Der Mann ohne Eigenschaften - Gerhard Schröder
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eröffnet am: | 24.04.03 14:46 von: | Dixie | Anzahl Beiträge: | 76 |
neuester Beitrag: | 06.03.04 18:29 von: | dishwasher | Leser gesamt: | 4478 |
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Porträt
von Torsten Krauel
Vor einem Vierteljahrhundert wurde er Bundesvorsitzender der Jungsozialisten. Im kommenden Herbst ist er seit einem halben Jahrzehnt der Bundeskanzler. Gerhard Schröder kann sich zum Inventar der Bundesrepublik zählen. Aber im öffentlichen Bewusstsein wird er nicht als Hüter der Tradition angesehen. Kaum ein Amtsinhaber vor ihm, Willy Brandt vielleicht ausgenommen, hatte dermaßen abrupt und dermaßen weit schwankende Zustimmungswerte zu verzeichnen wie Schröder. Kaum ein anderer Bundeskanzler ist in Erfolgsphasen so abwartend bis misstrauisch gelobt und in Krisenphasen so bereitwillig als bereits gescheitert beschrieben worden. Helmut Kohl hat das zwar in seinen ersten fünf Jahren ebenfalls erlebt, aber Kohl hatte sich damals noch nicht die Aura eines Machtpolitikers erworben.
Gerhard Schröder umgab diese Aura von Anfang an. Er ist ihretwegen ja 1998 erst an die Macht gelangt. Aber was ist seither geschehen? Vieles, und doch eigentlich nichts. Kaum ein anderer Bundeskanzler hat sein Kabinett politisch und persönlich so sehr dominiert und es zugleich geschafft, sich von einer markanten in eine eher konturlose Gestalt zu verwandeln. Damit ist nicht gemeint, dass Schröder sich als durchsetzungsschwach erwiesen hätte. Gemeint ist: Der von einsamen Entschlüssen geprägte politische Weg des Bundeskanzlers Gerhard Schröders ist nach nur fünf Jahren aus dem Gedächtnis kaum noch rekonstruierbar.
Es gibt Film- und Bühnenwerke, die nach furiosem Anfang im Ungefähren verschwimmen und klammes Abwarten erzeugen, knapp oberhalb der Schwelle, an der man seinen Sitz vorzeitig verlässt. Gerhard Schröders Auftritt als Bundeskanzler ist bislang ein solcher Fall, und wie im Kino harrt das Publikum nur deswegen aus, weil es nicht glauben kann, dass der gerühmte Hauptdarsteller eine so verwechselbare Leistung auf sich beruhen lassen will. Irgendetwas Überraschendes muss doch noch kommen.
Schröders Irak-Kurs schien eine solche Überraschung zu sein. Sie bestand darin, dass er zum ersten Mal in seiner Amtszeit eine öffentliche Haltung länger als einige Monate durchhielt. Gerhard Schröder zeigte sich willens, nicht nur eine Position, sondern einen wirklichen Standpunkt einzunehmen. Seine Haltung schien sich langfristig und nachvollziehbar zu entwickeln - bis der Satz fiel, auch einen Krieg, den die UNO befürworte, abzulehnen. Da war sie wieder, die Schrödervolte, die Überspitzung. Es folgte sein Herumirren zwischen Paris, Moskau und Joschka Fischer. Das Nein zum Irak fiel zeitlich mit innenpolitischen Kurswechseln zusammen. Die Wandlung des Bundeskanzlers vom managerfreundlichen zum gewerkschaftsfreundlichen Auftreten im Sommer 2002 und sein abrupter Schwenk zurück im Winter 2003 hatten während der Irak-Krise stattgefunden. Untergründiges Misstrauen schwelt. War Schröders Wandel zum Pazifisten wirklich ernst gemeint?
So überrascht es auch nicht, dass sich in der SPD ein Protest gegen Schröders "Agenda 2010" zu regen beginnt, der heftiger ausgetragen zu werden verspricht, als es seine außenpolitische Haltung eigentlich erwarten ließe. Sie war in den Augen linker Parteimitglieder ein Verdienst, nährte aber in Kombination mit einem sozialpolitischen Rechtsschwenk ein unterschwelliges Gefühl, der Bundeskanzler sei keiner, der im Wahlkampf zu seinem Glauben zurückgefunden habe. Eher schien er langfristige Sehnsüchte und Hoffnungen zu nutzen, um nicht zu sagen auszubeuten. Das ist gerade für Linke ein Sakrileg. Die inhaltliche Sprunghaftigkeit, gekoppelt auch noch mit einem autoritären Auftreten Schröders gegenüber Kritikern, widerspricht allen Kernempfindungen von Menschen, die um einer langfristigen Idee willen in die Politik gegangen sind.
Wen haben wir eigentlich zum Bundeskanzler, zum Parteivorsitzenden, zum Bannerträger? Nahezu fünf Jahre nach seinem Amtseid als Kanzler ist die Frage in den Reihen der SPD anscheinend noch nicht so klar zu beantworten, dass sich dort der normale leidenschaftliche Meinungsbildungsprozess einer Volkspartei endlich einmal wieder ohne Vertrauensfragen, Putschversuche und letzte Worte vollziehen könnte. Seit Willy Brandts Rücktritt als Bundeskanzler hat es das in der SPD ja kaum mehr gegeben.
