Seither gibt es sehr klare Regeln, um ein neues Medikament auf den Markt zu bringen: Erst wenn es sich im Tierversuch als vielversprechend und sicher erwiesen hat, folgt die klinische Prüfung. Sie beginnt mit der Phase 1, bei der die Arznei einer kleinen Gruppe von meist gesunden Testpersonen verabreicht wird. Vertragen die Probanden das Mittel gut und treten keine schweren Nebenwirkungen auf, dann folgt die Phase 2, bei der erstmals Kranke behandelt werden. Zeichnet sich hier eine Wirksamkeit der Arznei ab, folgt der Goldstandard der Phase 3 - die randomisierte, placebo-kontrollierte Studie, englisch abgekürzt RCT. Dafür wird eine größere Zahl von Patienten durch einen Zufallsmechanismus, die Randomisierung, entweder einer der Behandlungsgruppen zugeordnet. Oder der Placebogruppe, die ein Scheinmedikament erhält. Nur der Vergleich der Ergebnisse aus diesen Gruppen kann den Nutzen und die Nebenwirkungen eines Medikaments für entsprechende Patienten eindeutig belegen und größtmögliche Sicherheit gewährleisten. Die RCT gilt deshalb nicht ohne Grund als eine Errungenschaft in der Arzneimittelbewertung. Doch ihre Ära könnte mit der "real world evidence" nun enden, auch in Europa. Die entsprechenden Programme der Europäischen Medizinagentur EMA heißen "adaptive pathways" und "priority medicines", in beiden Fällen geht es darum, Medikamente ohne die üblichen Studien auf den Markt bringen zu können, insbesondere ohne die entscheidenden Tests der Phase 3. Das hätte fraglos einen Vorteil: Innovative Arzneien gegen Krebs und andere schwere oder seltene Erkrankungen würden schneller für all jene Patienten verfügbar, die keine anderen medizinischen Möglichkeiten mehr haben. Experten sprechen von "unmet medical needs", von Versorgungslücken. "Wir sehen bei manchen Immuntherapien in der Krebsmedizin heute schon so früh so große Effekte, mit einer Rückbildung des Tumors bei der Hälfte der Behandelten", sagt Karl Broich, Leiter des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte in Bonn. "Da ist es Patienten nur schwer zu vermitteln, dass sie, anstatt dieses Medikament zu bekommen, erst an einer randomisierten Studie teilnehmen sollen, in der sie womöglich nur das Placebo erhalten". Broich hält es für sinnvoller, nach den Phasen 1 und 2 zu sehen, welchen Patienten das neue Medikament am besten hilft. Und nur für diese definierte Gruppe von Erkrankten eine Zulassung auszusprechen. "Wir machen damit keine Abstriche von der Sicherheit", sagt Broich. "Diese Art der Zulassung wird außerdem auf Patienten beschränkt bleiben, die sonst sterben oder mit schweren Behinderungen rechnen müssen, weil sie keine therapeutischen Optionen mehr haben". Für Diabetes oder andere gut zu behandelnde Krankheiten werde es dagegen keine angepassten Zulassungen geben.
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