Erholung? Wenn, dann nur kurz Der Ölpreis scheint zu wackeln: Binnen zwei Handelstagen ist er um mehr als 10 $ auf rund 135 $ je Fass gefallen. Dies könnte Aktienanlegern über die kommenden Wochen durchaus etwas Luft zum Durchatmen geben. Hoffen wir's.
Wer die Jahre nach der Jahrtausendwende an den Finanzmärkten hautnah miterlebt hat, kann nur die Daumen drücken, dass jetzt kommt, auf was alle hoffen: ein schneller und spürbarer Rückgang des Ölpreises. Wegen der sich zuspitzenden konjunkturellen Lage in weiten Teilen der Welt scheint der Ölpreis tatsächlich zu wackeln; so ist er binnen zwei Handelstagen um mehr als 10 $ auf rund 135 $ je Fass gefallen. Recht und weiter so, denn sonst werden sich alle am Aktienmarkt weiter bestehenden Hoffnungen schnell verflüchtigen.
In den USA, dem Brandherd der Weltwirtschaft, lagen die Verbraucherpreise im Juni um fünf Prozent über dem Vorjahr, womit die realen Wochenlöhne um 2,4 Prozent unter das Niveau des Vorjahres gefallen sind. Lässt man die weitgehend geschätzten Mieten aufgrund von Fragezeichen bezüglich ihrer Bemessung außen vor, steigen die Verbraucherpreise trotz aller hedonischen Kunstgriffe sogar um 6,2 Prozent; die vergangenen drei Monate aufs Jahr hochgerechnet, ziehen die Preise in dieser Abgrenzung um satte 10,7 Prozent an. Die weitgehend verteilten Steuerschecks sind da ein Tropfen auf den heißen Stein, zumal die Beschäftigung sinkt und der Zugang zu Krediten beschränkt ist. Die Exporte mögen die US-Wirtschaft derzeit noch etwas beflügeln, aber angesichts der ebenfalls rasanten Konjunkturverlangsamung in den anderen Industrieländern sowie des beschleunigten Stellenabbaus im amerikanischen verarbeitenden Gewerbe (im zweiten Quartal ist die Beschäftigung dort mit einer Jahresrate von 3,6 Prozent gesunken) ist auch hier mit abnehmenden Impulsen zu rechnen. Beim derzeitigen Ölpreis ist die Hoffnung auf eine rapide Verbesserung des nominalen US-Außenhandelsdefizits schon mit Blick auf das in Richtung sechs Prozent des BIP strebende Staatsdefizit ohnehin verwegen - und damit wiederum der Wunsch der europäischen Aktienanleger einer Dollar-Aufwertung. Ölpreis
Wie hoch sind die Chancen auf einen heftigen Ölpreisrückgang? Auf den Ölpreisschock 1979 war der Ölverbrauch in den OECD-Ländern, die laut BP 2007 immer noch 57 Prozent der Nachfrage ausmachten, 1980 um fast sieben Prozent gefallen - um danach für weitere drei Jahre zu sinken. Wenn man nun bedenkt, dass der Ölverbrauch im Rest der Welt 2007 um 3,9 Prozent zugenommen hat, ist angesichts der kursierenden Grenzkostenschätzungen von 75 $ je Fass und der forcierten Substitutionsbemühungen ein Rückgang auf weit unter 100 $ gut denkbar, zumal ja auch die Wachstumsverlangsamung in den Schwellenländern immer augenscheinlicher wird.
Falls der bisherige Ölpreis jenseits von gut und böse ist, mutet es allerdings weiterhin komisch an, dass die Produktion nicht schon längst ausgeweitet worden ist, sofern denn tatsächlich Reserven vorhanden sind. Plausibel scheint auch der Einwand, dass der Anreiz für die Förderländer eher gering ist, die Produktion auszuweiten, um die Einnahmen sodann in US-Staatsanleihen mit negativer realer Verzinsung anzulegen. Bedenklich ist zudem, dass die Grenzkosten offensichtlich rapide zunehmen, denn vor zehn Jahren war Öl ja noch für rund 10 $ zu haben. Und neben dem höheren technischen Aufwand hat das eben auch mit den Löhnen für Geologen/Fachkräfte und explodierenden Preisen anderer Rohstoffe zu tun. Am Ende ist Inflation halt ein monetäres Phänomen. Und da die Welt in Geld schwimmt und die Löhne in den Schwellenländern bereits empfindlich anziehen, würde die Inflation die Finanzmärkte auf mittlere Sicht eben doch heftig piesacken, falls die Geschwisterchen der Inflation - Kapitalfehlallokation und Überschuldung, sprich: die Finanzkrise - nicht geradezu unbarmherzig zurückschlagen, was zu befürchten ist. Mehr als eine kurze Aktienerholung ist nicht drin.
Aus der FTD vom 17.07.2008 © 2008 Financial Times Deutschland, © Illustration: FTD.de ----------- "Es gibt nichts, was so verheerend ist, wie ein rationales Anlageverhalten in einer irrationalen Welt.
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