Helmut Schmidt: als Kanzler im Stich gelassen, dann einfach fallen gelassen. Willy Brandt: als Parteichef wegen einer Personalie so rüde und mit ausländerfeindlichen Untertönen kritisiert, dass er das Handtuch warf. Hans-Jochen Vogel: formal geordnet in das und aus dem Amt gewählt, aber zerrieben am Machtkampf mit Oskar Lafontaine. Björn Engholm: zurückgetreten wegen einer Korruptionsaffäre. Rudolf Scharping: Gestürzt von Oskar Lafontaine. Lafontaine: Putschartig in das Amt, putschartig aus dem Amt gelangt. Und nun streben welche an, Gerhard Schröder weniger abzulösen als zu stürzen, weil es in ihren Augen darum geht, eine Politik nicht zu beeinflussen, sondern um jeden Preis zu stoppen.
Mit Helmut Schmidts Nachrüstungs-Krise hat das Unbehagen wenig gemein. Damals glaubte die Mehrheit der Parteimitglieder zu wissen, wer Schmidt war: ein ihnen zu konservativer Regierungschef. Gerhard Schröder ist so nicht zu fassen. Er würde emphatisch abstreiten, im tieferen Sinne moralisch eigentlich unvereinbare Beschlüsse wie die Beteiligung am Kosovo- und die Totalablehnung des Irak-Krieges, oder die Rücknahme mancher Reformen des Kohl-Kabinetts und ihre nunmehr bevorstehende Wiedereinführung, seien tagespolitisch motiviert. Der Eindruck, dass es so sei, setzt sich aber fest, je länger der Bundeskanzler seinen Zickzackkurs fortführt.
Das mag vor allem daran liegen, dass Schröder für seine Politiken nach außen entweder keine über die tagesaktuelle Zweckmäßigkeit hinausweisende Begründung gibt oder aber gelegentlich eine autobiografische. Nie macht er in solchen Situationen einen Hehl daraus, sich seiner Herkunft sehr bewusst zu sein, und doch hat gerade dieser Hinweis etwas autokratisches an sich. Mich wollt ihr doch nicht etwa stürzen?! Während der Irak-Debatte ließ er manchmal andeutungsweise erkennen, wie sehr ihn die Entdeckung des Grabes und der erstmalige Besitz eines Fotos seines Vaters beeindruckt haben. Das ist mit Sicherheit eine authentische, tief empfundene Emotion. Als zusätzliche Politikbegründung wäre sie den Kritikern sehr willkommen - wenn eine solche Gerechtigkeit vor der Geschichte nicht gleichzeitig durch den von ihnen so empfundenen Abschied von der sozialen Gerechtigkeit als Leitschnur seines Handelns flankiert würde. "Der Ansatz, zu sagen, wir dürfen ein soziales System, das auf Grund der Veränderungen in der Ökonomie in Schwierigkeiten geraten ist, nur dann reformieren, wenn wir in der Steuerpolitik anderen Gruppen etwas wegnehmen, ist falsch", beschied der Parteivorsitzende im "Spiegel" seine Kritiker: "Sie wollen an etwas festhalten, dem die reale Grundlage entzogen ist."
Das ist nicht die Sprache, mit der sich eine Linke, die glaubt, Parteitraditionen zu hüten, anfreunden könnte. So hat man sich die Befreiung aus der sechzehn Jahre dauernden Opposition nicht vorgestellt.
Argwohn, ob einer Richtungsentscheidung nicht doch schon ein Widerruf beigeheftet sei, ständiges Suchen nach dem Kleingedruckten seiner Beschlussvorgaben: Gerhard Schröders Verhalten verunsichert eigene Leute inzwischen fast genauso stark wie seine politischen Gegner. Es möglich zu halten, dass demnächst eben doch die Bundeswehr im Irak helfen könnte, ist keine Polemik, sondern eine nüchterne Einschätzung des Denkbaren. Man ist bei der Linken still erleichtert, wenn das nicht eintritt - aber weiß man dann, was stattdessen passieren könnte? Weiß man überhaupt etwas über diesen Mann, der so überzeugend auftreten und so genussvoll seinen gerade aktuellen Politikentwurf vortragen kann, dass es zwei Schröders geben muss - den begütigenden Redner, und den, der unbewegt seiner eigenen Rede lauscht? Wo ist Schröder? Und wer ist der echte?
Fragen über Fragen. Entnervt gibt nun die in sich auch noch gespaltenen Linke auf: Wir können nicht mehr, wir wollen nicht mehr. Gerhard Schröder hat gewonnen, und das mittragen zu müssen ist für die Traditionalisten genauso eine Niederlage wie der Machtverlust der SPD überhaupt. Indem sie sie hervorholen, strecken sie die Waffen. Wie im Kino, wo jemand, der halblaut ausspricht, man werde gleich aufstehen, die Hoffnung fahrengelassen hat, aber ahnt, dass nur wenige seinem Beispiel folgen würden.
Irgendwann wird Gerhard Schröder dann vielleicht sagen (oder andere über ihn), es sei alles von Anfang an angelegt gewesen. Von Riester über das Kosovo, vom Asylrecht bis zum Irak, von der Gesundheitsreform bis zur neuen Nähe zu Russland ziehe sich eine gerade, logische Linie. Deutschland modern und erwachsen gemacht zu haben hat er im Schweizer Fernsehen kürzlich als seine bereits fast erreichte Lebensleistung dargestellt. Er sagt ja gerne das ihm eigentlich Wichtige in Fernsehsendern mit geringer Publikumsreichweite.
