Öl: An der Tiefsee führt kein Weg vorbei
Offshore-Bohrungen wird es weiter geben, wenn die Erregung über das Desaster im Golf von Mexiko abklingt. Nicht die Technik ist gefährlich, sondern der Mangel an Ingenieuren.
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von Paul Fink
Paul Fink ist technischer Direktor von ADX Energy.
Ein Fass Öl kostet auf dem Markt derzeit etwa 75 Dollar. BP hat seit dem Macondo-Unglück am 20. April 2010 (als Erdgas unkontrolliert aus der Explorationsbohrung entwich) 75 Milliarden Dollar an Börsenwert verloren und 20 Milliarden Dollar an die US-Regierung zur mehr oder weniger freien Verfügung überwiesen. Wenn man davon ausgeht, dass bereits über eine Million Barrel aus der Unglücksbohrung Macondo ausgeflossen sind, hat BP bereits 75 000 Dollar Buße für jedes Barrel aus dem Golf von Mexiko bezahlt ? also das Tausendfache des Produkts, das BP verkauft.
Und das ist erst der Anfang. Eine gewaltige Armada an Rechtsanwälten hat begonnen, sich für den Generalangriff auf BP zu formieren und das Geschäft des Jahrhunderts zu machen. Man kann sich schon jetzt gut vorstellen, wie dagegen das kleine Häufchen an beschuldigten Ingenieuren aussehen wird.
Ganz abgesehen von der Umweltkatastrophe fragt man sich angesichts solcher Wert- und Imageverluste, die auch anderen ? nicht-staatlichen ? Firmen im Unglücksfall blühen, ob das potenzielle Risiko von Offshore-Bohrungen rein wirtschaftlich überhaupt noch tragbar ist. Ein Vergleich aus dem risikoreichen Straßenverkehr zeigt die Dimension: Würde man noch sorglos seinen Pkw benutzen, wenn (wie bei BP) das Tausendfache des Werts des Wagens bei einem Unfall zu bezahlen ist?
Erstaunlich ist, dass die Antwort der Branche trotzdem ein ganz klares und unmissverständliches Ja zu weiteren Explorationen ist. Das ist allerdings kein Zweckoptimismus. Brancheninsider sind sich einig, dass der Unfall nicht hätte passieren müssen, wenn BP die tausendfach erprobten Technologien und Sicherheitsmaßnahmen richtig und gewissenhaft eingesetzt hätte. Das technische Design der Bohrung war von Beginn an für eine Tiefwasserbohrung riskant, wurde mehrmals in freier Improvisation geändert, weil nötiges technisches Material nicht rechtzeitig auf die Bohrinsel gebracht werden konnte. Die Erdöl-Branche ist ehrlich überzeugt, dass sie die vorhandene Technologie nur richtig verwenden muss, um einen Blow-out wie bei BP zu verhindern.
Es wird in Zukunft strengere technische Kontrollen geben, und Regierungen werden auch einfordern, dass ein etwaiger Blow-out sofort gestoppt werden kann. Auch hier ist die Industrie zu Recht optimistisch, denn die Technologien, um einen Blow-out zu stoppen, sind vorhanden. Wenn das BP-Macondo-Bohrloch einmal nicht mehr fließt und BP-Assets vielleicht in amerikanischen und arabischen Firmen aufgegangen sind, wird wieder Alltag einkehren. Ohne Offshore-Exploration ist es den großen Konzernen unmöglich, zu wachsen oder zumindest ausreichende Reserven zu haben. Die größten noch nicht gefundenen Felder sind im Offshore-Tiefwasser oder in seichteren Offshore-Bereichen.
Die neuen Abbau-Trends wie Ölsand, Schiefergas und Gas aus Kohleschichten haben auf die unmittelbare Umwelt und den Lebensraum des Menschen weitaus größeren Einfluss als ein ?Nadelstich? mit 18 Zentimetern Durchmesser, aus dem Öl und Gas vor der Küste ins Bohrloch fließen. Die wenigen noch auf Land erwarteten großen Erdölfelder sind meist in der Hand der Opec oder von Staaten wie Nigeria, Russland, Irak und Iran.
Ein weiterer Trend ist absehbar: der Weg vom Öl als Energieträger hin zum Erdgas. Es gibt weitaus mehr Erdgas- als Erdölreserven, und obwohl Erdgas auch keine perfekte, CO2-freie Lösung ist: 20 bis 30 Prozent CO2-Reduktion bei Pkws im Vergleich zu Öl sind ein guter Start. Erdgas ist reichlich in ?freundlichen? Ländern wie Australien und Norwegen vorhanden. Vor der Küste West-Australiens werden zurzeit gigantische Erdgasfelder entwickelt. Im Falle eines ? fast unmöglichen ? Blow-outs käme es kurzfristig zu Umweltschäden in Form von Methangasaustritt, der aber weitaus weniger unmittelbaren Einfluss auf die Biosphäre hat als die Ölkatastrophe im Golf von Mexiko.
Das größte Problem der Industrie ist aber nicht die Technologie oder die Wirtschaftlichkeit von Offshore-Bohrungen, sondern der kompetente Einsatz der erprobten Technologien durch den Menschen. Die Zahl der mit Klagevorbereitungen beschäftigten Anwälte in Texas und Louisiana übersteigt bereits heute die Zahl der Ingenieure, die nach Lösungen suchen, um ein Hundertfaches. Jungen Talenten, die vor der Studienwahl stehen, wird klar vor Augen geführt, dass in Umverteilungsberufen wie Anwalt oder Banker viel mehr Geld mit weniger Verantwortung und Gefahr zu verdienen ist.
Angeblich hatte BP für Macondo nur einen relativ unerfahrenen Testingenieur gefunden, der sonst bei Landbohrungen eingesetzt war. Wer wird in Zukunft kompetent und verantwortungsvoll die Rettungspläne des weltumspannenden Netzes von Globalisierungsgegnern und Zukunftsforschern in die Tat umsetzen, wenn die Personalressourcen fehlen?
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Greeny