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Fischer und die Phantom-Faxe
Von Yassin Musharbash
Die Visa-Affäre wird zum Politkrimi, inklusive falscher Fährten. Sogar nie verschickte Briefe geraten ins Blickfeld: Ein Schreiben von Joschka Fischer an Otto Schily, in dem die Visa-Politik verteidigt wird, ging angeblich in Kopie an das Kanzleramt. Das hätte den Kanzler belasten können. Doch der vermeintliche Brief entpuppt sich als Entwurf.
Berlin - Wie bei jedem handfesten Regierungsskandal spielen für die Aufklärung Aktenberge eine große Rolle. Wer schrieb wann was an wen? Gibt es darüber einen Vermerk? Gelegentlich bergen diese Unterlagen brisante Informationen - allzu oft aber auch nur vermeintliche Aufreger. In der Affäre um die tausendfache Erschleichung deutscher Visa an osteuropäischen Botschaften war ein solcher heute zu besichtigen: Nicht nur Innenminister Otto Schily (SPD), sondern auch Außenamtschef Joschka Fischer (Grüne) habe das Bundeskanzleramt über den Streit zwischen den beiden Ministerien über die gelockerte Visa-Vergabe-Politik informiert, schrieb heute die "Passauer Neue Presse".
Das Blatt zitierte aus einem vermeintlichen Brief aus Fischers Ministerium, in dem davon die Rede ist, dass eine Kopie des Schreibens an die Regierungszentrale gehe. Doch nur Stunden nach Erscheinen des Artikels dementierte das Auswärtige Amt (AA): Der angebliche Brief sei nur ein Entwurf, der nie abgeschickt wurde. Eine spätere Version der Briefskizze, die SPIEGEL ONLINE vorliegt, stützt diese Behauptung. "Zwischen BMI und BM (Bundesminister, die Redaktion) hat kurzes Gespräch stattgefunden, Brief erübrigt sich daher", steht handschriftlich über dem Entwurf.
Die Episode, um die es hier geht, spielte übrigens schon vor fünf Jahren, in der Anfangszeit der Visa-Affäre. Hintergrund ist ein Disput zwischen Bundesinnenministerium (BMI) und AA: Schilys Leute waren unmittelbar nach der Vorstellung des Volmer-Erlasses ("Im Zweifel für die Reisefreiheit") am 8. März 2000 zu dem Schluss gekommen, die Weisung sei in weiten Teilen "nicht hinnehmbar" und verstoße gegen europäische Visa-Regeln. Schily schrieb deswegen einen geharnischten Brief an seinen Kabinettskollegen, was seit langem bekannt ist. Dieser Brief ging in Kopie tatsächlich an das Bundeskanzleramt - was deshalb potenziell brisant ist, weil es die Frage aufwirft, ob Bundeskanzler Schröder persönlich vom Streit der beiden Aushänge-Minister wusste.
"Keine Ansprache im Kabinett"
Wäre es aber wirklich ein zusätzlicher Aufreger gewesen, wenn auch das AA seine Antwort an das Bundeskanzleramt geschickt hätte, wie die "Passauer Neue Presse" suggerierte? Wohl kaum - Anlass für Alarmsignale lieferte dem Bundeskanzleramt schließlich schon Schilys Brief, in dem der Innenminister kein gutes Haar an dem AA-Erlass ließ. Die heutige Aufregung wird künstlich hochgespielt. Denkbar höchstens noch, bei größter Spekulationsanstrengung: Vielleicht hätte Kanzleramtschef Frank Walter Steinmeier den ganzen Vorgang Bundeskanzler Schröder vorgelegt, wenn aus beiden Häusern Briefe gekommen wären. Zumal Schily in seinen Schreiben, abgeschickt am 9. und 13. März, angekündigt hatte, das Thema bei der Kabinettsitzung am 15. März anzusprechen.
Innenminister Schily: "Nicht hinnehmbar"
So aber kam es anders: Am 14. März 2000, also einen Tag vor dem Zusammenkommen der Ministerriege, gab es - offenbar auf Anregung des Kanzleramts - ein Gespräch zwischen Schily und Fischer. Der Visa-Streit solle "nicht zum Gegenstand von Grundsatzauseinandersetzungen" gemacht werden, heißt es in einem anschließend verfassten Vermerk aus dem AA. Die Ebene der Staatssekretäre werde sich des Zwists annehmen. Eine BMI-Vorlage für Schily bestätigt diesen Ablauf. Handschriftlich ist dort zudem festgehalten, dass "keine Ansprache im Kabinett" vorgesehen sei.
Zugleich allerdings enthält diese BMI-Vorlage ein kleines Indiz dafür, dass der Kanzler trotzdem schon informiert gewesen sein könnte. Am Ende heißt es nämlich, ebenfalls handschriftlich ergänzt: "Möglich ist, dass der Bundeskanzler die Angelegenheit ansprechen wird."
Wurde das Parlament belogen?
Das wiederum wirft die Frage auf, ob es denn nun ein Aufreger gewesen wäre, wenn der Kanzler von dem Streit gewusst hätte. Aber auch das ist nicht so eindeutig. Die eigentliche Affäre, der tausendfache Missbrauch der erleichterten Visa-Vergabe durch kriminelle Schleuser, hatte zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht begonnen, der Volmer-Erlass war gerade einmal 12 Tage in Kraft. Die rotgrüne Koalition jedenfalls wähnt den Kanzler derzeit außer Schussweite für die Jäger von der Opposition im Untersuchungsausschuss. Sie stellt sich eher auf die Frage ein, ob Kanzleramtschef Steinmeier oder wer auch immer die Kopien der Briefe Schilys in der Regierungszentrale las, das Skandalpotenzial unterschätzt hat.
Staatsministerin Müller: Einmischung oder nicht?
Aktenberge sind derweil nur eine Sache, die bei Regierungsskandalen und in Untersuchungsausschüssen eine zentrale Rolle spielt - die politische Ausschlachtung auch noch der letzten Details aber ist aber eben so wichtig. Auch hierfür gab es heute ein illustrierendes Beispiel. Es steht ebenfalls in unmittelbarem Zusammenhang zum Schily/Fischer-Streit und der Frage, wie das Kanzleramt reagierte.
Nicht weniger als den Rücktritt von Kerstin Müller, der Staatsministerin im Auswärtigen Amt, forderten heute zwei Abgeordnete der CSU. Müller habe das Parlament belogen, machten Stephan Mayer und Matthias Sehling geltend. Die Staatsministerin habe im März 2004 im Bundestag verneint, dass das Kanzleramt in den Konflikt zwischen Innen- und Außenminister eingegriffen habe, die Einigung zwischen BMI und AA, den Visa-Streit nicht eskalieren zu lassen, sei aber vom Kanzleramt inspiriert worden.
Die Bundesregierung deutet denselben Vorgang entgegengesetzt: Gerade, dass die Kontroverse auf die Fachebene in den beiden Ministerien verlagert wurde, belege, dass das Kanzleramt mitnichten Einfluss genommen habe. "Die im Bundestag erteilte Antwort ist richtig gewesen", sagte heute deshalb AA-Sprecher Walter Lindner.
Zwei Wochen dauert es noch, bis der Untersuchungsausschuss wieder tagt und Zeugen aus Fleisch und Blut an die Stelle der Aktenberge rücken. Bis dahin wird es nach diesem Muster weitergehen: Wer schrieb was wann an wen? Gibt es darüber einen Vermerk? Und wo sind die wirklichen Aufreger versteckt?
MfG kiiwii
[Übrigens: In diesem Land sind 5.216.434 Menschen arbeitslos.]
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