Die ihn begreifen und nicht verdrängen wollen, werden es schon vernehmen. Und Benjamin Disraeli zitieren: "Sei klar und unmissverständlich, wenn du deine Gedanken verhehlen und den Gegner verwirren willst."
Artikel erschienen am 24. Apr 2003
© WELT.de 1995 - 2003
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Ein Freund von mir ist Vorssitzender Richter einer grossen Strafkammer.Dort hatte ein Sozialhilfeempfänger(zu Recht) 3.800,--Euro für eine Fotoausrüstung erhalten,weil er sich als Fotograf selbständig machen wollte.Verurteilt wurde er wegen anderer Delikte.
Klasse!
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Verheiratet,2 Kinder-meinetwegen 3 und 8 Jahre alt-kommen bei Sozialhilfe "garantierte" 867,--Euro raus.Dazu kommen dann noch die sonstigen Zuschüsse-Wohngeld etc.Daneben gibts kostenloses U-/S-Bahnfahren,Ermässigungen in Schwimmbad etc.
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Ich kenne einige, die sich morgens über mich scheckig lachen, wenn ich um 7 zur Arbeit fahre und sich dann gemütlich im Bett auf die andere Seite drehen.
Gegen Nachmittag und Abend laufen die dann zur Höchstform auf. Da ist von Tapezierer, Elektriker, Dachdecker, KFZ-Mechaniker, Fliesenleger etc alles dabei.
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Die Staatsquote ist unerträglich hoch. Und die Gegenleistung des Staates für die Bürger besteht zunehmend in einer Lähmung der wirtschaftlichen Entwicklung.
Über die Parteien müssen wir eigentlich auch nicht reden. Aktuelles Beispiel, das mich privat betrifft: Lebe hier in einer Umlandgemeinde. Wir verwalten uns selbst. Deshalb geht es uns gut. Parteien spielen dabei keine Rolle. Jeder hier hat ein persönliches Verhältnis zu seinen Kommunalpolitikern. Jetzt zwingt uns Brandenburg (Schönbohm) dazu, uns zu Großgemeinden zusammenzuschließen. Natürlich haben danach unabhängige Kandidaten und freie Bürgervereinigungen keine Chance mehr. Es wird parteipolitisch gewählt werden. Man fühlt sich im Würgegriff der Parteien und könnte kotzen.
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Reuters BERLIN. Im Streit um seine Reformpolitik hat Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) indirekt mit Rücktritt für den Fall gedroht, dass seine Pläne in seiner Partei keinen Rückhalt fänden.
Schröder sagte am Montag vor einer Sitzung des SPD-Vorstands in Berlin, wer etwas Anderes beschließen wolle als in der Agenda 2010 enthalten sei, müsse wissen, dass er der Regierungsarbeit die inhaltliche Grundlage entziehe und ?mich zu Konsequenzen zwingt?. Die Grundlinie der Agenda 2010 könne nicht verrändert werden. Über Details könne man aber sprechen. Im SPD-Vorstand erwarte er einen positiven Grundsatzbeschluss.
Umstritten in der SPD sind vor allem die geplanten Einschnitte beim Arbeitslosengeld, bei der vorgesehenen Lockerung des Kündigungsschutzes und die geplanten Sparmaßnahmen beim Krankengeld. Kritiker der Pläne habe daher ein Mitgliederbegehren gegen die Reformpläne gestartet.
HANDELSBLATT, Montag, 28. April 2003, 11:13 Uhr
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Den Schaden haben die Ehrlichen.
#59 Reila
Tut sie das denn nicht schon längst? ;-)
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Bestes Beispiel ist doch "Euer"Stolpe.Milliarden in den Sand gesetzt-Cargolifter,Lausitzring,Chipfabrik-die Verfassung beschädigt-Abstimmung im Bundesrat zum Zuwanderungsgesetz(Schönbohm und Wowereit halfen heftig)und nun Bundesminister u.a.für den Aufbau Ost!
Ich könnte kotzen...
Ciao B.L.
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Der Unterschied ist, dass es uns damals ziemlich gut ging. Die Wirtschaft brummte, Deutschland war wirtschaftlich führend, nicht nur in der EU und alle glaubten, dass es immer so weiter geht.
Der Knick kam (entschuldige, ist aber so) mit der Wiedervereinigung. Dass die ein derartiges finanzielles Desaster werden würde, hat niemand vorausgesehen oder voraussehen können.
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echtes wirtschaftswachstum entsteht aus nachfrage und daraus resultierenden investitionen. auch bedingt staatlicherseits, aber nicht wie in der ära kohl/waigel, als das geld gepumpt wurde und ohne sinn und verstand in die landschaft vergossen wurde. mit gezielter förderung hätte man hier sicherlich konjunkturschwankungen abfangen können ohne entgegen dem trend ein unreales und in keinster weise zu den kosten stehendes wachstum erzielt. vor diesem hintergrund halte ich das erzielte wirtschaftswachstum nur für ein scheinwachstum, da die heute dafür anfallenden kosten jegliche wachstumseffekte negiert haben, strukturprobleme in den sozialsystemen übertüncht haben und im gesamtbild zu einer verschlechterung der wirtschaftlichen lage geführt haben...
