Das Debakel um 10tacle
19. April 2008 Michele Pes kommt ein wenig gehetzt zum Treffen. Er trägt ein schwarzes Sakko zu Hemd und Jeans. Um die wachen braunen Augen unter den Brauen zeigen sich Schatten. Und das nicht von ungefähr: Der von ihm geführte Computer- und Videospiele-Entwickler 10tacle Studios AG mit Sitz in Darmstadt durchlebt an der Börse innerhalb weniger Wochen, wofür der Neue Markt einst fast anderthalb Jahre benötig hat. Seit Dezember hat das Unternehmen, das Produktionen wie das Abenteuerspiel ?Jack Keane? und das Autorennspiel ?GTR? auf den Markt gebracht hat, fast vier Fünftel seines Werts verloren.
Aus mehreren Gründen: Zur Finanzmarktkrise, die auch Nebenwerte wie 10tacle gebeutelt hat, kommen hausgemachte Widrigkeiten. So bestätigte das knapp 400 Mitarbeiter starke Unternehmen noch im November seine Jahresziele von 52 Millionen Euro Umsatz und 9,3 Millionen Ertrag vor Zinsen und Steuern, gab aber gleichzeitig Probleme bei der Entwicklung zu. Zwei Titel, die Fantasie-Spiele ?Totems? und ?Eleveon?, werden mehr als zwölf Monate später als geplant fertig, wie es im Bericht zum dritten Quartal heißt. Hinzu gesellte sich die Nachricht, ein Fonds, von dem 10tacle noch Geld erwarte, zahle nicht pünktlich.
Vorstand: Wir haben Fehler gemacht
Das wiederum nährte in einem hochnervösen Börsenumfeld Spekulationen über eine mutmaßliche Zahlungsunfähigkeit des Unternehmens, wie es im Kreise der Analysten, die den Spiele-Entwickler bewerten, heißt. Im März schnürte 10tacle dann mit einem Großaktionär ein Finanzierungspaket ? und verschreckte Anleger mit der Aussage, wegen der Verzögerungen bei den zwei Spielen könne eine ?Unterschreitung der für das Geschäftsjahr 2007 veröffentlichten Prognose nicht mehr ausgeschlossen werden?. Im Börsendeutsch nennt sich das Gewinnwarnung. Wenige Tage darauf verschob das Unternehmen auch noch die Bekanntgabe der vorläufigen Geschäftszahlen für 2007 und gelobte, diese bis ?spätestens 18. April? zu liefern. Dergleichen verzeihen einer AG nicht einmal Anleger in Champagnerlaune.
Schon gar, wenn ein Vorstand auf Tauchstation geht ? so wie Pes. ?Eine solche Informationspolitik habe ich überhaupt noch nicht erlebt?, erhitzt sich ein Investor. Als Aktionär werde er ?völlig im Dunkeln gelassen, was im Unternehmen passiert?. ?Wir haben Fehler gemacht?, gibt der gescholtene Vorstand sich reumütig, verteidigt aber auch sein zwischenzeitliches Schweigen: ?Zu einem gewissen Zeitpunkt musste ich mich entscheiden: Geh? ich in Deckung und arbeite bestimmte Sachen ab?? Andererseits gesteht er zu: ?Wenn ich mir das nur als Aktionär betrachte, würde ich mich auch fragen: Was ist da los??
Mit Blick auf die Bilanz 2007 ist die Antwort offen. Denn an diesem Freitag nun, dem 18. April, steht Pes wieder ohne vorläufige Daten da. ?Wir sind, leider, noch in Gesprächen mit den Wirtschaftsprüfern.? Derweil verliert die Aktie weiter.
?Ich wäre froh, wenn ein Finanzvorstand da wäre?
Das schmerzt auch Pes, besitzt er doch rund 200.000 Aktien von 10tacle. Erst vor zwei Wochen hat er 3000 Stücke nachgekauft. ?Wenn ich das Geld hätte, würde ich alles kaufen?, sagt er. Denn eines der zehn in der Entwicklung befindlichen Spiele koste mehr, als das Unternehmen derzeit an der Börse wert sei. Bisher habe jede Produktion ihre Kosten eingespielt ? mindestens. Dass die Filiale in Bratislava in zwei Fällen mit Blick auf Zeit, Budget und Qualität enttäuscht habe, dürfe nicht auf andere Studios der Gesellschaft übertragen werden, meint Pes. Und er hebt hervor, in Europa habe kein zweiter von Konzernen unabhängiger Spieleentwickler eine so große Kapazität wie 10tacle.
Die Möglichkeiten will Pes künftig vermehrt für Werbeproduktionen nutzen wie das ?BMW 3?-Spiel, das zwei Millionen Male im Internet heruntergeladen und über 1,5 Millionen Datenträger verbreitet worden sei ? bezahlt vom Auftraggeber. Derzeit feilt 10tacle noch an der ?Ferrari-World?, die im Herbst erscheinen soll und bei der Spieler aus 60 Ferraris und 39 Rennstrecken wählen kann. Auch will Pes mehr Spiele mit erzieherischen Charakter wie das in Zusammenarbeit mit Ferrero entstandene ?Happy Hippos auf Weltreise? produzieren. Das Marketing sollen die Vertriebspartner übernehmen. Deshalb hat 10tacle die Belegschaft in Darmstadt zuletzt um sechs auf knapp 40 Leute abgebaut. Der Vorstand soll dagegen um eine Finanzfachkraft erweitert werden. Zwischen zwei Leuten soll es sich entscheiden. Pes: ?Ich wäre froh, wenn einer da wäre.?
Quelle: http://www.faz.net/s/...4E3~ATpl~Ecommon~Scontent.html?rss_googlefeed
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