenalter auch steigen, damit die Rentenbeiträge nicht weiter steigen?
Raffelhüschen: Ja. Wir haben nicht mehr genügend Beitragszahler, die das schultern können. Die Alternative ist die Rentenkürzung.
DIE WELT: Ist es vernünftig, daß Menschen, die 45 Jahre lang in die Rentenkasse gezahlt haben, keine Abschläge bekommen?
Raffelhüschen: Das ist falsch. Wenn einer 45 Beitragsjahre hat und sie zwischen 22 und 67 erreicht hat, geht er ohne Abschläge in Rente. Wenn ein anderer zwischen 20 und 65 Jahren eingezahlt hat, bekommt er dieselbe Rente. Er bekommt sie sogar zwei Jahre länger. Das ist unverdient, das ist eine Subvention.
Der Rentenexperte Bernd Raffelhüschen lehrt Finanzwissenschaft an der Uni Freiburg. Mit ihm sprach Philipp Neumann.
Artikel erschienen am Fr, 3. Februar 2006
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