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Das Rückgrat der SPD
VONHERIBERTPRANTL
Maiaufstände wird es im Jahr 2003 nicht geben. Die letzten Maiaufstände in Deutschland haben im Jahr 1849 stattgefunden, nach dem Scheitern der Nationalversammlung in der Paulskirche. Dabei wird es bleiben. Die sozialdemokratische Partei wird sich also im Mai 2003 nicht gegen ihren Kanzler erheben. Sie wird Gerhard Schröder nicht die Faust zeigen, sondern sie nur in der Tasche ballen, vorerst. Das Herz wird den Sozialdemokraten zwar schwer, wenn sie sehen, von wem ihr Kanzler für seine so genannte Agenda 2010 Beifall bekommt: von der FDP, von der CDU, von den Wirtschaftsverbänden. Aber die Partei wird die Zähne zusammenbeißen, vorerst. Vor die Alternative gestellt, die Agenda zu akzeptieren oder die Regierung Schröder zu stürzen, wird die Partei diese Agenda billigen.
Aber die Seele der Partei wird ihren Frieden nicht finden. Die Revolte wird noch kommen ? dann, wenn die Arbeitslosenzahl, trotz der Opfer, die Schröder den kleinen Leuten abverlangt, die fünf Millionen-Grenze übersteigt. Die Revolte wird kommen, wenn sich als richtig herausstellt, was Bundespräsident Rau vor eineinhalb Wochen im Manuskript seiner Rede in Rostock stehen hatte, aber dann, um nicht in die aktuelle Politik einzugreifen, sich nicht mehr zu sagen traute: Wer behauptet, der Umbau des Sozialstaates senke entscheidend die Massenarbeitslosigkeit, ?der führt die Öffentlichkeit wider besseres Wissen in die Irre?. Der Sozialstaat muss aus ganz anderen Gründen umgebaut werden: Er ist in der bisherigen Form nicht mehr finanzierbar, weil er mit der Finanzierung der deutschen Einheit überfordert wurde; er ist kein ewiges Brünnlein.
Die Revolte in der SPD wird kommen, wenn die Partei sich der gebrochenen Versprechen schämt, die den Weg ihres Kanzlers säumen. Und dieses Gefühl der Scham wird sich, so ist das halt, spätestens dann gegen den Parteivorsitzenden Schröder entladen, wenn, womit zu rechnen ist, die Wahlen für die SPD reihenweise verloren gehen. Das Jahr 2004 ist ein großes Wahljahr: Kommunalwahlen in acht, Landtagswahlen in vier Bundesländern, dazu, zum Auftakt, Wahlen zum Europäischen Parlament. Und wenn dann im Frühjahr 2005 das Land Nordrhein-Westfalen für die SPD verloren geht ? dann, spätestens dann, wird es kein Halten in der SPD mehr geben. Dann wird sich die SPD auf die Suche nach der verlorenen Sozialdemokratie machen, dann wird das Misstrauen über dem Parteichef zusammenschlagen, dann könnte es heißen: Nach ?Stoppt Strauß? und nach ?Stoppt Stoiber? müsse nun der eigene Parteichef gestoppt werden. Doch bis dahin ist es noch weit, und Schröder ist ein Mann, der gelernt hat, auf sein gütiges Schicksal zu vertrauen. Diesmal freilich müsste das Schicksal nicht Wassermassen, wie im August 2002, sondern Arbeitsplätze vom Himmel werfen.
Das SPD-Problem ist simpel zu beschreiben, aber schwer zu lösen: Es reicht nicht, dass Schröder eine Reform ausruft, das reicht selbst dann nicht, wenn diese en gros und en détail richtig sein sollte. Es reicht nicht, die Vertrauensfrage damit zu verbinden; Schröder wird sie gewinnen, aber dabei womöglich seine Partei verlieren ? wenn er seine Reform ihr und auch ihrer längst nicht mehr geneigten Wählerschaft nicht überzeugend erklären kann. Es reicht nicht, wenn sich der Kanzler selbst stolpernd und mutig in die neue Arbeitsgesellschaft aufmacht; er muss seine Partei und ihre Wählerschaft dabei mitnehmen. Zu diesem Zweck muss er eine Antwort darauf haben, warum Rezepte, die unter Kohl keinen Arbeitsplatz schaffenden Erfolg hatten (die Einschränkung des Kündigungsschutzes zum Beispiel), diesen jetzt auf einmal haben sollen. Er muss seiner Partei darlegen können, warum das, was er jetzt plant, nicht einfach die Fortsetzung der alten, gescheiterten Kohl-Politik ist, sondern tatsächlich der Beginn einer neuen, vernünftigeren Politik. Das kann er nur, wenn er die Agenda 2010, die ja nur ein Arbeitsprogramm 2003 ist, in ein Gesamtkonzept einbettet. In diesem Gesamtkonzept müsste er eine sozialdemokratische Kunst demonstrieren: wie sich in Zeiten knapper Kassen soziale Gerechtigkeit darstellt und bewährt. Die Leute sind zu Opfern bereit; sie wollen aber dabei das Gefühl haben, dass diese Opfer einen Sinn haben.
