Analyse: In Frankreichs Vorstädten wächst die Angst
Von Petra Klingbeil, dpa Großansicht Großansicht
Paris (dpa) - Bei den Bewohnern von Drancy, Evry oder Aulnay bei Paris greifen Angst, Verzweiflung und Fassungslosigkeit nach elf Nächten beispielloser Gewalt immer stärker um sich. «Wir wollen nur noch weg hier. Ich kann ja meine Kinder nicht mehr allein auf die Straße lassen», sagt eine Mutter im Fernsehsender France 5, die ihren Umzug in ein ruhigeres Viertel vorbereitet. Ihr Auto steht schon seit Tagen nicht mehr vor der Haustür. «Wir haben es in einem anderen Viertel versteckt», sagt die Frau.
In den trostlosen Stadträndern mit ihren hohen Wohntürmen formieren sich jetzt Bürgergruppen, um Autos, Schulen, Geschäfte und Sporteinrichtungen zu schützen. «Wir drehen nachts die Runde, um diesen Schlägertypen zu zeigen, dass wir keine Angst haben», sagt ein Bewohner von Aulnay. «Wenn der Staat uns nicht verteidigen kann, was bleibt uns denn da übrig?» Zum Teil müssen sich auch Polizisten Beschimpfungen erzürnter Bürger anhören. «Wo waren sie, als hier alles in Flammen stand?», schimpft eine nordafrikanische Frau auf der Straße in Athis-Mons. «Passen Sie lieber auf, dass ihr Sohn nachts zu Hause bleibt», ist die prompte Antwort eines Beamten in Kampfmontur.
Sozialarbeiter, Lehrer und Vertreter von Jugendvereinigungen zeigen aber auch Verständnis für die Wut der Randalierer. Die Gründe der Not sind seit Jahrzehnten bekannt: menschenunwürdige Wohnungen, mangelhafte Schulbildung und fehlende Jobs für die Jugendlichen. «Die Jugendlichen aus den Einwandererfamilien wollen es schaffen, so wie die anderen auch», sagen Sozialarbeiter.
Aber die sozialen Barrieren sind in diesen Vierteln, die vielfach von der «normalen Welt» völlig abgeschnitten sind, wo keine Busse mehr hinfahren und viele Geschäfte dicht gemacht haben, zum Teil unüberwindlich. Die Adresse eines Unruhe-Viertels auf einem Lebenslauf ist schon eine Garantie für eine Absage. «Wer kommt denn schon in unser Viertel? Doch nur die, die es wirklich müssen», sagt ein Jugendlicher in Aulnay.
«Die Jugendlichen hier in der Schule wissen, dass sie wie Aussätzige betrachtet werden», sagt der Lehrer Pascal Odin aus Aulnay. Er will sich demnächst aus dem Schuldienst zurückziehen, weil er um seine persönliche Sicherheit fürchtet. 90 Prozent der Schüler seiner Schule stammen aus Einwandererfamilien, bei denen die Arbeitslosigkeit über 40 Prozent erreicht. «Viele Kinder kommen morgens hungrig in die Schule, doch die 1,50 Euro für die Kantine können sie sich nicht leisten». Von Schulleistungen will er nicht sprechen. «Sie können kaum richtig schreiben. Ihr Wortschatz ist begrenzt, da wird die Gewalt zum Ausdrucksmittel.»
Nach Einschätzung der Polizei wird immer klarer, dass die Schläger gut organisiert sind und zum Teil eine kriminelle Vergangenheit haben. Einige sind der Polizei bekannt, wobei auch Mädchen bei den Verwüstungen beobachtet wurden. «Sie kommunizieren mit Handys und geben die nächsten Treffen bekannt, wo sie sich wieder sammeln», sagt ein Polizist. «Wie lange wird das Chaos noch weitergehen?», fragte die Tageszeitung «Le Parisien» am Montag. Die Antwort darauf weiß niemand, doch die Polizei ist optimistisch. «Irgendwann geht ihnen die Puste aus. Wir werden das letzte Wort behalten», sagte ein Beamter.
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