sollte man meinen, nachdem man das gelesen hat. Die hoffnung auf unabhängige analysten, die am schluß des artikels genährt wird, kann ich nicht teilen.
Aus der FTD vom 12.4.2001
Aktienanalysten im Interessenkonflikt Von Charles Pretzlik und Simon Targett, London
Die Aktienanalysten der großen Investmentbanken sind in einem Tempo in Ungnade gefallen, das selbst einen Internet-Entrepreneur verlegen machen würde.
Wurden die Analysten in Zeiten der Börsenhausse noch wie Propheten verehrt, verlieren sie jetzt, wo die ihnen hörigen Anleger ihre Verluste zählen, rapide an Ansehen.
Noch vor wenigen Monaten konnten "Star"-Analysten in wachstumsstarken Branchen wie Technologie und Telekommunikation die Aktienkurse von Unternehmen, die sie betreuten, in die Höhe treiben. Sie brauchten lediglich Kaufempfehlungen und Kursziele auszugeben.
Die Aktienkurse zahlreicher Firmen sind jetzt weit unter den Niveaus, die Analysten im Jahr 2000 als Ziele genannt wurden. "In den letzten fünf Jahren hat die Qualität der Analysen so stark abgenommen, dass viele Anleger heute meinen, die meisten seien das teure Papier nicht wert, auf dem sie gedruckt sind", sagt Avinash Persaud, Leiter der Abteilung für Global Research bei State Street Global Markets.
Käufer muß der Hut sein
Trotz all dieser Kritik scheinen nur wenige Londoner Vermögensverwalter den Wunsch zu haben, künftig ohne die Analysten der großen Banken auszukommen. Sie glauben, die Analysten würden sich wie die großen Institute an das veränderte Börsenumfeld anpassen und ihr Verhalten entsprechend ändern. "Letztlich heißt es für den Käufer, auf der Hut zu sein", sagt Gregor Bamert von der britischen Unternehmensberatung Tempest.
Das eigentliche Problem der Aktienexperten liegt darin, dass sie sich nach Meinung vieler von ihrer traditionellen Rolle entfernt haben. Die bestand darin, institutionellen Anlegern, die über Investmentbanken Wertpapiere handeln, Bewertungen zu liefern. Nun werden sie beschuldigt, ihre Kompetenz überschritten zu haben, indem sie oft nur das schreiben, was die Firmen gerne hören möchten.
Die Banken haben festgestellt, dass sich die Beratung von Firmen bei Fusionen und Übernahmen oder bei Börsengängen mehr lohnt als der Aktienhandel. "Ein Unternehmen, das einen Kredit aufnehmen will, wird nicht zu einer Bank gehen, deren Analyst seine Aktie zum Verkauf empfohlen hat", sagt Persaud. "Und die Bank kann sich bessere Chancen auf ein Geschäft ausrechnen, wenn ihr Analyst eine Kaufempfehlung ausspricht."
Der Stimmungsumschwung an den Märkten hat dem Ruf der Analysten geschadet. Seit auf beiden Seiten des Atlantiks immer mehr Unternehmen Gewinnwarnungen veröffentlichen, haben die Prognosen der Analysten an Glaubwürdigkeit verloren. Zwar ringen sich die Experten öfter zu einem "Verkaufen" oder einem "Halten" durch, aber oft erst nachdem die Kurse gefallen sind.
Verändertes Börsenumfeld
Neben dem veränderten Börsenumfeld gab es mindestens einen weiteren Auslöser für das Umdenken in der Londoner Finanzwelt. Eine Reuters-Umfrage hat ergeben, dass die Analysten von Goldman Sachs bei britischen Unternehmen ein wesentlich höheres Ansehen genießen als bei institutionellen Anlegern.
Die Fondsmanager stellen je nach Marktumfeld unterschiedliche Anforderungen an die Analysten. Gehen die Kurse nach oben, handeln die Fonds über die Investmentbanken, deren Analysten den Unternehmen auf Grund finanzieller Anreize eng verbunden sind. Die Investmentprofis sind in diesen Börsenphasen bereit, übertrieben optimistische Anlageempfehlungen und Kursziele hinzunehmen, um bei Neuemissionen billig an Aktien heranzukommen. "Sie wussten was sie kauften, und sie verlangten immer mehr", sagt ein New Yorker Anlageberater. "Sie können keinen außer sich selbst dafür verantwortlich machen." Jetzt, wo die Kurse deutlich gesunken sind, sind die Fonds bei der Auswahl ihrer Bank wieder kritischer geworden.
Auf Grund des rückläufigen Emissions- und Beratungsgeschäft kämpfen die Investmentbanken gegen den Rückgang ihrer Provisionseinkünfte. Lehman Brothers schätzt die durchschnittliche Provision im Aktienhandel auf etwa 0,1 Prozent - die gleiche Spanne wie bei Fusionen und Übernahmen (M&A). Am lukrativsten ist das Neuemissionsgeschäft. Die Provision der Bank kann 2,7 bis 3,5 Prozent des Transaktionsvolumens betragen.
Wichtige institutionelle Kunden
Der Aktienhandel im Auftrag institutioneller Kunden bleibt ein wichtiger Bereich. In den USA brachte er den Banken mehr als die Hälfte ihrer Gewinne des vergangenen Jahres ein - nach rund 33 Prozent im Vorjahr. Das M&A-Geschäft machte etwas mehr als 12 Prozent der Branchengewinne in den USA aus, wobei Aktienemissionen 11 Prozent beitrugen. In Europa war der Aktienhandel sogar noch wichtiger. Im Jahr 2000 hatten ihm die Banken 61 Prozent ihrer Gewinne zu verdanken.
Wenn die Provisionseinnahmen in diesen Bereichen sinken, wie es derzeit der Fall ist, müssen die Investmentbanken entweder ihre Kosten reduzieren oder versuchen, ihre Umsätze konstant zu halten. Da die Analysten die Unternehmen kaum zu einer Fusion oder einer Aktienemission zwingen können, könnten sie sich künftig verstärkt auf den Service gegenüber den Fonds konzentrieren. Damit würden sie die Provisionseinnahmen im Aktienhandel erhöhen.
Angesichts dieses neuen Service-Gedankens sehen die Banken einen größeren wirtschaftlichen Nutzen in unabhängigen Analysen, die originelle Ideen liefern, ohne den Unternehmen gefallen zu wollen. "Es wäre eigentlich verwunderlich, wenn Analysten nicht unter einen gewissen Druck von Seiten der Banker und der Vertriebsteams geraten würden - sie müssen alle nur ihren Job machen", sagt Andrew Melnick, Leiter der Global-Research-Abteilung bei Merrill Lynch. "Unser Job als Analysten besteht darin, unabhängig zu sein."
Die Londoner Finanzwelt könnte jetzt die Rollen neu verteilen. Denn die Unternehmen und die Fonds ziehen nicht mehr am gleichen Strang, sondern an den jeweiligen Enden.
© 2001 Financial Times Deutschland
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