Die SPD wird sich auf den Regionalkonferenzen spannende Diskussionen liefern, sie wird von lebendiger innerparteilicher Demokratie reden und zu Recht stolz darauf sein. Die Partei habe gezeigt, so wird es heißen, dass sie nicht das Sultanat des Kanzlers ist. Schröder wird sagen: Und das ist gut so. Auf diesen Regionalkonferenzen wird gefordert werden, was bisher vor allem der verpönte Lafontaine gefordert hat: Dass der Staat antizyklisch handeln, dass er also Konjunkturprogramme auflegen müsse ? um dann, in mehr Ruhe, die großen Reformen anzupacken. Die Partei wird sich an ihrem Mut zu solchem Streit berauschen ? und dieser Rausch wird dafür sorgen, dass der Sonderparteitag für Schröder ordentlich über die Bühne geht. Es wird das Gefühl herrschen, wie gut es doch gewesen sei, über alles wieder einmal geredet zu haben. Wenn aber daraus keine Grundsatzdebatte wird, keine Debatte also, die Reformen anregt, begleitet und ihnen ein Rückgrat gibt ? dann hat die SPD auf lange Zeit verspielt.
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SPD lässt Lafontaine abblitzen
SPD-Generalsekretär Olaf Scholz (44)...
...lässt Ex-Parteichef Oskar Lafontaine (59) nicht zur SPD-Partyn ? Die SPD erklärt Ex-Parteichef Oskar Lafontaine zur unerwünschten Person!
Zur großen Feier des 140. Parteigeburtstages am 23. Mai in Berlin wird Lafontaine demonstrativ nicht eingeladen. Das entschied SPD-Generalsekretär Olaf Scholz. Begründung: ?Lafontaines bisheriges Verhalten rechtfertigt es nicht, zu dieser Veranstaltung zu kommen!? Zu dem Festakt sind 2000 Gäste geladen ? die Ansprache hält SPD-Chef Gerhard Schröder.
Dass Ex-Parteichef Lafontaine nicht erwünscht ist, empört vor allem den linken Parteiflügel. Der Chef der Saar-SPD, Heiko Maas: ?Ich halte diese Entscheidung für absolut kleinkariert! Die Ära Lafontaine gehört zur 140-jährigen Geschichte der deutschen Sozialdemokratie.? Maas? Amtskollegin aus Hessen, Andrea Ypsilanti: ?Es ist nicht in Ordnung, wenn Lafontaine nicht eingeladen wird. Schließlich hat er der SPD 1998 zum Wahlsieg verholfen.?
Kopfschütteln auch bei den Jusos. Deren Chef Niels Annen: ?Die Nicht-Einladung spricht nicht unbedingt von Größe.? (aheu)
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18/2003
Gerechtigkeit
In jedem von uns steckt ein Sozi
Er pflegt seine Besitzstände und verweigert reflexhaft jede Veränderung. Die Sozialdemokraten in der SPD kann der Kanzler notfalls erpressen. Die Sozialdemokraten in uns muss er noch überzeugen. Schröder kann es schaffen
Von Elisabeth Niejahr und Bernd Ulrich
Joseph Beuys soll einmal gesagt haben: Die Grünen sind die größte Partei der Welt ? aber die meisten Mitglieder sind Tiere. Bei den Roten verhält es sich anders: Die meisten Deutschen sind Sozialdemokraten ? aber die wenigsten sind in der SPD.
In uns allen steckt ein Sozi, einer, der all die hektischen Veränderungen der letzten Zeit ablehnt, der in seligen BRD-Jahrzehnten erworbene Privilegien und Sicherheiten nicht preisgeben möchte. Schließlich kämpfen die Deutschen seit fast zwanzig Jahren gegen Deregulierung, Neoliberalismus und Sozialabbau. Und zwar mit großem Erfolg. Ob Helmut Kohl oder Gerhard Schröder ? abgestraft wurde bei Wahlen jeder, der es unternahm, die gewohnte soziale oder steuerliche Ordnung zu stören. Die SPD ist nicht der obskure Verein, als der sie zurzeit, mit Vorliebe von rot-grünen Regierungsmitgliedern, dargestellt wird. Die SPD ist weniger die Partei der Schwachen als die Partei unserer Schwächen.
Dennoch sind die Bürger außerhalb der SPD schon weiter als die innerhalb. Die Flut von schlechten Daten in Wirtschaft, Haushalt und Bildung sowie die guten Argumente der Reformer aller Parteien haben die Mehrheit willig gemacht hinzunehmen, was der Kanzler Agenda 2010 nennt, ein Bündel unausweichlicher Sozialkürzungen. Ausgerechnet in dem Moment jedoch, da der Deutsche den Sozialdemokraten in sich bezähmt, tritt der Sozialdemokrat an sich aus der Kulisse ? und erhebt Einspruch.
Nun wäre es leicht, sich über die SPD-Basis lustig zu machen. Über Triple-S etwa, wie Sigrid Skarpelis-Sperk von Spöttern aus dem Kanzlerumfeld genannt wird, jene unscheinbare Hinterbänklerin aus Bayern, die plötzlich den Kanzler bei seiner Reform-Agenda stört. Doch sind die zwölf Oppositionellen kaum der Grund für den Aufruhr an der Basis, sondern sein Ausdruck.
Alles oder nichts, friss oder stirb!
Was aber ist in die Basis gefahren, die doch gefälligst zufrieden sein sollte, solange ein Genosse regiert und damit das noch Schlimmere verhindert, also das, was die Schwarzen und die ? Bebel-sei-bei-uns! ? Gelben machen würden, wenn sie könnten? Liegt es an dem, was der Kanzler konkret vorhat, an der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe oder an der minimalen Lockerung des Kündigungsschutzes? Ja und nein. Die Agenda ist beides zugleich: noch hektisches Rumkürzen, schon der Anfang von etwas Neuem.
Eigentlich hätten die Genossen auch diese Kröten noch schlucken können, und genau das hatten ihre Anführer ja auch erwartet. Aber dann verband sich mit einem Mal die Agenda 2010 nicht mit jenen Fragen, die der Kanzler gern stellt ? er oder ich, alles oder nichts, friss oder stirb ?, sondern mit viel gefährlicheren: Was ist an unserer Politik noch sozialdemokratisch? Die Sinnlücke tritt offen zutage. Und dahinter steht die Frage, die alle angeht: Was ist heute soziale Gerechtigkeit?
Nähern wir uns also der SPD-Seele, lesen wir ein internes Papier. Das von Michael Müller, Linker, Mittfünfziger, stellvertretender Fraktionschef, klug, fleißig und sympathisch, ein Genosse im besten Sinne. Er hat eine elfseitige Papierbrücke gebaut zwischen Triple-S und Gerhard S. Darin nimmt Müller von der Agenda 2010 einiges zurück, weniges. Zwischen den Zeilen aber verrät er dabei vieles über den großen Frust der SPD. Ein typischer Satz aus seinem Skript: ?Unser Wirtschafts- und Gesellschaftssystem beruht wesentlich auf einer Struktur, die sehr stark technologisch begründet ist.? Was bedeutet dieser Satz? Er bedeutet, dass unsere Wirtschaft auf Technik beruht, eine Banalität. Warum sagt Müller ihn dann, warum so? Er erinnert daran, dass es in der SPD mal eine tolle Zeit gab, in der man nächtelang theoretisch die Gesellschaft verändert hat. Diese Debatten laufen jetzt nach, leer, nostalgisch.
Wegen eben dieser Theoriedebatten weigert sich Gerhard Schröder, für seine Politik überhaupt eine Erklärung zu liefern. Er kennt Müller seit Juso-Tagen, gehörte aber schon damals nicht zu den Theorie-Typen. Anders als Müller sei er immer ein ?bekennender Klappentext-Leser? gewesen, behauptet Schröder kokett. Als SPD-Vorsitzender ließ er die Partei geistig aushungern. Zunächst installierte er Franz Müntefering als Parteigeneral, der zwar den sozialdemokratischen Gefühlshaushalt ansprach, aber alle Theorie für grau erklärte. Lieber elf Worte als elf Seiten. Dann überließ der SPD-Chef auch noch dem Anti-Visionär Scharping die Programmarbeit, die Parteitage wurden derweil zu Stundenereignissen.
Es ist schon fast ein Ritual: Schröders Mitarbeiter schreiben Sinn- und Visionspassagen in die Kanzlerreden ? er streicht sie wieder raus: Das will ich nicht, das bin ich nicht. Wegen beidem, der mürben Gestrigkeit von Müllers Sprache und Schröders sprachlos autoritärem Pragmatismus, leidet die SPD seit Jahren an visionärem Unterzucker. Weil dem Neuen kein Sinn gegeben wird, zieht sich die Partei mehr und mehr auf das Alte zurück, auf die Abwehr von Sozialabbau. Dazu schreibt Müller: Der Sozialabbau, ?diese konservative Sichtweise, ist vor dem Hintergrund historischer Erfahrungen ein gefährlicher Irrweg. Er führt zu Spaltungen und Krisen und damit zu einer Gefährdung von Demokratie und Freiheit.? Für Müller ist der Sozialstaat ein antifaschistischer Schutzwall. ?Historische Erfahrungen?, ?Gefährdung der Demokratie? ? das soll Weimar heraufbeschwören. Wer den Wohlfahrtsstaat so sieht und nicht als Umverteilungsarrangement einer reichen Gesellschaft, der kann sich bei jedem Abbau nur elend fühlen.
Zudem betreibt die SPD mit der Agenda 2010 ausgerechnet die Politik, gegen die sie sich in ihrem Wahlprogramm des Jahres 2002 doch gerade noch ausgesprochen hat. Ihr Sozialpopulismus von gestern wandelt sich zur Reformverweigerung von heute. Nun soll sie jene Härten mitmachen, gegen die viele Sozialdemokraten unter Kohl lautstark demonstriert haben: Krankengeld, Kündigungsschutz. Viele aus der SPD-Fraktion erinnern sich noch genau an die Demos auf der Bonner Hofgartenwiese, kurz bevor die Kohl-Regierung fiel; fast alle waren dabei.
Das schale Gefühl steigert sich zur Wut, wenn dann noch die Versprechungen des Kanzlers regelmäßig nicht gehalten werden. Schröder tröstet Genossen und Bürger immer damit, dass dieses jetzt noch gemacht werden müsse, aber dann, dann würde es bald besser. Die Erfahrungen sind anders: Nichts wird besser, der Sozialabbau geht weiter, die Abgaben steigen, die Arbeitslosenzahl nähert sich den fünf Millionen. Der Kanzler hat keine Vision, seine Genossen schon: die Horrorvision, dass es immer so weitergeht.
Was ist heute sozialdemokratische Politik? Christdemokratische mit schlechtem Gewissen? Mittlerweile ist die Lage so bedrohlich, dass die Probleme und nicht die Parteien die Politik machen. Nur bekommt das der SPD schlecht. Dennoch dürfte der Kanzler seinen Machtkampf auf dem Sonderparteitag am 1. Juni gewinnen. Zweifelhaft ist indes, ob er sich von diesem Sieg noch einmal erholt. Dafür ist zu viel Erpressung im Spiel, dafür geht es der Partei moralisch zu schlecht und dafür muss er noch zu viele weitere Schmerzensprogramme auflegen.
Eine SPD für die Starken
Dass es die meisten Genossen als unsozialdemokratisch empfinden, wenn mehr gefordert als gefördert wird, weil es keine Jobs gibt, ist verständlich. Darin liegt die Crux des Umbaus und des Sparens in der Krise: Es gibt zunächst keine materielle Kompensation für erlittene Verluste. Der einzige Zugewinn, den das Deregulieren sofort bringen kann, wäre Freiheit. Die jedoch empfinden nur wenige Sozialdemokraten sehr stark. Das war bei der Deutschen Einheit so, und das ist bei der Entriegelung des Arbeitsmarktes nicht anders. Willy Brandt sprach oft von der Freiheit, mit einer Intensität, die viele Sozialdemokraten verstörte. Selbst der Kanzler ließ 1999 bei seinem bisher einzigen Anfall von Deutungswut in das Schröder-Blair-Papier hineinschreiben, wie schön Freiheit sei ? und Marktwirtschaft. Das wurde damals wie eine Cruise Missile in die SPD gejagt, verpuffte aber nach dem ersten Schrecken.
Superminister Wolfgang Clement hat kürzlich ein Experiment gewagt und bei einem Auftritt vor der SPD-Fraktion die beiden Worte ?Flexibilität? und ?Gerechtigkeit? in einem Atemzug genannt. Flexibilisierung bedeute ?mehr Chancen auf persönliche Entfaltung?, also Freiheit. Das sei gerecht. Da wurde es in der Fraktion still. Doch wenn Clement eine freiere und anders gerechte SPD im Kopf hat ? er kümmert sich kaum darum, dass sie auch in die Köpfe der Genossen kommt. Man nennt ihn einen Reformobristen, der wenig erklärt. Immerhin leidet er kaum unter seiner Reformpolitik.
Die Gewissensbisse der Partei hingegen sind unübersehbar beim Plan, die Laufzeit des Arbeitslosengeldes zu verkürzen. Die amtliche Begründung lautet, nur so könnten die Lohnnebenkosten gesenkt werden. Der sozialdemokratischere Grund müsste so lauten: Zu lange staatliche Alimentierung behebt eine soziale Not nicht mehr, sie verewigt sie. Es ist eine Frage der Menschlichkeit zu helfen, aber eine des Respekts, etwas zu verlangen. Dieser Respekt spielte bei der Hartz-Kommission noch eine Rolle, in der Gefühlswelt der SPD dagegen kaum.
Mehr Freiheit wagen und mehr Respekt vor dem Starken in jedem Schwachen, das wären also erste Antworten auf die Frage danach, was heute sozialdemokratisch sein könnte. Die größte Änderung jedoch läge im Kerngebiet der sozialdemokratischen Seelenlandschaft: bei der sozialen Gerechtigkeit.
Im Grunde braucht die SPD eine neue Vorstellung davon, wer heutzutage Solidarität verdient. Nicht dass der alte Verteilungskonflikt zwischen Kapital und Arbeit geradewegs zum Nebenwiderspruch geworden wäre. Aber andere, nicht minder bedeutsame Gerechtigkeitsfragen sind hinzugekommen ? der Gegensatz zwischen Alten und Jungen, Familien und Kinderlosen, Einwanderern und Einheimischen, Jobbesitzern und Arbeitslosen. Allerdings können die Sozialdemokraten ihren Gerechtigkeitsbegriff nicht erweitern, ohne sich ihrer zentralen Lebenslüge zu stellen. Ihre 140 Jahre langen Kämpfe haben dazu geführt, dass die Massen heute wohlhabend und alimentiert sind. Die Diskriminierten von gestern sind die Privilegierten von heute. Darum stehen Sozialdemokraten bei vielen Verteilungskämpfen auf der Seite der Starken ? also bei den gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmern gegen die Arbeitslosen, bei den Rentnern gegen die Beitragszahler. Etwa bei der Riesterschen Rentenreform. Am Ende kam ein Gesetz heraus, von dem keine Form der Altersvorsorge so stark gefördert wird wie die Betriebsrente. Davon profitieren vor allem Angestellte von Großunternehmen, vorzugsweise genau jene Facharbeiter mit Vollzeitjob auf Lebenszeit, die schon im Erwerbsalter gut versorgt sind.
Die SPD steht immer öfter auf der Seite der Starken. So droht die Partei Ethos zu verlieren, ohne von ihrem Pathos lassen zu können. Sozialdemokratische Politik schwankt heute zwischen verschiedenen Gerechtigkeiten. Die Entrechteten-Rhetorik verursacht Unwohlsein selbst bei Sozialdemokraten. Inzwischen fragen sich immer mehr Menschen, wie gerecht es ist, etwa den Kündigungsschutz, wie es die rot-grüne Regierung 1998 getan hat, zu verschärfen ? und damit die Sicherheit der Jobbesitzer zu erhöhen, für die Arbeit Suchenden aber die Rückkehrchancen zu verringern. Wäre es nicht sozialer, den Arbeitsplatzbesitzern etwas mehr Unsicherheit zuzumuten, um im Gegenzug für mehr Gleichheit beim Zugang zur Arbeit zu sorgen? Wie in der Agenda 2010.
Die SPD sagt ja und meint nein, sie beschließt erst ein Hartz-Konzept, mit dem der Kündigungsschutz bei der Beschäftigung von Arbeitslosen ausgehebelt wird, spricht sich dann aber im Wahlkampf gegen Änderungen des Kündigungsschutzes aus, beruft einen neuen Wirtschaftsminister, der wiederum eine Lockerung ankündigt, und macht dann so viel Rabbatz deswegen, dass nunmehr bloß eine mikroskopisch kleine Veränderung kommt. So dementiert man sich selbst.
Der Kündigungsschutz ist ein gutes Beispiel für das schräge Gerechtigkeitsverständnis der SPD. Natürlich dient er dazu, den Arbeitnehmer vor der Willkür des Chefs zu schützen. Aber er schützt eben auch den faulen Kollegen vor dem fleißigen; denjenigen, der Arbeit zwar besitzt, aber nicht viel arbeiten will, vor dem Arbeitslosen, der möchte, aber nicht darf. Unser extremes Kündigungsrecht und die entsprechende Rechtsprechung haben also eine sozial gerechte und zwei sozial ungerechte Folgen. Kein Grund für einen Sozialdemokraten, den Kündigungsschutz abzuschaffen, aber dafür, ihn gründlich zu überarbeiten allemal.
Die SPD, und das verschärft noch ihren sozialen Widerstand gegen die Agenda 2010, ist sich ihrer Politik für die Starken schon allzu bewusst. Sie weiß, dass sie im Namen der je Schwächsten die Privilegien von Millionen bedient ? und ist dennoch unfähig, ihr Gefühl für Gerechtigkeit zu verändern, unfähig, sich in sozialen Konflikten auf die Seite der Schwächeren zu stellen, derer, die aus den überteuerten Sozialsystemen herausfallen, und auf die Seite der Jungen, der Arbeitslosen, der Eltern. So überlässt sie das Sozialgeschäft den etablierten Sozialpolitikern, die gern Solidarität und Solidarsysteme verwechseln und für gerecht halten, was den traditionellen bismarckschen Versicherungen nützt.
Wenn in jedem Deutschen ein Sozi steckt, dann stecken in jedem Sozialpolitiker, Sozialrichter, Sozialkundelehrer und Sozialbürokraten zwei. Darum muss der Kanzler seine SPD überzeugen, weil in der Sozialpolitik viele kleine Sozialdemokraten an vielen kleinen Stellschrauben mitdrehen: Ministerialbeamte bei Referentenentwürfen, Parlamentarier beim Umformulieren von Gesetzestexten, Arbeitsrichter bei der Gesetzesinterpretation und -anwendung. Solange ein Großteil der Partei nicht überzeugt ist, kann der Kanzler Reformen beschließen, so viel er mag ? und wird die Ergebnisse am Ende doch nicht mehr erkennen. Bisher bewirken seine Reformen darum operativ zu wenig und psychologisch fast nichts.
Normalerweise würden Schröder solche Debatten wenig interessieren. Nun allerdings ist aus der Sinnfrage eine Machtfrage geworden, und deshalb muss er die fünf Wochen bis zum 1. Juni nutzen, um die Sinnlücke zu schließen. Die Sozialdemokraten in der SPD kann er notfalls erpressen, die Sozialdemokraten in uns nicht. Das Überraschendste an all dem scheint, wie nah die SPD ihrer eigenen Zukunft bereits gerückt ist. Mehr Freiheitslust, mehr Respekt und eine andere soziale Gerechtigkeit ? all das findet sich in den Reformen von Hartz bis Agenda 2010. Wenn man danach sucht. Doch tritt niemand in der Partei an, um es zusammenzufügen. Der repressive Pragmatiker Schröder nicht, der Reformcholeriker Clement auch noch nicht.
Es geht jetzt für die SPD vorwärts, oder sie fällt zurück, dahin, wo die Gewerkschaften schon sind. Ins Gestern. Einem klugen, 40-jährigen Genossen, der die neue SPD im Kopf hat, fällt nur einer ein, der das Morgen verkörpern könnte: Erhard Eppler (76). So also ist es um die Jüngeren in der SPD bestellt. Wenn es ernst wird und die 68er in der Abendröte ihrer Biografien leuchten, dann hoffen sie auf einen noch älteren.
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9. Hey, mal ganz ehrlich. dishwasher 24.04.03 21:36
Dafür dass Kumpel Gerd von der Wirtschaft und so immer nur Knüppel zwischen die Beine bekommt hält er sich doch super. (die sollen sich mal überlegen (Wirtschaft) ob uns (Gerd) das wirklich weiterbringt
Nach dem vervielfachen der Erkentnisse:
Mein Kumpel Eddie oder die juute Angela machen datt doch bestimmt viel besser. Hauptsache der Bodooohhh, der Juuute Hund, kommt noch ein weilschen dursch!